Kommentar | Neuer Senat für Berlin
Berlin hat einen neuen Senat und mit Franziska Giffey erstmals eine Regierende Bürgermeisterin. Die Farben der Koalition bleiben dieselben. Und doch braucht Berlin auch einen Neustart, findet Jan Menzel.
Wunder wird es auch mit Franziska Giffey nicht geben. Rot-Grün-Rot wird keine Berge versetzen. Und Berlin bleibt immer noch Berlin. Das sollte man bei aller Euphorie auf der einen und aller Miesepetrigkeit auf der anderen Seite nicht aus dem Blick verlieren.
Diese Koalition ist sowohl "Weiter so!" als auch Neuanfang - und das ist auch gar nicht schlecht. Neu sind die Köpfe, unter denen Giffey, Bettina Jarasch und Linken-Überraschungs-Neuzugang Katja Kipping herausragen. Sie und die fast komplett erneuerte Riege der Staatssekretäre haben die Chance, als großes Regierungsteam vieles anders, schneller und besser zu machen.
Sie werden ihre Arbeit in einer Stadt tun, in der vieles einfach großartig ist, aber vieles eben nicht funktioniert. Wartezeiten im Bürgeramt, eine Verwaltung mit Uralt-Rechnern und das berühmt-berüchtigte Behörden-Ping-Pong als Ausdruck einer Kultur, die eher blockiert als anpackt - hier etwas zu bewegen, wird mühsam, dürfte aber eher eine der leichteren Aufgaben für Rot-Grün-Rot werden. Zumal Franziska Giffey eine Bürgermeisterin ist, die Verwaltung von der Pike auf gelernt hat.
Die eigentliche rot-grün-rote Herausforderung wird sein, die fluffigen Slogans, die ambitionierten Überschriften, die Prosa des Koalitionsvertrags Berliner Wirklichkeit werden zu lassen. 20.000 neue Wohnungen im Jahr sind nicht von Pappe. Eine Klima-Notlage ist schnell erklärt, ändert aber nichts am CO2-Ausstoß. Auch die Lehrer-Verbeamtung macht Berlin nicht zum Pisa-Gewinner.
Der neue Senat muss wieder alte dicke Brocken bewegen. Wenn Giffey mit guter Laune anpackt, kann es der Stadt nur guttun. Allein mit schöner Inszenierung und hübscher Politik-Verkaufe wird die Koalition nicht erfolgreich sein.
Rot-Grün-Rot hat keine 100-Tage-Schonfrist. Giffey fängt an, wo Vorgänger Michael Müller aufhörte: in der Ministerpräsidentenkonferenz und bei Corona. Die Wähler haben ihr eine breite Mehrheit mitgegeben und die jüngsten Umfragen zeigen: Diese Mehrheit steht hinter genau dieser Koalition. SPD-Fraktionschef Raed Saleh hat passend von einer zweiten Chance für seine Partei gesprochen. Das gilt genauso auch für diese neue, alte Koalition.
Beitrag von Jan Menzel
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