Rot-grün-roter Koalitionsvertrag vorgestellt
Mehr Neubau, mehr Klimaschutz, mehr Personal in Schulen und bei der Polizei: Die Spitzen der Berliner Regierungsparteien haben den Koalitionsvertrag vorgestellt. Die designierte Regierende Bürgermeisterin betonte dabei, man habe jeden in Berlin im Blick.
Die Spitzen der Berliner SPD, Grünen und Linken haben am Montagmittag ihren ausgehandelten Koalitionsvertrag vorgestellt. Das Dokument trägt den Titel "Zukunftshauptstadt Berlin" und umfasst 22 Kapitel auf rund 150 Seiten.
An erster Stelle findet sich nach der Prämbel ein umfassendes Kapitel zu den Themen Stadtentwicklung, Bauen und Mieten. Wie bekannt, strebt die künftige Koalition an, dass in Berlin bis zum Jahr 2030 insgesamt 200.000 neue Wohnungen entstehen sollen, die Hälfte davon, wenn möglich, bis zum Ende der Wahlperiode im Jahr 2025. Dabei sollen vor allem auch Wohnungen im unteren und mittleren Preissegment entstehen.
Die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) betonte, im Titel des Koalitionsvertrags "Zukunftshauptstadt" gehe es auch um den Begriff "Hauptstadt": "Wir als Berlinerinnen und Berliner müssen uns bewusst machen, dass wir Kiez sind, aber auch Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, Weltstadt, Großstadt mit Menschen aus verschiedenen Nationen", betonte sie.
Die Unter-Überschrift des Vertrags setze klare Akzente: "Wir haben vier große Bereiche: Soziale Stadt, ökologische Stadt, vielfältige Stadt und wirtschaftlich starke Stadt. Das alles geht nur im Ausgleich, es geht nur, wenn wir alle im Blick haben", betonte sie. Man müsse die Innenstadt und Außenbezirke genauso betrachten wie Arbeitnemer und Arbeitgeber, wie ÖPNV-Nutzer, Radfahrer, Fußgänger und Autofahrer. "Wir sind eine Regierung für alle", so die SPD-Politikerin weiter.
Die SPD übernimmt die Ressorts Stadtentwicklung, Inneres, Bildung und Wirtschaft, wie bereits zuvor bekannt wurde. Giffey erklärte dazu, in den kommenden zehn Jahren sollten 200.000 Wohnungen entstehen, dabei spiele der sozial bezahlbare Wohnungsbau eine entscheidende Rolle. Hinzu komme eine Aufstockung der Berliner Wohnraumförderung um 500 Millionen Euro pro Jahr, zudem das "Bündnis für bezahlbaren Wohnungsneubau".
Das Land wolle 2.000 neue Stellen schaffen mit Schwerpunkt Bildung, Inneres und Soziales, so Giffey. Im Bereich der Wirtschaft gehe es darum, das "Neustartprogramm" nach vorne zu bringen. "Wir wollen eine sehr enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft", so Giffey.
Die Grünen übenehmen die Ressorts Wissenschaft, Gesundheit, Finanzen und Umwelt. "Wir werden einen Klimaausschuss installieren, der dem Senat Vorschläge für mehr Klimaschutz machen wird", erläuterte die Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch. Die Verkehrswende gehe nicht nur weiter, sondern komme auch in den Außenbezirken an - durch den Ausbau des ÖPNV, so Jarasch.
Bei den geplanten Investitionen stehe Nachhaltigkeit im Mittelpunkt, betonte die Grünen-Politikerin weiter. Dabei gehe es sowohl um den Verkehrsbereich als auch um Gebäude. Für Anwohner und Kurzzeit-Parker kündigte sie höhere Parkgebühren an, für Touristen soll es ab 2024 ein verpflichtendes "Gästeticket" geben.
Die Linken behalten die Senatsressorts Kultur und Europa, Arbeit und Soziales und erhalten neu das Justizressort. Linken-Parteichefin Katina Schubert betonte dazu, man strebe eine "linke Rechtspolitik" an, die "deutliche Spuren" hinterlassen werde. Als Beispiel nannte sie den Untersuchungsausschuss zu den Neonazi-Vorgängen in Neukölln, der jetzt komme. "Wir werden uns um eine offene Gesellschaft stärker kümmern als bisher", betonte sie mit Hinweis auf das Ressort Antidismriminierung, das dem Justiz-Ressort angehöre.
