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Berliner Geschichte

Der Späti ist ein Kind des Ostens

Spätis sind Berliner Kulturgut. Doch was heute viele nicht mehr wissen: Die Läden, die ihre Nachbarn rund um die Uhr mit Flaschenbier versorgen, haben ihren Ursprung im sozialistischen Osten - in den Spätverkaufsstellen für Schichtarbeiter. Von Fabian Wallmeier

Vom Streit um die Sonntagsöffnung einmal abgesehen: Wer in Berlin ein gekühltes Flaschenbier kaufen will, den muss es zu keiner Tages- oder Nachtzeit lange dürsten. Denn der Späti um die Ecke hat beinah immer auf und verkauft neben dem Bier auch Chips, Zigaretten, Milch, Schokolade und was man sonst noch so braucht.

Der Späti gehört zur Stadt wie die Reeperbahn zu Hamburg und der Karneval zu Köln. Nun könnte man annehmen: Was so etabliert ist im Alltag der Berlinerinnen und Berliner, muss es eigentlich schon immer gegeben haben. Doch das stimmt nicht – zumindest für den West-Teil der Stadt. Denn der Späti ist eine Erfindung der DDR – und wurde erst nach der Wiedervereinigung ein berlin- (und längst bundes-)weites Phänomen.

Spätverkaufstellen wurden durch normale Lebensmittelläden organisiert - wie hier von der Handelsorganisation (HO). | Quelle: dpa/Siegfried Wittenburg

H-Milch nach Schichtende

Spätverkaufsstellen hießen zu DDR-Zeiten Läden, in denen auch außerhalb der üblichen Öffnungszeiten eingekauft werden konnte. Sie waren für Menschen gedacht, die im Schichtdienst arbeiten. "Sie sollten garantieren, dass Schichtarbeiter Artikel, die Mangelware waren, noch nach ihrer Arbeit kaufen konnten", sagt Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg. "H-Milch etwa war morgens oft schnell ausverkauft."

In den Spätverkaufsstellen konnte nicht nur einkaufen, wer gerade von der Schicht kam, sondern sie waren prinzipiell allen Bürgern offen. Überrannt wurden sie in Busch-Petersens Erinnerung trotzdem nicht – aus einem naheliegenden Grund: "Sie lagen meist nicht an den Hauptlaufwegen", sagt er.

Wurst im Glas statt gekühltem Flaschenbier

Überhaupt hat man sich die Spätverkaufsstellen als etwas ganz anderes vorzustellen als die Spätis von heute. Sie waren meist größer als die heutigen, aber nicht so groß wie Supermärkte.  Nach einem Zeitungsbericht, den Stefan Wolle, wissenschaftlicher Leiter des Berline DDR-Museums, in seinem Archiv gefunden hat, waren 1988 im Angebot der Spätverkaufsstellen: "Milch, Butter, Eier, Nudeln, Kaffee, Tee, Käse, Quark, Brot, Gemüse in Gläsern, Wurst frisch und in Gläsern, Apfelsaft".

Einen entscheidenden Unterschied zu heute benennt Nils Busch-Petersen: Das gekühlte Weg-Bier oder Fuß-Pils, mit dem die heutigen Spätis einen erheblichen Teil ihres Umsatzes machen, hat damals keine Rolle gespielt. Überhaupt sei es damals viel unüblicher gewesen als heute, mit einer Bierflasche in der Hand durch die Stadt zu laufen.

Klar ist: Die Spätverkaufsstellen hatten für die Ost-Berliner keinen vergleichbaren Stellenwert wie heute die Spätis. Es ging schlicht um die amtliche Sicherstellung der Versorgung. "Mit der heutigen Späti-Kultur mit dem Stück Berliner Lebenskultur, den sie heute haben, hatten sie nichts zu tun", sagt Nils Busch-Petersen.

Spätverkaufsstelle, nicht Späti

Harte Zahlen zu den Spätverkaufsstellen zu bekommen, gestaltet sich als schwierig. Weder die Wirtschafts- noch die Arbeitsverwaltung des Senats kann auf Anfrage Genaueres sagen. Auch der Handelsverband hat keine umfassende Datensammlung. Ein Blick in die Archive zeigt aber immerhin die ungefähren Ausmaße: Anfang der 1951 gab es nach Recherchen von Stefan Wolle 20 Konsum-Spätverkaufsstellen in Berlin. Sie und weitere Läden, die im selben Jahr entstanden, hatten größtenteils bis 21, manche bis 22 Uhr geöffnet. In Zeitungsartikeln aus den 1960er Jahren ist die Rede von bis zu 90 Spätverkaufsstellen - für verschiedene Arten von Geschäften.

Die heute gebräuchliche Kurzbezeichnung Späti ist in jedem Fall erst nach der Wende entstanden, da sind sich Busch-Petersen und Wolle einig. Zu DDR-Zeiten hießen sie wie amtlich vorgesehen: Spätverkaufsstellen. Erst als sich die Idee des Späverkaufs nach 1989 über ganz Berlin auszubreiten begann, etablierte sich nach und nach auch der Name Späti.

Eine Shell-Tankstelle im Westberlin der 1960er Jahre. | Quelle: www.imago-images.de

West-Berliner hatten die Tanke

Das Modell Spätverkauf wurde von findigen Geschäftsleuten, laut Busch-Petersen waren es oft türkischstämmige Gemüsehändler, aufgegriffen und erweitert. "Sie haben erkannt, dass es da ein Bedürfnis gab", sagt er. So schossen nach und nach die Spätis aus dem Boden – nicht nur im Westen, sondern auch im Osten, denn der staatlich organisierte Spätverkauf von Lebensmitteln war mit dem Ende der DDR Geschichte.

Im alten Vor-Wende-Westen dagegen: keine Spätverkaufsstelle für niemand. Doch woher bekamen die West-Berliner dann nachts ihr Bier? "Wir sind zur Tanke gefahren – die hatten auch immer auf", sagt ein rbb-Kollege, der in den 1980er Jahren nach West-Berlin zog, "oder zum Imbiss - oder in die Kneipe." Von denen habe es damals gefühlt auch noch deutlich mehr gegeben.

Man wusste sich in West-Berlin also zu helfen. Aber den Späti, nicht zuletzt seinen Namen, haben die Berlinerinnen und Berliner von heute nicht der Insel West-Berlin zu verdanken, sondern dem sozialistischen Osten – so anders die Spätverkaufsstellen von damals auch waren.  Darauf ein gekühltes Flaschenbier, frisch vom Späti natürlich!

Beitrag von Fabian Wallmeier

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