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Quelle: dpa/Stefan Jaitner

Analyse | Rot-Grün-Rot zu Sicherheitspolitik in Berlin

Innenpolitische Gretchenfragen

Das rot-grün-rote Bündnis steht sich in vielen politischen Fragen nahe. Teilweise gefährlich nahe, wie der emotionale Streit um die Enteignungsfrage zeigt. Gelingt Rot-Grün-Rot die Balance aus Sicherheit und Bürgerrechten? Von Christoph Reinhardt

Fast könnte man denken, die Verhandlungsführerinnen hätten während der nächtelangen Koalitionsverhandlungen ihre Sprechzettel durcheinandergebracht. SPD-Chefin Franziska Giffey, seit ihrer Neuköllner Zeit bekannt für eine harten innenpolitischen Kurs, schlägt bei der Präsentation der Ergebnisse klassisch linke Töne an. Zu einem Leben in Sicherheit gehöre weit mehr als die Abwesenheit von Gewalt, sagt sie. "Dazu gehört auch die Sicherheit vor sozialer Armut, vor Ausgrenzung, vor Abstieg." Und die grüne Verhandlungsführerin Bettina Jarasch setzt ihrerseits auf bürgerliche Tugenden.

Koalitionspläne für innere Sicherheit

Berlins kriminalitätsbelastete Orte sollen künftig per Video überwacht werden

Um die Sicherheit in Berlin zu erhöhen, sollen Kriminalitäts-Hotspots in Zukunft per Video überwacht werden. Darauf hat sich die rot-grün-rote Koalition verständigt. Ein weiterer Schwerpunkt soll auf der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität liegen.

Verschiedene Haltungen trotz Kompromissen

Kontinuität statt Aufbruch, der bisherige "Kurs des Ausgleichs von Sicherheit und Freiheit" werde "verstetigt und fortgesetzt". Und die Landesvorsitzende der Linken, Katina Schubert, beschwört Harmonie: "Dieser Koalitionsvertrag atmet immer mehr den Geist von Gemeinsamkeit", jede der drei Parteien könne sich darin wiederfinden.

Allerdings brechen neben den hart erarbeiten Kompromisslinien dann doch immer wieder die verschiedenen Grundhaltungen durch. Bei der künftigen Regierenden Bürgermeisterin Giffey ist diese vor allem repressiv: "Ganz klar ist, dass wir einen starken Staat wollen, einen der sagt, dass die Regeln durchgesetzt werden."

Jarasch spricht deutlich reservierter von einem "funktionierenden Rechtsstaat", bei dem "alle Menschen das Gefühl haben, dass dieser sie schützt". Die Linke Schubert spricht von den Schwachen in der Gesellschaft, den Opfern von Gewalt und anderen Übergriffen – durchaus auch solche durch den Staat und dessen Behörden.

Rot-grün-rote Gretchenfragen

Rot-Grün-Rot mag neu sein, die innenpolitische Gretchenfrage ist immer noch die alte: Wie hältst du es mit der Polizei? Beziehungsweise: Wie mit den Bürgerrechten? Für Giffey muss der Senat vor der Polizei stehen. "Es darf nicht darum gehen, dass wir die Polizei in eine Generalverdachtsposition bringen oder ihr Handeln erschweren." Linke und Grüne haben trotzdem ein Verbot von Racial Profiling durchgesetzt, das bei der Polizei nicht gut ankommen wird.

Anlasslose Polizeikontrollen etwa aufgrund der Hautfarbe oder äußerer Merkmale sollen ausdrücklich gesetzlich verboten werden. Die Beamten dürfen künftig nur dann kontrollieren, wenn sie das mit einem konkreten Verhalten der Betroffenen begründen können. Außerdem müssen sie den Betroffenen auf Verlangen die Kontrolle schriftlich quittieren und den Grund nennen. Das soll die Position der Menschen verbessern, die sich willkürlichen Kontrollen ausgesetzt fühlen - und bedeutet für die Polizei zumindest mehr Aufwand.