Wer die Senatsposten einnimmt, steht noch nicht fest. "Das werden wir in den Parteigremien entscheiden", kündigte Jarasch an.
Die Grünen-Spitzenkandidatin Jarasch äußerte sich auf der Pressekonferenz auch zur Corona-Krise. Die neue rot-grün-rote Koalition wolle im Kampf gegen die vierte Corona-Welle das Impfangebot weiter ausbauen, kündigte sie an. Der wachsenden Bereitschaft zur Impfung müsse Rechnung getragen werden. Sie bekräftigte: "Impfen ist der einzige Weg aus dieser Pandemie."
Es sei gut, dass dieselben Parteien bereits in den vergangenen Jahren miteinander regiert hätten. So sei ein bruchloser Übergang im Kampf gegen die Pandemie möglich. Man werde in den kommenden Wochen alles tun, was notwendig sei, um die Corona-Welle zu brechen. Was genau zusätzlich geplant ist, sagte Jarasch aber nicht.
Bei SPD und Grünen müssen nun noch Parteitage über den Entwurf des Koalitionsvertrags abstimmen. Dies ist für den 5. beziehungsweise 12. Dezember geplant. Die Linken starten eine Urabstimmung, die bis zum 17. Dezember laufen soll. Die Wahl der künftigen Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey ist für den 21. Dezember vorgesehen.
Sendung: Inforadio, 29.11.2021, 12:00 Uhr
Eines der wichtigsten Ziele der rot-grün-roten Koalition ist es, den Wohnungsneubau und die dazugehörige Infrastruktur in der Stadt "mit höchster Priorität voranzubringen". Die Zielsetzung sei es 20.000 neue Wohnungen im Jahr zu bauen. Möglichst die Hälfte davon soll in dieser Legislatur im gemeinwohlorientierten und bezahlbaren Segment entstehen.
Bis 2030 sollen insgesamt 200.000 neue Wohnung errichtet werden. Der Wohnungsbau solle "insbesondere durch verträgliche Nachverdichtung, Aufstockung, Transformation im bebauten Bereich wie zum Beispiel Parkplätze, Nutzungsstapelung, graue Flächen und in neuen Stadtquartieren" realisiert werden.
Der Wohnberechtigungsschein (WBS) soll für alle in Berlin lebenden leistungsberechtigten Wohnungslosen mit geringem Einkommen ermöglicht werden - unabhängig von der Dauer des Aufenthaltsstatus. In Unterkünften nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz, Frauenhäusern und Einrichtungen der Kältehilfe untergebrachte Menschen sollen einen WBS mit höchster Dringlichkeitsstufe erhalten.
In Bezug auf den "Deutsche Wohnen Co. enteignen"-Volksentscheid einigten sich die drei Parteien auf einen Kompromiss: In den ersten hundert Tagen wird eine Expertenkommission "zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens" eingesetzt. Diese soll innerhalb eines Jahres Empfehlungen für das weitere Vorgehen erarbeiten. 2023 sollen die zuständigen Senatsverwaltungen dann gegebenenfalls Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz vorlegen.
Außerdem sollen Schlüsselprojekte des sozialen und ökologischen Stadtumbaus umgesetzt werden. Dazu gehörten unter anderem die Aufnahme der Planung des schrittweisen Rückbaus der A103 und A104. Dies solle in Absprache mit dem Bund passieren.
In Berlin soll es vorerst keine Citymaut geben. Es sollen aber weitere Einnahmequellen genutzt werden, um den Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs in der Hauptstadt mitzufinanzieren, wie es in dem Koalitionsvertrag heißt. Unter anderem sind höhere Parkgebühren und ein verpflichtendes Gästeticket geplant.
Laut Koalitionsvertrag sollen zum einen die Kurzzeitparkgebühren im ersten Halbjahr 2022 erhöht werden. Zum anderen sollen die Beiträge für die Anwohnerparkvignette bis spätestens 2023 auf zehn Euro im Monat steigen. Geplant ist außerdem ein Gästeticket für Berlin-Besucher, die zum Beispiel in Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen übernachten. In Absprache mit der Tourismus-Branche soll die "Welcome-Card" bis 2024 weiterentwickelt werden.
