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Quelle: rbb/Winkler

Pannen am Wahlsonntag

Wann eine Wahl angefochten werden kann

Schlange stehen sind nicht nur Berliner Berghain-Fans gewohnt. Was am Wahlsonntag passiert ist, könnte aber für einige ein guter Grund sein, ihren Einspruch gegen die Wahl geltend zu machen. Welche Möglichkeiten gibt es? Von Iris Sayram

Sie wurden gerufen und kamen zahlreich: Viele motivierte Wählerinnen und Wähler waren aber dann am Super-Wahlsonntag bitter enttäuscht, als sie nicht nur stundenlange Wartezeiten in Kauf nehmen mussten, sondern auch noch an der Wahlurne mit verwechselten – oder nicht vorhandenen – Stimmzetteln zu kämpfen hatten. Manche Wahllokale mussten sogar kurzfristig schließen.

Interview | Wahlhelfer zu Pannen in Berlin

"Die Zweitstimmen waren hemdsärmelig auf einem A3-Zettel kopiert"

Stundenlanges Anstehen, fehlende Stimmzettel: Der Wahlsonntag in Berlin war auch von zahlreichen Pannen geprägt. Für Frust sorgte das nicht nur bei den Wählenden. Ein Wahlhelfer berichtet von fehlender Kommunikation und verlorenen Stimmen.

Wie sind die Pannen am Wahlsonntag zu bewerten?

Man müsse bei allem Ärger differenzieren, "ob es sich um reine Unannehmlichkeiten handelt, oder wirklich justiziable Wahlfehler vorliegen", sagt Verfassungsrechtler Christian Pestalozza rbb|24. Nur wenn Fehler in der Organisation dazu führen, dass man von seinem grundrechtlich verbrieften Stimmrecht nicht ordnungsgemäß Gebrauch machen kann, kann laut Pestalozza, eine Wahl anfechtbar sein. Gewisse Wartezeiten seien daher vor allem in Pandemie-Zeiten zu tolerieren. Das betonte auch die Landeswahlleiterin Petra Michaelis bei ihrer Pressekonferenz einen Tag nach der Wahl.

Jedoch ist ebenfalls klar, dass stundenlanges Warten vor allem Älteren ab einem gewissen Punkt nicht mehr zugemutet werden kann – und so auch das Stimmrecht vereitelt werden könnte. Und mit Sicherheit problematisch ist es, wenn Stimmzettel fehlen oder gar vertauscht werden. Timm Beichelt, Politikwissenschaftler an der Viadrina, bewertete gegenüber dem rbb insbesondere die Nichtverfügbarkeit von Stimmzetteln als kritisch. Auch sei eine neutrale Stimmabgabe nicht möglich, wenn trotz Prognose und Hochrechnungen, Wahllokale bis 20.15 Uhr auf hätten. "Politikinteressierte Menschen könnten anders wählen, wenn sie schon Prognosen kennen", so Beichelt.

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Berliner wählten auch noch nach 20 Uhr

"In 20 Jahren nicht erlebt": Erfahrene Wahlhelfer schütteln die Köpfe über die Zustände bei der Berlin-Wahl. Probleme machten etwa fehlende Wahlzettel. Wähler gaben auch nach 20 Uhr noch ihre Stimme ab.

Wann ist eine Wahl anfechtbar?

Grundsätzlich hat jeder Wähler und jede Wählerin die Möglichkeit, Einspruch gegen eine Wahl einzulegen, wenn er oder sie meint, dass gegen einen oder mehrere Wahlrechtsgrundsätze verstoßen wurde.

Dennoch: "Ein bloßer Wahlfehler führt nicht per se zu einer Anfechtbarkeit einer Wahl", sagt Rechtsexperte Pestalozza. Vielmehr sei es auch erforderlich, dass sich dieser Fehler wirklich auf die Zusammensetzung der Parlamente ausgewirkt hat – die sogenannte Mandatsrelevanz –, also wenn ein Kandidat vielleicht nur wegen dieses Wahlfehlers keinen Sitz im Abgeordnetenhaus bekommen hat. Chaos in einem Berliner Wahllokal könne für die Bundestagswahl vielleicht noch in der Masse der Wahlkreise untergehen. Für das Abgeordnetenhaus könnte das indes anders aussehen.

