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Exklusiv: rbb|24-Datenanalyse

Auffällig viele ungültige Stimmen in 99 Berliner Wahlbezirken

Eine rbb|24-Datenanalyse zeigt ungewöhnlich viele ungültige Stimmen in 99 Berliner Wahlbezirken. Das deutet auf systemische Probleme bei den Wahlen hin. Der Bezirkswahlleiter von Friedrichshain-Kreuzberg gesteht Fehler ein. Von Dominik Ritter-Wurnig und Sophia Mersmann

Seit Tagen mehren sich die Berichte, dass in Berliner Wahllokalen Stimmzettel aus anderen Wahlkreisen bzw. Bezirken ausgegeben und verwendet wurden.

Eine statistische Auswertung des rbb|24-Datenteams zeigt nun, dass es in mindestens 99 Wahlbezirken der Hauptstadt auffallend viele ungültige Stimmen gab. Betroffen sind davon mindestens 13.120 Stimmen bei allen Wahlgängen, die im vorläufigen amtlichen Endergebnis als ungültig gezählt wurden.

Der Bezirkswahlleiter von Friedrichshain-Kreuzberg, Rolfdieter Bohm, findet dafür klare Worte: "Wenn ein nicht-amtlich vorgesehener Stimmzettel verwendet wird, ist die Stimme ungültig."

Auch wenn der Wählerwillen auf diesen Stimmzetteln erkennbar sei, helfe das nichts, sagt Bohm. Ein Stimmzettel aus einem anderen Bezirk sei ein falscher Stimmzettel. Wie oft das vorgekommen ist, müssen derzeit die Bezirkswahlleiter an Hand der Niederschriften prüfen.

Bezirkswahlleiter gesteht Fehler ein

"Ich habe gehört, dass in den Wahlkreisen 5 und 6 in Friedrichshain-Kreuzberg AGH-Erstimmen-Wahlzettel des Wahlkreis 1 ausgegeben wurden. Das prüfen wir jetzt in den Niederschriften der Wahlvorstände", sagt Bezirkswahlleiter Bohm. "Wenn das stimmt, wäre es ein Fehler der hiesigen Wahlbehörden. Von uns. Ich will mich vor unserer Verantwortung nicht drücken."

Ob diese Wahlfehler signifikante Auswirkungen auf den Wahlausgang haben, muss der Bezirkswahlausschuss bewerten. Im Wahlkreis 5 in Friedrichshain-Kreuzberg [wahlen-berlin.de] etwa trennen den Zweiten, Steffen Zillich (Linke), nur 2222 Erststimmen vom Erstplatzierten Vasili Franco (Grünen).

"Wenn die falschen Stimmzettel Auswirkungen auf das Ergebnis haben könnten, dann müsste man nach einer entsprechenden Entscheidung des Verfassungsgerichts unter Umständen eine Nachwahl machen", sagt Bohm.

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99 statistisch signifikante Ausreißer

Für die Datenanalyse wurde das amtliche vorläufige Wahlergebnis der 2.254 Wahlbezirke ausgewertet und mit den Zahlen der letzten Wahlen verglichen. Als statistisch signifikante Ausreißer hat rbb|24 jene Wahlbezirk definiert, in denen der Anteil ungültiger Stimmen um fünf Prozentpunkte höher ist als beim letzten Wahlgang (Bundestagswahl Zweitstimmen, Abgeordnetenhauswahl Zweitstimmen sowie Bezirkswahlverordnetenversammlung).

Da man den Volksentscheid sowie Erststimmenwahlen zum Bundestag und Abgeordnetenhaus nicht mit vorhergehenden Wahlen vergleichen kann, sind hier alle jene Wahlbezirke als Ausreißer definiert, bei denen der Anteil ungültiger Stimmen um mindestens zehn Prozentpunkte vom Mittelwert abweicht.

Systematischer Wahlfehler

So hohe Anteile ungültiger Stimmen in 99 Wahlbezirken weisen auf systematische Fehler hin - etwa weil falsche Stimmzettel ausgegeben wurden oder der Briefwahlvorgang komplex war. Ein Systemfehler.

In der Analyse wurden Wahlbezirke aussortiert, die immer einen hohen Anteil ungültiger Stimmen haben.