Kommentar | Rot-grün-rote Koalitionsverhandlungen

Nach der Hürde ist vor der Hürde

Mit der Einigung zur Stadtentwicklungs-Politik sind die letzten Zweifel ausgeräumt: Diese Verhandlungen werden nicht mehr scheitern, der Koalitionsvertrag wird zeitnah stehen. Aber danach wird’s unsicher, kommentiert Sabine Müller.

Berliner Polizei: für die einen die Lösung, für die anderen das Problem

Während für Giffeys SPD die Polizei die Lösung und nicht das Problem ist, ist es für die Linke umgekehrt. Von wegen Generalverdacht: Für sie steht die Polizei längst unter Verdacht und kann sich bestenfalls reinwaschen. Es gehe darum, das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden wiederherzustellen, so formuliert es Schubert. "Wir hatten viele Nachrichten aus den Sicherheitsbehörden, die eine Nähe zu Rechtsextremisten nahelegen – das muss und wird aufgeklärt werden."

Linke und Grüne wollten einen Untersuchungsausschuss, der die Ungereimtheiten der Ermittlungen zur Neuköllner Anschlagsserie aufklärt. Sie bekommen ihn, obwohl der SPD die internen Untersuchungen ihres Innensenators ausgereicht hätten. Alles hat seinen Preis: An einer anderen Stelle müssen Grüne und Linke den Wünschen der SPD entgegenkommen.

Geben und nehmen

Zu den klassischen innenpolitischen Reizpunkten gehört seit Jahrzehnten der Streit um
das richtige Maß bei der Videoüberwachung. Während die Linken im Wahlkampf eine "erhebliche Reduzierung" versprachen und die Grünen zumindest die Ausweitung verhindern wollten, betonte die SPD den Nutzen einer "temporären und anlassbezogenen" Videoüberwachung. Giffey will an kriminalitätsbelasteten Orten (KBO) wie zum Beispiel am Kottbusser Tor Kameras installieren lassen. Das Berliner Polizeigesetz ASOG (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz) gibt das aber bislang nicht her.

Als Kompromiss soll jetzt eine deutlich weitere Auslegung herhalten, "es ist ja die Frage, wie Sie anlassbezogen und temporär definieren", sagt Giffey. Immer für sechs Monate werde ein Kriminalitätsbelasteter Ort als solcher von der Polizei definiert. So lange solle auch die temporäre Videoüberwachung dauern, um gegebenenfalls um weitere sechs Monate verlängert zu werden, auch dann wieder temporär, und so weiter.

"Anlassbezogen" dagegen sei ja bereits der Grund, warum ein Ort zum KBO eingestuft wird: "Das ist eben die Kriminalität, die Dichte der Verbrechen, die dort begangen werden." Weil die Gerichte solchen Umdefinierungen kaum folgen dürften, hat die Koalition eine entsprechende Änderung des Polizeigesetzes ASOG vereinbart.

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Die Lieblingsthemen und ihr Symbolwert für die Parteien

Dabei könnten Linke und Grüne Giffey zwar durchaus noch Schwierigkeiten machen. Umgekehrt benötigen sie aber das Entgegenkommen der SPD beim Racial-Profiling-Verbot. Ob das zu einem Patt führt oder die vereinbarten Reformen tatsächlich kommen, wird auch davon abhängen, welchen Symbolwert die drei Parteien ihren Lieblingsthemen beimessen.

Auch wenn die Neuregelung de facto zu einer anlasslosen und dauerhaften Videoüberwachung führen würde (schon aufgrund des finanziellen und personellen Aufwands für die Polizei), würde sie sich nur an sehr wenigen Kriminalitätsbelasteten Orten auswirken, da ist man sich einig. Die Grüne Verhandlungsführerin Jarasch rechnet mit einer "niedrigen einstelligen Zahl". Wenn die grüne Basis das anders beurteilt, könnte die ASOG-Reform aber lange auf sich warten lassen. Schon bei der letzten Reform in der vergangenen Legislaturperiode brauchten die Koalition mehr als drei Jahre für eine Verständigung.

