Berliner Spitzenkandidaten | Bettina Jarasch (Grüne)
Es sah für Bettina Jarasch nach einem glatten Durchmarsch an die Berliner Regierungsspitze aus. Doch die Werte fallen von Umfrage zu Umfrage. Die Zeit wird knapp. Jetzt will die Grüne zum Schlussspurt ansetzen. Von Iris Sayram
Termin am Roten Rathaus, Vorstellung des grünen Regierungsprogramms. Bedeutungsschwer ist der Platz gewählt. Denn die Grünen nehmen für sich weiterhin in Anspruch, das Rote Rathaus zu erobern, mit Bettina Jarasch als Regierender Bürgermeisterin. Doch je näher die Abgeordnetenhauswahl rückt, desto weiter entfernen sie sich von diesem Ziel. Die Umfragen sind schlecht. Bettina Jarasch verliert.
Die 52-Jährige tritt ans Mikrofon. "Berlin zur grünen Hauptstadt machen - klar geht das", beginnt Jarasch ihre Rede. Sie ist nicht deutlich zu verstehen. Ein Krankenwagen fährt mit lauter Sirene vorbei, Fußgänger telefonieren, die kaum Notiz von den grünen Visionen nehmen. Doch Jarasch lässt sich nicht aus dem Konzept bringen. Sie tut das, was sie häufig tut: Sie lächelt. Setzt dann neu an und spult das Programm runter, ohne zu stolpern.
"Wir stehen für wirkliche Veränderung", ist ihr Schlachtruf. Es sind viele Medienvertreter gekommen – sogar überregionale. Sie hätte den Termin auch zu einem Frontalangriff auf ihre Gegner nutzen können: etwa auf ihren Noch-Koalitionspartner SPD. Die Sozialdemokraten ließen noch in der Nacht ein für die Grünen wichtiges Lieblingsprojekt scheitern: das letzte Kapitel des Mobilitätsgesetzes. Hinter den Kulissen brodelte es deswegen an diesem Vormittag gewaltig.
Die SPD hatte da schon vermeintlich geheime Interna aus der Sitzung an einige Landespolitikreporter geleakt. Das Gesetz sei nur gekracht, weil die Grünen heimlich die City-Maut einführen wollten, so die Spin-Doktoren der SPD. In Wahrheit steht die City-Maut in dem Gesetz nicht einmal drin. Doch das Narrativ war in der Welt: Die Grünen wollen Autofahrer zur Kasse bitten. Jarasch sagt dazu an diesem Morgen nichts, sie schweigt und lächelt. Erst Tage später schaltet sie auf Kampf um gegen die SPD. Richtig böse klingt es dennoch nicht, wenn sie ihre Gegnerin Franziska Giffey kritisiert.
Es ist das Erste, was auffällt, wenn man Bettina Jarasch trifft: Sie wirkt wirklich aufrichtig herzlich. Zur großen Belustigung des gesamten Parlaments sagte das sogar der parteilose Andreas Wild mitten in seiner Rede: "Bettina Jarasch ist die einzige hier, die ein Herz hat", so der Abgeordnete, der selbst der AfD zu rechts war.
Sonntagmorgen, Alt-Mariendorf. Jarasch trifft sich für einen Fünf-Kilometer-Lauf mit einigen Parteikollegen. Zwei andere verteilen Partei-Flyer an alle, die nicht schnell genug reagieren. Ein Mann, der offenbar noch den Samstagabend in den Knochen hat, bekommt das Programm auch in die Hand gedrückt. Er schaut etwas verwirrt, torkelt dann aber damit von dannen. Besonders beliebt ist die Partei hier an diesem Morgen nicht. "Um Gottes Willen", ruft eine Fußgängerin beim Anblick der Gruppe. Ein älterer Mann sagt: "Die wähle ich niemals." Er meint die Partei - von Bettina Jarasch habe er noch nie gehört, sagt er. "Mal sehen, ob wir es alle ins Ziel schaffen", sagt Jarasch und lacht. Von ihren Mitstreitern lässt daran keiner einen Zweifel. Jarasch startet vorneweg.
