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Video: rbb|24 | 10.09.2021 | Material: Abendschau | Quelle: dpa/Jörg Carstensen

Berliner Spitzenkandidaten | Kai Wegner (CDU)

Netzwerker und Politik-Junkie

Kai Wegner ist in der Berliner CDU so beliebt wie kaum ein Parteichef vor ihm. Mit diesem Rückenwind will er die Union zurück an die Macht führen. Wäre da nur nicht ein Handicap: Nur rund die Hälfte der Berliner kennt ihn. Von Thorsten Gabriel

Es ist nicht leicht, sich in Berlin einen Namen zu machen. Zumindest nicht in der Politik. Das muss auch Kai Wegner in diesen Tagen erfahren. Da kann man Jahrzehnte im Betrieb mitmischen – und trotzdem sagt in einer Umfrage dann rund die Hälfte der Befragten: Kai Wer?

Dabei ist der 47-jährige nun wirklich kein Newcomer mehr auf der politischen Bühne. In den vergangenen 30 Jahren hat er so ziemlich alle Ämter und Mandate mitgenommen, die Partei und Parlamentsbetriebe zu bieten haben. Als er noch nicht einmal volljährig war, trat er 1989 in die CDU und die Junge Union ein. Er war Landeschef der Schüler-Union und der Jungen Union und steht seit knapp zweieinhalb Jahren an der Spitze der Hauptstadt-CDU. Er war Bezirksverordneter in Spandau, Mitglied des Abgeordnetenhauses und sitzt seit 16 Jahren im Bundestag.

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"Das schönste Ehrenamt, das man haben kann"

Wegner ist Politik-Junkie. Selten trat diese Sucht bei ihm deutlicher zutage als Ende 2016. Da waren – nach der haushoch verlorenen Abgeordnetenhauswahl – seine Tage als Generalsekretär der Partei gezählt. Die neue Landeschefin, Kulturstaatsministerin Monika Grütters, bat den Bundestagsabgeordneten Wegner, auf einen Vize-Vorstandsposten zu wechseln. Denn als General wünschte sie sich lieber einen Landesparlamentarier – als Gegengewicht zu sich selbst.

Wegner traf das damals schwer. Bei seiner Abschiedsrede schwärmte er vor den Parteifreunden vom "schönsten Ehrenamt, das man haben kann" und man spürte förmlich das Klammern am Amt. Als Generalsekretär ist man die markige Stimme der Partei, als Vizechef nur einer unter vielen, die kaum in Erscheinung treten. Wegner wusste das und trauerte. Und vermutlich reifte sogar schon an diesem Abend sein Entschluss, der neuen Parteichefin zu zeigen, wer in Wirklichkeit das Sagen in der Partei hat.

Auch vorn an der Rampe stehen

Für die vielbeschäftigte Monika Grütters wurde es eine holprige Amtszeit. Ihr Job als Staatsministerin nahm sie nahezu vollständig in Beschlag. Das missfiel vielen in der Partei. Sie sahen es nicht als Vorzug, dass eine der ihren sie prominent im Kanzleramt vertat. Sie fühlten sich stattdessen vernachlässigt. Wegner mit seinem feinen Gespür für die Seelenlage der Partei nahm das sehr genau wahr – und wusste es für sich zu nutzen. Zweieinhalb Jahre später hatte er Grütters auf einen Beisitzerposten verwiesen und stand nun selbst an der Spitze.

Natürlich hätte er es anders anstellen können. Er hätte auch aus der Vize-Position heraus die Stimmung in der CDU pushen können, hätte gegenüber den Parteifreunden die Vorzüge einer erfolgreichen Bundespolitikerin an der Spitze herausstellen und Grütters so den Rücken freihalten können. Hätte, hätte. Doch so ist Kai Wegner einfach nicht gestrickt. Die zweite Reihe ist nicht seine – höchstens übergangsweise. Er will nicht nur Netzwerker im Hintergrund sein, er will auch vorn an der Rampe stehen. Im Hintergrund schuften, im Vordergrund strahlen.

Inhaltlich um einen Spagat bemüht

So eine Haltung kommt an in der Berliner CDU. Sie lieben Typen wie ihn. Männer, die jeden Abend und jedes Wochenende auf Parteiveranstaltungen herumturnen, immer ansprechbar sind und außerdem noch knackige Worte finden, wenn es darum geht, der Regierung eins mitzugeben. Wegner ist ein Vollzeit- und vor allem Vollblut-Politiker der alten Schule. Ein "Meine Frau hält mir den Rücken frei"-Mann. Er ist zum zweiten Mal verheiratet und hat drei Kinder, das älteste im Teenager-Alter. Aus seinem Credo macht er keinen Hehl: Erst die Partei – "sieben Tage die Woche, unermüdlich" –, dann die Familie. Es ist schließlich sein politisches Erfolgsrezept.