Es gibt verschiedene Einspruchsmöglichkeiten für alle Wahlberechtigten – je nachdem, ob es um die Bundestagswahl oder die Abgeordnetenhauswahl geht.

Wie und wann kann ich Einspruch gegen die Bundestagswahl einlegen?

Bei der Bundestagswahl ist ein Einspruch direkt an den Bundestag zu richten. Dabei sollte so konkret wie möglich der vermutete Wahlfehler beschrieben werden. Die Frist für diesen Einspruch beträgt zwei Monate ab dem Tag der Wahl. Wer einen Einspruch einlegen möchte, hat also bis zum 26. November 00.00 Uhr Zeit seinen Fall schriftlich vorzutragen. Das ist auch per Fax möglich. Eine E-Mail reicht allerdings nichts aus. Die Adresse lautet: Deutscher Bundestag, Wahlprüfungsausschuss, Platz der Republik 1, 11011 Berlin.

Dieses Verfahren ist kostenlos. Lehnt der Bundestag den Einspruch ab, gibt es die Möglichkeit, eine Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen.

Nach der Bundestagswahl 2017 hat es übrigens 275 Einsprüche gegeben.

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Wie und wann kann ich einen Einspruch gegen die Abgeordnetenhauswahl einlegen?

Geht es um die Abgeordnetenhauswahl, ist das Verfahren einstufig. Hier müssen die Einsprüche direkt an den Verfassungsgerichtshof Berlin gerichtet werden – ebenfalls schriftlich. Dort wird geprüft. Bei diesem Verfahren beginnt die Einspruchsmöglichkeit erst, wenn das offizielle Endergebnis der Wahl im Amtsblatt verkündet wurde. Damit wird aktuell für den 14. Oktober gerechnet. Danach haben Betroffene noch einen Monat Zeit.

Einen Anwaltszwang gibt es hier nicht. Das Verfahren ist auch kostenlos. Es empfiehlt sich aber vor dem Gang zum Gericht, sich erstmal an die Landes- oder Bezirkswahlleitung zu wenden. Denn die Eingabe an das Gericht unterliegt formal strengen Regeln.

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Was geschieht, wenn der Einspruch erfolgreich ist?

Es kann dann dazu kommen, dass in dem betreffenden Wahlkreis oder Wahlgebiet eine Wahl wiederholt werden muss. Es ist jedoch noch nie vorgekommen, dass eine ganze Wahl zu Fall gebracht wurde. Aber auch die Wiederholung in nur kleinen Teilen kann für einige Betroffene und auch Abgeordnete wichtig sein, deren Einzug ins Parlament nur an wenigen Stimmen gescheitert ist. Auch sie könnten die Wahl in Teilen anfechten.

Wer trägt die politische Verantwortung?

Am Montag nach der Wahl war es auffällig still im Roten Rathaus, wo auch Innensenator Andreas Geisel (SPD) seinen Sitz hat. Die Landeswahlordnung regelt eindeutig, dass die Aufsicht bei der Senatsinnenverwaltung liegt. Die Pressestelle verweist gegenüber rbb|24 aber darauf, dass dies nur eine sogenannte Rechtsaufsicht sei, sie beziehe sich damit nicht auf die unmittelbare Durchführung der Wahl.

Was am Wahlsonntag vorgefallen ist, werde aber aufgearbeitet: "Insofern wird die Innenverwaltung von der Landeswahlleitung und den betroffenen Bezirkswahlämtern entsprechende Berichte anfordern, um den Senat von Berlin über den Wahlablauf informieren zu können", schreibt die Senatsinnenverwaltung.

Landeswahlleiterin Petra Michaelis hat daher gerade viel zu prüfen und viel zu berichten, auch der Bundeswahlleiter Georg Thiel verlangt eine Erklärung. Zahlreiche Beschwerden gingen zudem auch schon direkt bei ihr ein.

Sendung: Inforadio, 28.09.2021, 17 Uhr

Beitrag von Iris Sayram

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