Insgesamt soll das Streckennetz weiter ausgebaut werden. Unter anderem sollen die Wiederinbetriebnahme der Heidekrautbahn und der Siemensbahn besonders priorisiert werden.
Auch die Taktung im ÖPNV soll deutlich erhöht werden. Hierbei liegt das Ziel bei einem 5-Minuten-Takt im Innenstadt- und einem 10-Minuten-Takt im Außenstadtbereich. Haltestellen sollen zukünftig nicht mehr als 400 Meter vom Wohnort entfernt liegen. Zudem soll die Seilbahn in den Gärten der Welt in Marzahn Teil des ÖPNV-Netzes werden.
RGR bekennt sich zum Flughafen BER. Es solle aber ein nachhaltiges Konzept erarbeitet werden, das den Airport auf eigenen Beinen stehen lassen soll. Eine dauerhafte Bezuschussung des Flughafenbetriebs durch Steuergelder solle verhindert werden.
In einem sogenannten "Zukunftsprogramm Krankenhäuser" will die Koalition in
dieser Legislaturperiode das Gesamtfördermittelvolumen für alle im Krankenhausplan
aufgenommen Krankenhäuser anheben. Unter anderem solle das Investitionen in den Klimaschutz beinhalten.
Charité und Vivantes sollen in Landesbesitz bleiben.
Pflegende Angehörige will die Koalition besser unterstützen. Mit einer
Kurzzeitpflegeinitiative sollen "kurzfristig" neue Plätze geschaffen werden.
Zur Rückgewinnung von Pflegekräften soll es ein gemeinsames Programm mit der Bundesagentur für Arbeit geben.
Laut dem Klimaschutzgesetz will der Bund bis 2045 Klimaneutralität erreichen. Die Berliner Koalition will dies schneller schaffen. Dazu beitragen soll auch ein sogenannter "Klimacheck" von Gesetzes- und Senatsvorlagen, um klimafreundlichere Alternativen zu stärken.
Schwerpunkte bei den Investitionen zum Klimaschutz will die Koalition unter anderem bei der energetischen Sanierung, dem Solarausbau, der Flächenentsiegelung und der Begrünung von Dächern und Fassaden setzen. Der Klimaschutz soll zudem in der Berliner Landesverfassung verankert werden.
Die zügige Umsetzung des Kohleausstiegs möglichst vor 2030 hat laut Vertrag Priorität. Die Koalition strebt an, dass die Kohlenutzung im Kraftwerk Moabit bis spätestens 2026 und im Kraftwerk Reuter-West bis spätestens 2028/29 beendet wird.
Um dem Lehrkräftemangel zu begegnen, einigten sich die drei Parteien darauf, Lehrerinnen und Lehrer wieder zu verbeamten. Berlin hatte die Lehrerverbeamtung vor rund zwei Jahrzehnten abgeschafft. Die Koalition will zudem das Probejahr an Gymnasien und das sogenannte Abschulen von Schülerinnen und Schülern auf Sekundarschulen abschaffen.
Die Gymnasien sollen künftig "Verantwortung für den Bildungserfolg aller aufgenommenen Schüler*innen übernehmen". Weitere Ziele sind unter anderem die Weiterentwicklung der Gemeinschaftsschule, eine beschleunigte Schulbauoffensive und der Ausbau der Schuldigitalisierung.
Die künftige Koalition will die Kultur in der Hauptstadt weiter stärken. Die Partner sehen Berlin als "Film- und Kinostadt Nummer Eins in Deutschland", für Drehgenehmigungen soll eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet werden. In der Stadt sollen zudem "dezentrale und niedrigschwellige Kulturangebote" bereitgestellt werden.
Der Anteil von Frauen in Leitungspositionen der Kulturinstitutionen soll erhöht werden. Um kulturelle Teilhabe "für alle" zu ermöglichen, soll der eintrittsfreie Sonntag pro Monat in den Museen fortgeführt werden. Chöre und freie Orchester sollen ebenso weiter gefördert werden wie die Pop- und Clubkultur.