Die studierte Philosophin und ehemalige Journalistin stammt ursprünglich aus Augsburg. Sie ist Mutter zweier Kinder, verheiratet. "Mein Mann hat in der Küche ein Schild aufgehängt, auf dem steht: 'Hier haben Grüne nichts zu melden'". Eine kleine Warnung, auch mal abzuschalten. Was ihr aber auch immer Kraft gebe, sei ihre Religion: "Ja, ich bin sehr katholisch", sagt sie im Gespräch, nicht ohne sofort die Kirche zu kritisieren: "Ich gehöre aber zu den Linksextremen dort, da gibt es einiges zu verändern."
Die Umfragewerte brächten sie nicht aus der Ruhe, sagt Jarasch. "Es ist noch alles offen", beschwichtigt sie bei einer kleinen Laufpause. Ins Schwitzen ist sie noch nicht gekommen.
Sie sei die absolut richtige Frau, auch wenn sie vielen Berlinern noch gänzlich unbekannt sei - das wiederholen Grüne im Westen sowie im Osten der Stadt, Sozialpolitiker und Innenpolitiker. "Es gibt keine Bessere", sagt etwa Benedikt Lux. "Franziska Giffey war bis zur Aberkennung ihres Doktortitels Bundesfamilienministern, daher startet sie bei der Bekanntheit an einem ganz anderen Punkt", wiegelt die Fraktionsvorsitzende Antje Kapek ab. "Giffey surft mit der SPD doch nur auf dem Bundestrend."
Das gilt für Jarasch allerdings auch, nur in die andere Richtung – im Bund verlieren die Grünen ebenfalls dramatisch. Doch Diskussionen, ob die Grünen vielleicht mit einer prominenteren Kandidatin besser gefahren wären, gebe es schlicht nicht, sagt Kapek. "Bettina Jarasch ist anpackend und mit klaren politischen Ideen, wie sie Berlin sozial und nachhaltig gestalten will. Ich selbst hätte zu sehr polarisiert", räumt die Fraktions-Chefin ein, die ebenfalls im Gespräch war, wie auch Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. Bei letzterer hätten die Linken in der Partei nicht mitgemacht, heißt es aus Parteikreisen. Jarasch sei es, auf die sich alle hätten einigen können. Aus gutem Grund.
Dieser Grund liege etwas zurück: 2011, als die Grünen nach der Wahl nur knapp ihre erste Regierungsbeteiligung verpassten. Vor allem auf Druck der Linken in der Partei wollten sie den A100- Stopp bei der SPD durchdrücken. Es wurden die wohl kürzesten Koalitionsverhandlungen der Geschichte. Klaus Wowereit zuckte nicht einmal kurz mit der Achsel, bevor er mit der CDU das Bündnis einging. Die Grünen waren erschüttert. Der Partei-Legende nach hat vor allem Jarasch hier heilend gewirkt.
Auf die Frage, wie ihr das gelang, winkt sie ab: "Ach, ich erzähle Ihnen lieber, wie ich heute Lösungen beim Mietenproblem suche." Jarasch hat erklärt, dass sie für den Volksentscheid am 26. September stimmen werde. "Aber nur, um Druck zu machen. Die Vergesellschaftung bleibt das letzte Mittel." Sie rede mit der Initiative, führe aber auch Gespräche mit der Deutschen Wohnen. Statt Mietendeckel preist sie nun den Mietenschirm: ein Mittelweg, der zwar auch kurzfristig die Mieten auf einem bestimmten Niveau einfriert möchte, aber eben attraktive Vergünstigungen für diejenigen Vermieter bietet, die freiwillig mitmachen. "Ich mache wenigstens ein Angebot, im Gegensatz zur SPD", sagt Jarasch. Es gehe bei dieser Wahl um eine absolute Richtungsentscheidung. Wandel gebe es nur mit den Grünen. Die SPD stehe für Stillstand, das brauche die Stadt nicht.
Jarasch lächelt in diesem Moment nicht. Sie schiebt die Ärmel ihres Laufshirts hoch und joggt die letzten Meter im Sprint, gefolgt von ihren Unterstützern, bis ins Ziel. So leicht wird der Schlussspurt der Wahl wohl nicht werden.
Beitrag von Iris Sayram
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