Suche nach Koalitionspartnern in Berlin
Erst haben SPD und Grüne ausgelotet, was gemeinsam gehen könnte. Dann kam die Linke an die Reihe. Am Montag wollen die Sozialdemokraten mit CDU und FDP reden, während die Grünen für zusätzlich Schwung sorgen. Von Jan Menzel
Wer wann mit wem spricht, ist auch eine Frage der Etikette. Die Grünen als Zweitplatzierte bei der Abgeordnetenhauswahl dürfen am Freitag als erste in die Müllerstraße kommen. Sondiert wird im einst roten Wedding, im Kurt-Schumacher-Haus, der Parteizentrale der SPD. Als Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch und ihre beiden Landesvorsitzenden Nina Stahr und Werner Graf eintreffen, ist der Begrüßungschor schon da.
"TVöD - für alle an der Spree", schallt es ihnen entgegnen. Mehrere Dutzend Beschäftigte von Vivantes und Charité nutzen die Gunst der Stunde. Seit mehr als 20 Tagen streiken sie für gerechtere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen. "Wir werden sowohl mit den Grünen als auch den Linken über dieses Thema sprechen", versichert SPD-Landeschefin und Spitzenkandidatin Franziska Giffey den Streikenden und reicht das Mikrofon an Bettina Jarasch weiter, die zu ihr und den Krankenhaus-Mitarbeitern gekommen ist. "Ich mach’s kurz: Wir werden eine Lösung finden", verspricht die Grüne.
Dann geht es schnellen Schrittes wieder zurück - quer über die Müllerstraße zum Kurt-Schumacher-Haus. Giffey und Jarasch scherzen und lachen. Für beide ist es ein Herantasten. Während sich viele Grüne und Sozialdemokraten seit Jahren gut kennen und duzen, sind die beiden Spitzenfrauen beim freundlichen Sie. Ein Lächeln noch vor der Tür fürs Gruppenfoto, dann schlüpft Franziska Giffey in die Rolle der Hausherrin: "So, dann legen wir los, damit wir pünktlich anfangen können!"
Mit der Pünktlichkeit klappt es zum Auftakt der Sondierungsgespräche schon mal gut. SPD und Linke starten vier Minuten vor neun. Trotz verstopfter Müllerstraße kommen auch die Linken am Nachmittag überpünktlich zu ihrem Treffen mit der SPD. Spitzenkandidat Klaus Lederer und sein Team sind kurzerhand aus dem Auto gestiegen und gehen das letzte Stück zu Fuß. Und auch die wichtigste Grundregel der Gespräche beherzigen die drei möglichen Koalitionäre: Vertraulichkeit.
So gut wie nichts dringt nach draußen. Als Grüne und SPD ihr erstes Beschnuppern beendet haben, verrät Bettina Jarasch nur, dass es Suppe und Kekse zu essen gab: "Und Raed Saleh weiß jetzt, was die richtig leckeren Bio-Müsli-Riegel sind, weil ich ihn zwischendurch mal durchfüttern musste." SPD-Co-Landeschef Saleh fasst den Auftakt der Sondierungen mit einem Politik-Klassiker zusammen: "Es waren gute Gespräche in konstruktiver Atmosphäre."
Bettina Jarasch bestätigt noch, dass auch die schwierigen Themen nicht umschifft worden sind. Dafür spricht allein die Länge der beiden Runden. Fünfeinhalb Stunden sprachen SPD und Grüne miteinander. Mit fünf Stunden saßen SPD und Linkspartei nur unwesentlich kürzer zusammen. Die Konflikte liegen auf der Hand: Der Bereich Wohnen und damit der Enteignungs-Volkentscheid, die Verkehrspolitik und die Zukunft des Autos in der Metropole sind zwei der großen Blöcke, über die gesprochen wurde.
Wobei das erst der Anfang gewesen sein soll, wie ein sichtlich gut gelaunter Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer auf der Müllerstraße abends um halb neun verkündet: "Wir treffen uns wieder, nächste Woche." Bevor die Linken aber einen neuen Termin im Schumacher-Haus haben, steht ein Gespräch mit den Grünen an.
Sie haben die Linkspartei überraschend zu einem Treffen am Montag eingeladen, zu einer Sondierung unter möglichen Juniorpartnern und alten Koalitions-Bekannten sozusagen. Danach wollen sich die Grünen auch mit der FDP alleine treffen. Die SPD arbeitet parallel dazu weiter ihren Sondierungs-Fahrplan ab.
Für Montag sind FDP und die CDU zu getrennten Gesprächen eingeladen. CDU-Fraktions- und Landeschef Kai Wegner gibt sich optimistisch: "Wir setzen alles daran, eine Koalition der Vernunft zu schmieden, dass wir es hinbekommen im Rahmen einer Deutschland-Koalition diese Stadt voranzubringen." Rechnerisch wäre das von Wegner favorisierte rot-schwarz-gelbe Bündnis möglich. Eine noch breitere Mehrheit gäbe es im Abgeordnetenhaus für die Fortsetzung der rot-rot-grünen Koalition. Und mit der Ampel, die im Bund derzeit als aussichtsreichste Variante gilt, hat Franziska Giffey noch eine dritte Option für Berlin.
Was ihr das Liebste wäre, hat die sehr wahrscheinlich neue Regierende Bürgermeisterin auch dieses Mal nicht eindeutig erkennen lassen. Nur so viel: Die Sondierungen sollen spätestens Mitte Oktober abgeschlossen sein, damit ausreichend Zeit für die Koalitionsverhandlungen bleibt. Wenn der Zeitplan aufgeht, könnte sich Franziska Giffey am 16. Dezember zur ersten Regierenden Bürgermeisterin Berlins wählen lassen.
Sendung: Inforadio, 02.10.2021, 07:15 Uhr
Beitrag von Jan Menzel
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