Die untenstehende Grafik verdeutlicht, wie stark der Anteil ungültiger Stimmen in einigen Wahlbezirken gestiegen ist.

Landeswahlleiterin wusste bereits im August von den Problemen

Laut Bezirkswahlleiter Bohm wusste die Landeswahlleitung lange vor der Wahl, dass Stimmzettel falsch sortiert bzw. ausgegeben waren. Das hatte man bereits im August bemerkt. "Da haben wir eine Stichprobe gemacht und bemerkt, dass nicht alle Stimmzettel, wie in den Schachteln beschriftet, richtig eingeordnet waren", sagt Bohm.

Um die Wahlvorstände zu warnen, wurde laut Bohm ein Hinweisblatt produziert. "Die Landeswahlleitung hatte ein Hinweisblatt für alle Wahlvorstände gemacht auf dem sinngemäß stand: "Bitte prüfen Sie, ob die Stimmzettel passen."

Genützt hat es wohl wenig. Nebem dem Superwahltag und dem Marathon, erschwerte die Pandemie die Organisation. "Wir konnten nicht alle Wahlleiter schulen auf Grund von Corona", gibt Bezirkswahlleiter Bohm zu.

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Stimmzettel aus dem falschen Bezirk

Der Bezirkswahlleiter Bohm bestätigt auch, dass in Friedrichshain-Kreuzberg Stimmzettel aus einem anderen Bezirk in den Urnen gelandet sind. "Als ich davon erfahren habe, dass in Friedrichshain-Kreuzberg in einigen Stimmbezirken Zweitstimmenwahlzettel aus Charlottenburg-Wilmersdorf für die Abgeordnetenhauswahl ausgegeben wurde, haben wir sofort alle Wahlvorstände durchtelefoniert", sagt Bohm. Gemeinsam mit anderen bildeten sie sofort am Sonntag eine Telefonkette, um möglichst schnell alle durchzutelefonieren.

"Circa ein Viertel der Wahlvorstände, mit denen ich gesprochen habe - das waren die des AGH-Wahlkreises 1 - waren tatsächlich mit diesen falschen Wahlzetteln in Berührung gekommen. Einige hatten tatsächlich auch schon diese Stimmzettel an die Wähler ausgegeben. Diese Stimmen sind ungültig."

Laut vorläufigen amtlichem Endergebnis wurden im Wahlkreis 1 in Friedrichshain-Kreuzberg 607 Zweitstimmen ungültig gewertet.

Nachzählungen im Bezirk Neukölln angeordnet

Am Dienstag hat rbb|24 die Bezirkswahlleitung Neukölln mit drei statistischen Auffälligkeiten konfrontiert. Bei zwei Wahlbezirken der Bundestagswahl (08W317 und 08W507) erfolgt nun vorsorglich eine Nachzählung, antwortete die Bezirkswahlleitung am Mittwoch.

Bei einem Ergebnis der Bezirkswahl war es offenbar zu einem Zahlendreher gekommen - statt 104 gäbe es im Wahlbezirk 08W220 nur vier ungültige Stimmen. "Die Korrektur der Schnellmeldung/Datenerfassung ist nunmehr nachträglich erfolgt", sagt Kristian Schieman, die Bezirks- und Kreiswahlleiterin Neukölln.

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85.000 ungültige Stimmen beim Volksentscheid

4,6 Prozent der Stimmen beim Volksentscheid waren ungültig. Der Wert ist deutlich höher als bei den anderen gleichzeitig stattfindenden Wahlen, wo jeweils ein bis zwei Prozent ungültige Stimmen gezählt wurden.

Ein statistisch siginifikanter Ausreißer ist der Wahlbezirk 08324 in der Hermann-Sander-Grundschule in Neukölln, wo laut amtlichem vorläufigen Endergebnis [wahlen-berlin.de] über 69 Prozent der Stimmen ungültig gezählt wurden.

Selbst wenn alle 85.000 ungültigen Stimmen eigentlich gegen den Volksentscheid zu werten wären, würde sich das Ergebnis des Entscheids allerdings nicht ändern.

Beitrag von Dominik Ritter-Wurnig, Sophia Mersmann

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