Berliner Parteien vor dem Wahlkampf
Nun steht es fest: Berlin muss nochmal wählen, weil 2021 zu viele Pannen passiert sind. Die Parteien haben das kommen sehen, der Wahlkampf ist längst entbrannt. Die Stimmzettel sind bei der Wiederholungswahl die gleichen, für die politischen Vorzeichen gilt dies nicht. Von Sebastian Schöbel
Es ging kein Aufschrei des Entsetzens durch die politische Landschaft Berlins, als um 11:26 Uhr das Urteil zur Wahlwiederholung in Berlin verkündet wurde. Im Gegenteil: So historisch dieser Richterspruch ist, so erwartbar war er auch. Zu unmissverständlich drückte sich Gerichtspräsidentin Ludgera Selting gleich zum Beginn des Verfahrens aus: Eine Wiederholungswahl sei eigentlich unumgänglich, wegen der vielen Pannen. Fast wortgleich begründete sie nun auch das Urteil. Berlins Politikerinnen und Politiker waren also vorgewarnt.
Entsprechend wahlkämpferisch fielen die Reaktionen auf den Richterspruch aus. CDU-Chef Kai Wegner wetterte vor allem gegen die SPD. Die Wiederholungswahl sei nun "eine Chance auf einen echten Neustart", sagte er und probierte auf Instagram gleich mal den CDU-Wahlkampfslogan aus: "Berlin, wähl dich neu!"
AfD-Chefin Kristin Brinker stieß ins selbe Horn und sprach von einer "Chance", die Berlin "maßgeblich" der Klage der AfD zu verdanken habe. Und auch FDP-Chef Sebastian Czaja forderte umgehend eine "Kehrtwende" in der Politik.
Franziska Giffey, die Regierende Bürgermeisterin, nahm sich in ihrem Statement vor dem Roten Rathaus derweil noch die Zeit, darauf hinzuweisen, dass sie persönlich nicht fürs Wahldebakel verantwortlich sei – wohlwissend, dass die Opposition ihrer SPD und vor allem dem damaligen Innensenator Andreas Geisel die Schuld geben würde. Dann leitete sie von der Neuaufstellung der Wahlorganisation nahtlos über zum Entlastungspaket, dass ihr Senat auf den Weg gebracht hat. "Dass wir Berlin gut durch diese Krise bringen wollen, ist unser Auftrag." Das Wort "Krise" benutzte Giffey in ihrem 5-minütigen Statement gleich siebenmal. Die verpatzten Wahlen und das angekratzte Vertrauen vieler Menschen in die Demokratie waren damit freilich nicht gemeint.
Auch Katina Schubert, die Landesvorsitzende der Linken, bemühte das Krisen-Bild. "Wir übernehmen weiter unsere Verantwortung, die Menschen in unserer Stadt sicher und warm durch die kommenden Monate zu bringen", so Schubert.
Das Führungsteam der Berliner Grünen, Susanne Mertens und Philmon Ghirmai, ließ wissen, man sei "auf den nun leider anstehenden Wahlkampf sehr gut vorbereitet".
Doch während die Wahl von 2021 nun mit denselben Kandidaten wiederholt werden muss, lassen sich die politischen Umstände nicht so leicht reproduzieren. Die Ausgangslage für die Parteien haben sich zum Teil grundlegend geändert - mit möglicherweise weitreichenden Auswirkungen.
So kämpft Franziska Giffey darum, eine volle Legislaturperiode als Regierende Bürgermeisterin zu erleben. Beim letzten BerlinTrend kam ihre SPD nur auf Platz drei, hinter Grünen und CDU. Auch deswegen versucht sich Giffey, als Krisenmanagerin zu profilieren – zur Not auf Kosten ihrer Koalitionspartner, allen voran den Grünen. Das verbilligte ÖPNV-Ticket reklamierte Giffey flugs für sich, und auch beim auf drei Milliarden Euro aufgestockten Nachtragshaushalt versuchte vor allem die SPD, eigene Akzente zu setzen, etwa mit einem Zuschussprogramm für strauchelnde Unternehmen.
Ob das Giffey und der SPD nützt, werden die nächsten Umfragen zeigen. In denen lagen bislang nämlich die Grünen vorn. Dabei hatten die zuletzt kaum Chancen, mit ihrem politischen Spitzenpersonal zu punkten. Gesundheitssenatorin Ulrike Gote konnte sich nicht als Pandemiebewältigerin auszeichnen, weil das Thema aus den Schlagzeilen raus ist. Und die einstige Spitzenkandidatin Bettina Jarasch musste als Verkehrssenatorin zuletzt eher empfindliche Klatschen einstecken, etwa das Scheitern des Verkehrsexperiments auf der Friedrichstraße. Den Widerstand gegen den Weiterbau der A100 machen ihr die Linken streitig, das vergünstigte ÖPNV-Ticket die SPD. Bleiben noch die Klimaaktivsten, die der grünen Parteibasis aus der Seele sprechen – wegen ihrer kontroversen Blockaden aber etliche Wähler:innen verschrecken dürften.
