BerlinTrend | Wohnen und Mieten
Mit dem Senat sind die Berliner herzlich unzufrieden, insbesondere beim Schutz vor Mietsteigerungen. Der gerade gescheiterte Mietendeckel ist dagegen populärer geworden - und der Ruf nach Enteignungen lauter denn je. Von Christoph Reinhardt
Beim Business-Frühstück des Vereins der Berliner Kaufleute und Industriellen (VBKI) konnte sich Ehrengast Markus Söder (CSU) am Mittwoch der allgemeinen Zustimmung völlig sicher sein: Der Berliner Mietendeckel - "das ist sozialistischer Quatsch", so die Analyse des bayerischen Ministerpräsidenten. "Und wenn dir dann noch gesagt wird, dass du möglicherweise enteignet wirst, wird kaum jemand in den Bereich investieren."
Damit mag Söder zwar die Zustimmung von Ökonomen, Kaufleuten und Industriellen finden – nicht aber die der Berliner Wählerinnen und Wähler. Der BerlinTrend von infratest dimap im Auftrag der rbb-Abendschau und der "Berliner Morgenpost" zeigt: Der Berliner Mietendeckel ist zwar vorm Verfassungsgericht an der fehlenden Zuständigkeit gescheitert, die ganz überwiegende Mehrheit der Befragten unterstützt die Idee eines Mietendeckels aber weiterhin.
75 Prozent der Berliner (und sogar 80 Prozent der Mieter) fänden es gut, wenn der für die Mietpreis-Regeln zuständige Bund einen Mietendeckel schaffen würde, der in Städten mit hohen Mieten für einen bestimmten Zeitraum die Miethöhe begrenzt. Bemerkenswert: Der Zuspruch für einen Bundes-Mietendeckel geht quer durch alle politischen Lager. 68 Prozent der Berliner CDU-Anhänger sprechen sich dafür aus, 62 Prozent der AfD-Anhänger - allein die FDP-Anhängerschaft lehnt die Vorstellung einer staatlichen Deckelung mehrheitlich ab. Aber nur knapp: Immerhin 45 Prozent der FDP-Anhänger sprechen sich für einen Bundes-Mietendeckel aus.
Innerhalb des rot-rot-grünen Lagers sorgt das Scheitern des Mietendeckels ebenfalls für Dynamik. Ausgerechnet die für die Umsetzung verantwortliche Linke erntet für ihre Politik die größte Zustimmung. Während insgesamt 67 Prozent der Berliner weniger oder gar nicht zufrieden sind mit dem Senat und seinen Anstrengungen, Mieter vor deutlich steigenden Mieten zu schützen, sind die Linken-Anhänger zu 57 Prozent zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Auch bei der Parteienkompetenz "für bezahlbaren Wohnraum sorgen" ist die Linke mit 24 Prozent Zustimmung inzwischen Berliner Spitzenreiter.
Vor allem auf Kosten der Sozialdemokratie: Bis zu den Wahlen 2016 stellte die SPD 20 Jahre lang die Stadtentwicklungssenatoren und war vor fünf Jahren noch unumstrittene Nummer Eins in diesem klassisch sozialdemokratischen Politikfeld (31 Prozent). Nun stürzte sie um fast die Hälfte ab auf nun 17 Prozent. Und das, obwohl der Mietendeckel in Landesregie ursprünglich eine Initiative aus SPD-Kreisen war. Unter anderen mit dem Ziel, den Linken und deren radikalerer Forderung nach Enteignungen von großen Wohnungsunternehmen etwas entgegenzusetzen.
Dass dieser Plan nicht aufgegangen ist, belegt der BerlinTrend auch an anderer Stelle. Anders als von der SPD erhofft, hat das gescheiterte Mietendeckel-Manöver die ordnungspolitisch heikle Enteignungsdebatte nicht beruhigt, sondern geradezu radikalisiert. Als der BerlinTrend im November 2019 (kurz vor dem Beschluss des Mietendeckels) fragte, ob die Berliner die Enteignung großer privater Wohnungsgesellschaften gut oder schlecht fänden, fanden das 61 Prozent schlecht und nur 29 Prozent gut.
Eineinhalb Jahre später und nach dem Aus des Berliner Mietendeckels ist die Stimmung gekippt. Enteignungen fänden jetzt 47 Prozent der Berliner gut, schlecht dagegen nur noch 43 Prozent. Wenn es nur nach den Mietern gehen würde, gäbe es sogar eine absolute Mehrheit für Enteignungen (51 Prozent). Besonders groß ist die Zustimmung bei den Jüngeren – von den Befragten im Alter zwischen 18 und 39 Jahren finden 57 Prozent Enteignungen gut.
Alles nur "sozialistischer Quatsch"? So leicht können es sich die Berliner CDU-Strategen nicht machen. Denn inzwischen findet jeder dritte Berliner CDU-Anhänger (33 Prozent) Enteignungen gut – Ende 2019 war es noch jeder fünfte (21 Prozent). Dieser Wählerkreis könnten sich bei den Grünen (61 Prozent Zustimmung zu Enteignungen) vielleicht eher zuhause fühlen. Ähnliche Probleme stehen der SPD ins Haus. Zwar lehnt immer noch die Mehrheit ihrer Anhänger (55 Prozent) Enteignungen ab – ebenso wie ihr noch Regierender Bürgermeister Michael Müller und die Spitzenkandidatin Franziska Giffey.
Aber nach dem Ende des Berliner Mietendeckels hat sich die Zahl der Enteignung-Befürworter auf 38 Prozent erhöht – vor dem Beginn des Mietendeckel-Manövers lag der Wert noch bei 28 Prozent. Falls am Wahltag parallel über das Volksbegehren "Deutsche Wohnen und Co enteignen" abgestimmt wird, könnten sich diese SPD-Anhänger überlegen, ob sie bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus tatsächlich der Spitzenkandidatin ihrer Partei die Stimme geben wollen, obwohl diese Enteignungen möglichst verhindern will. Oder sich stattdessen einer Partei zuwenden, die ihre Forderung nach Enteignungen unterstützt.
Beitrag von Christoph Reinhardt
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