Was die Inhalte angeht, besteht Wegners Erfolgsrezept darin, sich möglichst nicht festnageln zu lassen. Ein herausragendes Herzensthema ist bei ihm nicht wahrnehmbar. Es gab Zeiten, da hätte man ihn als lupenreinen Law-and-Order-Konservativen einsortiert. Doch das war einmal. Vom früheren Hardliner-Innensenator Heinrich Lummer – ein Spandauer wie er – spricht er zwar noch heute voller Respekt, doch ansonsten ist Wegner stets um einen Spagat bemüht: Altgediente Parteifreunde nicht zu sehr verschrecken, aber im besten Falle noch neue Anhänger für sich gewinnen.

Neue Antworten

In der Verkehrspolitik etwa setzt auch die CDU mittlerweile stärker auf Busse, Bahn und Rad. "Die Antworten, die wir vor zehn oder 20 Jahren gegeben haben, sind nicht mehr die richtigen Antworten, die wir heute geben sollten", argumentierte er bei einer Mitgliederkonferenz im vergangenen Jahr. Trotzdem vermeidet er Sätze, die den autofahrenden Teil seiner Partei – und das dürfte der überwiegende sein – verstören könnte. Dass mehr Radwege zwangsläufig weniger Raum für den Autoverkehr bedeuten, bleibt bei Wegner im Ungefähren.

Auch wenn es um die Mieten- und Wohnungspolitik geht, ist es längst nicht so, dass die Union außer "Bauen, bauen, bauen" keine Konzepte hätte. Aber wenn es ums Mietrecht geht, spielt die Musik nun mal im Bund. Geradezu genüsslich räumt Wegner ein, die Union sei bei diesem Thema auf Bundesebene "häufig hinterhergelaufen". Entscheidende Gesetze wie etwa die Mietpreisbremse seien zwar in der Amtszeit von Angela Merkel entstanden, aber "man hatte schon eher den Eindruck, die CDU musste dorthin getragen werden und wir hätten vielleicht stärker vorangehen, das Problem stärker erkennen müssen”.

An die Macht zurück geht es wohl nur mit der SPD

Nicht erst seit dem Zuspruch, den Mietendeckel und Enteignungsvolksbegehren erfahren haben, weiß Wegner, dass seine Partei auf diesem Feld insbesondere in der Innenstadt viel Potenzial verspielt hat. Doch mit dem Zeigefinger Richtung Bund zu deuten, heißt auch, mit vier Fingern auf sich selbst zu weisen. Wegner war in der vorangegangenen Legislaturperiode Großstadtbeauftragter der Unionsfraktion im Bundestag. Insofern ist das zögerliche Handeln der Union auf Bundesebene letztlich auch eine Niederlage für ihn.

Trotzdem helfen ihm selbstkritische Sätze wie die zur Mietenpolitik, sich Koalitionsoptionen offen zu halten. Nach jetzigem Stand kann es die CDU nur zusammen mit der SPD zurück an die Macht schaffen. Abseits davon sind keine Bündnisse mit der Union mehrheitsfähig. Mit der AfD hat Wegner jegliche Zusammenarbeit ausgeschlossen, eine Koalition mit der Linken kommt für die CDU (wie umgekehrt wohl auch für die Linke) traditionell nicht in Frage.

Zu den Grünen pflegt Wegner seit Jahren ein entspanntes Verhältnis. Mit führenden Köpfen ist er per Du. Zurzeit bedauert er zwar, das grüne Wahlprogramm biete kaum Anknüpfungspunkte für die CDU. Aber noch im vergangenen Jahr, kurz vor dem ersten Lockdown, hatte er sich Fraktionschefin Antje Kapek zum Talk in die CDU-Zentrale eingeladen. Da konnte man den Eindruck gewinnen, die zwei würden auch zusammen regieren, hätten bloß ihre Parteien nichts dagegen. "Antje, vielleicht sind wir uns da ja einig: Ich glaube, es wird höchste Zeit, dass das Bildungsressort aus den Händen der SPD kommt", schob er der Kreuzbergerin den Ball zu. Die wusste diplomatisch zu erwidern: "Lieber Kai, ihr könnt euch ja ein bisschen anstrengen. Vielleicht seid ihr ja beim nächsten Mal dabei, wer weiß."

Beitrag von Thorsten Gabriel

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