Zur denkbar ungünstigsten Zeit kommt die Wahlwiederholung aber für die Linken. Der Richtungsstreit in der Bundespartei über die Russlandpolitik und eine Serie von Wahlschlappen hängen auch dem vergleichsweise erfolgreichen Berliner Landesverband wie ein Stein um den Hals. Die Angst, vom negativen Bundestrend eingeholt zu werden, hat sich seit der Wahl 2021 sicherlich nicht gelegt. Die für Linken-Wähler so wichtige Mietenpolitik, die vor gut einem Jahr noch in aller Munde war, ist durch die Energie- und Flüchtlingskrise kaum noch ein Thema: Staatshilfen gegen steigende Gas- und Ölpreise sind gerade dringlicher als die Vergesellschaftung der Immobilienkonzerne.
Zudem ist es ruhig geworden um Spitzenkandidat Klaus Lederer: 2021 konnte der sich in der Pandemie noch als "Retter der Kulturlandschaft" beweisen. Inzwischen hat ihn Sozialsenatorin Katja Kipping in der Rolle als linke Leitfigur abgelöst. Die organisiert derzeit recht erfolgreich die Unterbringung tausender Flüchtlinge in der Stadt und hat nebenbei Zeit, mit ihrem "Netzwerk der Wärme" einen neuen ur-linken, sozialpolitischen Impuls für mehr Solidarität zu setzen – und damit Giffey den Titel der "Bürgermeisterin der Herzen" streitig zu machen.
Gut möglich also, dass sich Berlins Linke bei dieser Wiederholungswahl auch eine neue Führungsfigur geben - selbst wenn Kipping gar nicht offiziell Spitzenkandidatin ist, sondern nur als aktive Senatorin im Wahlkampf auftritt. Die Schwierigkeit: Bislang hat Kipping jegliche Ambitionen auf den Führungsposten weit von sich gewiesen.
Für CDU und FDP bleibt hingegen nur die Hoffnung auf ein drastisch anderes Wahlergebnis. Dass SPD-Chefin Giffey einer rot-schwarz-gelben Koalition nicht abgeneigt war, ist bekannt. Doch inzwischen dürfte sich die Lust darauf bei der SPD abgekühlt haben – erst recht seit die Sozialdemokraten nach dem letzten BerlinTrend befürchten müssen, bei der Wiederholungswahl hinter den Christdemokraten zu landen. Mit den Grünen gab es derweil ohnehin kaum inhaltliche Gemeinsamkeiten - und seit die CDU ihre Rhetorik gegenüber den Klimaaktivsten der "Letzten Generation" sehr verschärft hat, noch weniger.
Die FDP wiederum muss mit Sorge auf die 5-Prozent-Hürde schauen. Ähnlich wie bei den Linken liegt ein Jahr der Wahlschlappen hinter den Liberalen, in Niedersachsen flogen sie gar aus dem Landtag, und die im Bund regierende FDP erfreut sich nicht gerade großer Beliebtheit.
Die AfD wiederum ist zuletzt nur wenig aufgefallen – und so könnten nur wenige bemerkt haben, dass die Partei weiter nach rechts gerückt ist. Im Fraktionsvorstand sitzen inzwischen mit Thorsten Weiß und Jeannette Auricht zwei Abgeordnete, die einst dem "Flügel" des Rechtsextremisten Björn Höcke nahestanden. Bei der anstehenden Wiederholungswahl wird es der Partei vor allem darum gehen, ihr Ergebnis von zuletzt 8 Prozent zu verbessern, mit Hilfe der wachsenden Verunsicherung in der Bevölkerung ob der schwierigen wirtschaftlichen Lage. Die letzten Umfragen prognostizierten der AfD ein zweistelliges Ergebnis.
Der Wahlkampf hat auf jeden Fall begonnen, und auch, wenn die Plakate ob der Feiertage dieses Mal kürzer hängen: Weihnachtlich-beschaulich wird es in der Berliner Politik sicherlich nicht werden.
Sendung: rbb24 Abendschau, 16.11.22, 19:30 Uhr
Beitrag von Sebastian Schöbel
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