Koalitionsverhandlungen zu Bauen und Wohnen
Wie will Rot-Grün-Rot die Mietenexplosion in Berlin stoppen, wieviel Neubau ist nötig? Am Freitag wird das Thema Bauen und Wohnen in der großen Verhandlungsgruppe der künftigen Koalitionspartner aufgerufen. Bisher herrscht mehr Dissens als Konsens. Von Boris Hermel
Zitieren lassen will sich niemand aus der Fachgruppe, die seit fast vier Wochen über Mieter:innenschutz und Neubaunotwendigkeiten brütet. Und doch wird geredet – hinter vorgehaltener Hand.
Die erste Unstimmigkeit zwischen SPD, Grünen Linken besteht schon in der Analyse des Wohnungsbedarfs. Die SPD, die das Thema Wohnen nach den Worten ihrer designierten Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey zur "Chefinnensache" machen will, hat die Zielzahl bewusst hoch gesetzt: Mindestens 200.000 neue Wohnungen bis 2030 sollen "konkret mit Stadtquartieren und Wohnungsbaupotentialen untersetzt werden", heißt es im gemeinsam beschlossenen Sondierungspapier. Für die Sozialdemokraten bedeutet das: 20.000 zusätzliche Wohnungen pro Jahr, gerechnet ab 2021.
Die SPD-Rechnung liegt viel höher als der Bedarf, der im gültigen Stadtentwicklungsplan Wohnen festgeschrieben ist. Auf den verweisen die Linken. Danach sind bis 2030 nur insgesamt 137.000 zusätzliche Wohnungen nötig. Darin miteingerechnet: die 16.000 Wohnungen, die in diesem Jahr noch fertiggestellt werden sollen. Schraube man die Zielzahl, wie die SPD es will, jetzt deutlich nach oben, würden unter anderem bis zu zwei Dutzend zusätzliche neue Schulen benötigt, argumentieren die Linken. Es sei schleierhaft, woher das Geld dafür kommen solle. Unterstützung bekommen die Linken bei ihrer niedrigeren Bedarfsrechnung auch vom Bund für Umwelt- und Naturschutz BUND.
Angesichts der stark auseinanderklaffenden Analyse haben die Verhandler:innen in der Fachgruppe sehr unterschiedliche Akzente gesetzt: Die Sozialdemokraten, so ist zu hören, wollen sich mit den 16 bereits geplanten neuen Stadtquartieren von den Buckower Feldern bis zum Schumacher-Quartier auf dem ehemaligen Flughafen Tegel nicht zufriedengeben.
Die SPD drängt auf weitere Flächen für Wohnungsneubau, vor allem auf die Elisabethaue im Norden von Pankow. Das 70 Hektar große Gebiet westlich von Französisch-Buchholz war schon bei den letzten Koalitionsverhandlungen 2016 Herzensangelegenheit der Sozialdemokraten, schaffte es aber wegen des kategorischen Widerstands von Linken und Grünen nicht in den Koalitionsvertrag. Nach dem Willen der SPD soll es jetzt als neues Stadtquartier wieder auferstehen, 5.000 Wohnungen könnten hier gebaut werden.
Linke und Grüne aber stemmen sich dem Vernehmen nach weiter dagegen. Ebenso gegen den SPD-Wunsch, die Debatte um eine Randbebauung des Tempelhofer Felds wieder aufzunehmen. In einem Volksentscheid im Mai 2014 hatte eine Mehrheit der Berliner:innen klar gegen jede Art der Bebauung des früheren Flugfeldes gestimmt.
Weil die SPD beim Neubau vor allem auf beschleunigte Genehmigungsprozesse und insgesamt mehr Tempo drängt, befürchten vor allem die Grünen, dass dabei der Fokus auf emissionsarmen und ökologischen Umbau auf der Strecke bleibt. Statt auf Beton setzen sie auf Neubauten mit begrünten Dächern und Fassaden, auf Holzbauweise.
Dass die SPD solche ökologischen Kriterien eher als Hindernis für schnelles Bauen versteht, hatte sie bereits am Ende der letzten Wahlperiode deutlich gemacht. Da kippten die Sozialdemokraten nach Kritik aus der Immobilienwirtschaft auf den letzten Metern die längst vereinbarte Novelle der Landesbauordnung, die die Begrünung von Dächern und die Pflicht, Neubauten aus recycelbarem Material zu errichten, festschreiben sollte.
Wie die Grünen schlagen auch die Linken eine regionale Bauhütte unter öffentlicher Regie vor, die selbst Fertigteile beispielsweise aus Holz für Neubauten produzieren soll. So könnten sich die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften unabhängig machen von den teuren und oft wenig nachhaltigen Modulen privater Anbieter. Nach anfänglicher Skepsis kann sich inzwischen wohl auch die SPD mit diesem Projekt anfreunden.
In die Zukunft verschoben haben die Verhandler:innen dagegen den Umgang mit dem erfolgreichen Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co enteignen". Hier will Rot-Grün-Rot eine Expertengruppe einsetzen, die ein Jahr lang prüfen soll, ob und wie man die Vergesellschaftung privater Wohnungskonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen umsetzen kann. Die SPD unter ihrer designierten Senatschefin Giffey hält davon bekanntermaßen wenig, die Linke dagegen hat das Volksbegehren aktiv unterstützt.
Je länger die Frage nach dem Umgang mit dem Volksentscheid schwelt, desto schwieriger könnte ein weiteres Ziel werden, auf das sich SPD, Grüne und Linke schon in den Sondierungsverhandlungen geeinigt hatten: Sie wollen ein Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen gründen, das auch die privaten Wohnungsunternehmen einbezieht. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen BBU hat schon vor Wochen darauf verwiesen, dass sich die privaten Konzerne kaum ernsthaft in einem solchen Bündnis engagieren würden, wenn das Damoklesschwert der Enteignungen weiter über ihnen schwebt.
Bei einem Thema aber herrscht dann doch Einigkeit zwischen SPD, Grünen und Linken. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das das kommunale Vorkaufsrecht für Wohnungen fast gänzlich gekippt hatte, erwarten alle drei Parteien eine Gesetzesänderung auf Bundesebene. Die Ampelkoalitionäre um Olaf Scholz müssten gewährleisten, dass der Vorkauf von Wohnungen durch die Bezirke wieder möglich werde, wenn sonst die Verdrängung von Mieter:innen drohe.
Beitrag von Boris Hermel
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