Parteitag der Berliner SPD
So viel Harmonie war lange nicht in der Berliner SPD. Franziska Giffey ist die unbestrittene Spitzenkandidatin, das befürchtete Duell Müller gegen Kühnert bleibt aus. Doch die Frage, ob die SPD den Osten vergisst, könnte den Parteitag überschatten. Von Jan Menzel
Es soll die "Krönungsmesse" für Franziska Giffey werden. Die Bundesfamilienministerin ist schon seit ein paar Monaten als Spitzenkandidatin ihrer Partei unterwegs. Offiziell nominiert wird sie aber erst diesen Samstag. Die Corona-Pandemie verhindert die übliche große Parteitagsbühne. Die Delegierten müssen der Rede ihrer Frontfrau zu Hause am Laptop lauschen. Doch Giffey wäre nicht Giffey, wenn es ihr nicht gelänge, auch unter diesen Umständen den Funken überspringen zu lassen.
Zumal es für ihre Partei gar nicht so übel läuft. Die Grünen sind zwar nach wie vor Umfragekönige. Doch Giffey hat unbeirrt ihr Feld beackert. "Herzenssache Berlin" nennt sie ihre Tour durch die Bezirke, die sie mal in Industriegebiete, eine Großsiedlung am Stadtrand oder zum Kottbusser Tor führt. Dass die Umfragewerte für die Berliner SPD anziehen, verbuchen die Genossen da nur zu gern als "Giffey-Effekt".
Noch mehr gute Laune verbreitet in vielen Kreisverbänden, dass der befürchtete große Zoff um die Liste für den Bundestag ausfällt. Sowohl der Regierende Bürgermeister Michael Müller als auch Ex-Juso-Chef Kevin Kühnert wollten den ersten Platz - das mutmaßlich sichere Ticket in den Bundestag. Statt Hauen und Stechen mit Sieger und Verlierer wurde aber verhandelt: Müller wird die Nummer 1, Kühnert weicht auf Platz drei aus.
Auf dem zweiten Platz wird die Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe antreten. "Ein starkes Signal", nennt Co-Landeschef Raed Saleh diese Einigung. Was er nicht so offen sagt: Direkt dahinter auf den weiteren Plätzen geht der Ärger los.
Bis vor wenigen Wochen war völlig offen, wer jenseits von Platz 3 mit einer Mehrheit rechnen kann. Die beiden Landesvorsitzenden Saleh und Giffey hätten einfach keine Vorschläge gemacht und die Sache laufen lassen, kritisieren Mitglieder des Landesvorstands. Mehrere große Kreisverbände insbesondere aus dem Westen der Stadt ergriffen die Initiative und schnürten ein größeres Personalpaket.
Herausgekommen sei ein "sehr ausgewogenes Team", lobt der Tempelhof-Schöneberger Kreischef Lars Rauchfuß. Sein Verband gehört mit den Kreisen Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf zu den Schwergewichten in der Berliner SPD. Auf ihrer Bundestagsliste stehen Männer und Frauen, Bewerber mit Migrationshintergrund, erfahrene Politiker wie der Regierendende Bürgermeister Müller genauso wie der 31-jährige Kühnert. Für den 7. Platz soll mit der Lichtenberger Kreisvorsitzenden Anja Ingenbleek eine Politikerin aus dem Ostteil der Stadt unterstützt werden.
Dieser "Deal" der großen Verbände stößt denen, die nicht dabei sind, allerdings übel auf. Insbesondere Pankow fühlt sich ausgebootet. Keiner der Ost-Bezirke sei vorne mit dabei, kritisiert Pankows Kreischef Dennis Buchner. Für die SPD sei das ein strukturelles Problem. Das zu beheben, liege auch in der Verantwortung von Michael Müller und Kevin Kühnert, baut der Pankower Kreisvorsitzende Druck auf.
Auf dem Parteitag soll es nun eine Generalaussprache und mehrere Kampfkandidaturen geben. Besonders im Blick ist das Duell zweier junger Frauen. Die ehemalige Juso-Landesvorsitzende Annika Klose gilt als Favoritin für den vierten Listenplatz.
Sie ist gut vernetzt, hat die Nominierung der Frauen in der SPD in der Tasche und ist bei den Partei-Linken beliebt. Gegen sie tritt die Kommunalpolitikerin Ana-Maria Trasnea aus Treptow-Köpenick an. Sie wird von der AG Migration der SPD und von Franziska Giffey unterstützt und wirbt für sich als Vertreterin des Ostens.
Die Landesvorsitzende trommelte kürzlich mehrere Ost-Kreisverbände zusammen und machte sich dafür stark, dass Trasnea auf der Liste nach vorne rutscht. Wie die Sache ausgeht, ist nicht sicher.
Genauso unklar ist, wie offensiv Giffey die Ost-Karte auf dem Parteitag spielen wird. Tempelhof-Schönebergs Kreischef Rauchfuß sieht das Ganze mit einer Mischung aus Unverständnis und Sorge. Er und andere führende Sozialdemokarten fürchten, dass das Gerangel um die Listenplätze einen Schatten auf die Krönungsmesse der Spitzenkandidatin werfen könnte.
Beitrag von Jan Menzel
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