So manches kommt auf die lange Bank

Ganz offen auf die lange Bank für ansonsten unlösbare Probleme geschoben hat die Koalition den Umgang mit dem Verfassungsschutz. Statt die umstrittene Abteilung II der Innverwaltung in ihrer jetzigen Form abzuschaffen, wie es Linke und Grüne noch im Wahlkampf gefordert hatten, wird die Arbeit der Behörde zunächst unter wissenschaftlicher Begleitung "evaluiert". Zeitrahmen und Ergebnis sind zunächst offen, und ohne weitere Skandale könnte die Legislatur auch ohne größere Spuren am Berliner Verfassungsschutz vorbeigehen.

Populärer bei der rot-grün-roten Basis dürfte ohnehin der Umbau der Justiz bei der Strafverfolgung von Finanzdelikten und Geldwäsche sein. Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft soll enger, die Abschöpfung von kriminell erworbenem Vermögen ausgebaut werden. Der Organisierten Kriminalität den Kampf zu erklären, ist
zwar kein rot-grün-rotes Alleinstellungsmerkmal, aber die Grünen setzen immerhin einen
neuen Akzent. Fahrraddiebstähle, die viele Jahre lang von der Polizei eher wie ein
Kavaliersdelikt behandelt wurden, seien in vielen Fällen de facto Organsierte Kriminalität
von professionellen Banden, sagt die Grüne Jarasch – mit entsprechenden polizeilichen
Mitteln sollen sie künftig verfolgt werden.

Ein weiterer sicherheitspolitischer Akzent dürfte zwiespältiger aufgenommen werden. Die Koalition will die Zahl der Blitzer auf 60 erhöhen, kündigte Jarasch an, und die Bußgeldstelle der Polizei entsprechend verstärken. Finanzieren werde sich das letztlich von selbst, Ziel sei aber die Erhöhung der Verkehrssicherheit und der Schutz vor Rasern.

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Digitalisierung? - "Total kompliziert"

Sichtlich in Verlegenheit ist die Koalition beim innenpolitischen Thema der Bürgerämter bzw. der Verwaltungsdigitalisierung. Genau wie schon vor fünf Jahren ist bei den Bürgerämtern das Ziel, einen Termin innerhalb von längstens 14 Tagen zu ermöglichen.

Das Thema der Verwaltungsdigitalisierung dagegen sei "total kompliziert", musste die Linke Schubert einräumen. "Wir sind nicht so die Fachleute", entschuldigte sie mit Blick auf die drei Verhandlungsführerinnen das völlige Fehlen von Einzelheiten. Sie sollen
beizeiten nachgereicht werden.

Auch die Ankündigung einer umfassenden Reform der Zuständigkeiten zwischen Senat
und Bezirken blieb inhaltlich leer. Innerhalb eines Jahres sollen alle Geschäftsbereiche
gesetzlich geregelt werden, die bisherigen Regelungen sollen ein einem einheitlichen
Gesetz aufgehen. Ziel sei es, die zahlreichen Schnittstellenprobleme zwischen vielen
Ämtern auflösen und Projekte deutlich zu beschleunigen. Für alle Hauptstraßen in Berlin
solle beispielweise das Land zuständig sein, nicht die Bezirke – einschließlich Busspur,
Radwege und Bordsteinabsenkungen.

Die mit Abstand wichtigste Leerstelle der innenpolitischen Verabredungen ist allerdings
die Untersetzung der Vereinbarungen mit Personal. "Die Sicherheitsbehörden stärken" ist ein leicht zu formulierendes Ziel, die nötigen Mittel dafür zu bekommen ist schwer, denn viele Ressorts konkurrieren miteinander. Über die Verteilung von Stellen und Geld wurde bisher keine Verständigung erzielt. Wie belastbar die rot-grün-rote Sicherheitspolitik wirklich ist, zeigt sich frühestens dann.

Sendung: Inforadio, 25.11.2021, 21:20 Uhr

Beitrag von Christoph Reinhardt

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