Die Koalition will den verschiedenen Sicherheitsbehörden den Rücken stärken - und gleichzeitig das Sicherheitsgefühl der Bürger steigern. So sollen zum Beispiel Polizei und Justiz mehr Personal bekommen, sogenannte Kontaktbereichsbeamte auf das gesamte Stadtgebiet ausgedehnt und die zahl der Fahrradstreifen verdreifacht werden. Kriminalitätsbelastete Orte sollen nach den Plänen der künftigen Regierung in Zukunft videoüberwacht werden.
Laut Koalitionsvertrag ist außerdem ein verstärkter Kampf gegen die organisierte Kriminalität beabsichtigt - durch die gezielte Verfolgung von Geldwäsche und verstärkte Vermögensabschöpfung. Die neue Landesregierung will zudem entschiedener gegen Verstöße im Straßenverkehr und Autorennen vorgehen. Dazu sollen mindestens 60 zusätzliche stationäre und mobile Blitzer in Betrieb genommen werden.
Die Koalition will Berlin zu einem der bedeutendsten Wirtschafts- und Technologiestandorte Europas und die Berliner Wirtschaft zu einem Vorbild für nachhaltiges Wirtschaften entwickeln. Dazu sollen internationale Wirtschaftskooperationen mit anderen Regionen weiter unterstützt werden.
Besonders kleine und mittlere Unternehmen sollen bei der Suche nach weltweiten Ziel- und Potenzialmärkten und bei der digitalen Transformation unterstützt werden.
Das kostenlose, frei zugängliche WLAN in Berlin soll ausgebaut werden. Auch dem Ausbau von Glasfaseranschlüssen und dem Gigabitnetz soll hohe Priorität eingeräumt werden.
Starke kommunale Unternehmen, besonders die Anstalten des öffentlichen Rechts sollen einen Beitrag zu Klimaneutralität, Verkehrswende und bezahlbaren Preisen für öffentliche Güter der Daseinsvorsorge leisten.
Einkaufsstraßen sollen durch hybride Modelle von stationärem und online-gestütztem Handel attraktiver werden. Das will die Koalition mit städtebaulichen Maßnahmen wie Pickup-Stationen, Weiterbildung der Beschäftigten, Förderung von lokalen Online-Marktplätzen und der Weiterentwicklung klassischer Kaufhausstandorte und Malls erreichen.
Handwerksbetriebe und ihre Flächen sollen geschützt werden. Die Berliner Mischung soll durch den landeseigenen Gewerbeflächenbestand gesichert werden. Außerdem will die Koalition die Meisterausbildung von Frauen und unterrepräsentierten Gruppen unterstützen.
Der Anteil hochwertiger industrieller Fertigung in Berlin soll erhöht, Wertschöpfungsketten sollen erweitert werden. Dabei soll der Wandel hin zur Klimaneutralität unterstützt werden.
Der Flughafen BER und Tesla im Südosten Berlins sollen mit den Zukunftsorten Adlershof und Schöneweide über einen sogenannten "Innovationskorridor" konzeptionell verbunden werden.
Die Koalition will nicht durch Sparen aus der Krise kommen, sie will investieren. Sie will auch weiterhin Notfallkredite in Anspruch nehmen, um wegbrechende Steuereinnahmen in der Pandemie zu kompensieren. Zum Ende der Legislaturperiode strebt sie einen strukturell ausgeglichenen Haushalt an.
Analog zur bereits bestehenden Berliner Bodenfonds GmbH ist die Gründung einer Investitionsgesellschaft geplant. Darüber hinaus will die Koalition prüfen, einzelne Investitionsvorhaben für bestimmte öffentliche Zwecke verstärkt über kreditgestützte Fonds und Sondervermögen zu finanzieren.
Eine progressive Steuer auf überdurchschnittlich hohe Mieteinnahmen soll geprüft werden. Eine Umlage auf Mieter:innen soll dabei ausgeschlossen sein.
Landeseigene Grundstücke sollen grundsätzlich nur im Erbbaurecht vergeben werden. Grund und Boden soll kontinuierlich weiter angekauft werden - auch durch das kommunale Vorkaufsrecht.
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