Junge Erstwähler bei Berlin-Wahl
Bei der Berliner Wiederholungswahl am 12. Februar dürfen viele Jugendliche erstmals ihre Stimme abgeben. Doch die Wahlbeteiligung ist bei jungen Menschen meist geringer als bei Älteren. Woran das liegt und was sich ändern müsste. Von Franziska Hoppen
So etwas ist eigentlich nicht erlaubt. Nicole Kleeb hat mal eben diverse Stimmzettel selbst ausgefüllt und mischt sie nun mit anderen, die gerade frisch aus einer aufgebrochenen Urne geflattert sind. "Wir machen mal etwas, das eigentlich illegal ist. Damit ihr was zu zählen habt."
Zum Glück sind die Stimmzettel nicht echt. Und das hier ist kein Wahllokal, sondern ein umfunktionierter Raum in der Landeszentrale für politische Bildung. Um Kleeb herum sitzen etwa 20 Jugendliche, gerade volljährig. Sie wollen am 12. Februar nicht nur zum allerersten Mal wählen - sie lassen sich gleich noch als Helfer für die Wahllokale ausbilden.
Kleeb ist ihre Trainerin beim eintägigen "Erstwahlprofis"-Workshop, einem gemeinsamen Projekt von der Bertelsmann-Stiftung und Haus Rissen [erstwahlprofis.berlin]. Morgens Theorie, Nachmittags Rollenspiel für den Ernstfall. Wer hier mitmacht, hat die Zusage von Landeswahlleiter Stephan Bröchler, bei der Wiederholungswahl oder spätestens dem Volksentscheid "Berlin 2030 Klimaneutral" im Wahllokal arbeiten zu können. Auch Erfrischungsgeld wird es geben am 12. Februar, sogar 240 Euro.
Und der Kurs hat noch ein Ziel: "Die Wahlbeteiligung junger Menschen liegt üblicherweise deutlich unter dem Durchschnitt", sagt Kleeb. "Mit diesem Projekt wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass junge Menschen sich für die Demokratie begeistern und Botschafter der Demokratie werden, ihre Peer Groups, Bekannten, Freunde und Familien mit begeistern, wählen zu gehen", erklärt Trainerin Kleeb.
Denn tun sie das nicht, entsteht eine Art demokratische Schieflage. Auch wenn es bei der AGH-Wahl 2021 eine vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung unter den Jüngeren gab [download.statistik-berlin-brandenburg.de]: Grob gesagt nimmt mit zunehmenden Alter die Wahlbeteiligung zu [bnp.de]. Zudem gibt es in Deutschland - auch in Berlin - immer mehr ältere Menschen. 2021 lebten in der Hauptstadt laut Statistischem Bundesamt fast 50.000 60-Jährige, aber nur rund 30.000 18-Jährige.
Werden alle Stimmen zusammengezählt, gehen die wenigen Stimmen der wenigen Jugendlichen in der Masse unter. Dabei sind - logisch betrachtet - gerade die Jugendlichen die Zukunft der Demokratie.
Bei den angehenden "Erstwahlprofis" ist die Motivation deshalb umso größer. "Ich freue mich, dass ich das erste Mal selbst auch aktiv Einfluss auf die Politik haben kann", sagt Ole Sturm, 18 Jahre alt. Und auch Gabor Gothe, ebenfalls 18, findet: "Das ist irgendwie cool, direkt so einen Einfluss zu haben auf das Abgeordnetenhaus."
Mit 16 Jahren konnte Gabor schon für seine Berliner Bezirksverordnetenversammlung wählen, jetzt wähle er für das "big picture", wie er sagt. Denn für die Wahl zum Abgeordnetenhaus oder zum Bundestag muss man volljährig sein.
Besonders wichtig, da scheinen sich im Kurs alle einig: die Klimapolitik. Gegen die Klimakrise werde momentan noch nicht genug getan. Aber auch Wohnungs- und Familienpolitik wollen die Jugendlichen in Berlin aufmischen. Dieses Mitbestimmen, für Selma Boudjeema ist es auch "ein ganz neuer Schritt ins Erwachsenenleben."
Doch so richtig direkt werden die Jugendlichen von den Berliner Parteien im aktuellen Wahlkampf nicht angesprochen. "Das ist eben eine riesige Herausforderung, gerade jetzt", sagt Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin. Der Berliner Superwahltag im September 2021 hatte die Wahlkampfkassen leergespült.
Zwar konnten die größeren Parteien in den vergangenen Monaten noch Geld organisieren, doch damit muss nun streng gehaushaltet werden. Für die Erstwählenden fällt die Kosten-Nutzen-Analyse schlecht aus, sagt Faas. Zusätzliche, professionelle Werbung auf Tiktok, Instagram und Facebook zu schalten, obwohl junge Menschen deutlich weniger wählen als alte, belaste die Kasse. "Die Gruppe der jungen Menschen ist vergleichsweise klein", sagt Faas, "die Wahlfreude ist nicht immens groß. Das erklärt, warum häufig in Wahlkämpfen zwar jugendliche Ansprache versucht wird, es im Kern aber darum geht, ältere Menschen anzusprechen, von denen es viel mehr Wahlberechtigte gibt."
Dabei müsste die Politik gerade um die Jugendlichen buhlen. Denn machten ihre Eltern noch ihr Leben lang ihr Kreuz bei der einen Volkspartei, haben die Jungen heute kein Problem, flexibel auf einem Parteien-Spektrum hin und her zu springen. Wobei das ein Trend ist, den Faas zunehmend insgesamt beobachtet.
Die Zahlen zeigen auch: Wissen und das Interesse mitzuwählen ist bei Jugendlichen durchaus vorhanden. "Sie brauchen dann vielleicht ein bisschen mehr Anlass, um zur Wahl zu gehen", sagt Faas. Das Elternhaus spiele zum Beispiel eine wichtige Rolle. Ist es für die Eltern normal, wählen zu gehen, kämen die Kinder auch eher mit. Insgesamt aber ist Faas wichtig zu betonen: Erstwähler sind keine homogene Gruppe. Dafür seien die Jugendlichen dann doch zu vielfältig und vielseitig - und wählten auch mal ganz anders als links-grün. Bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus übrigens am dritthäufigsten die FDP.
Die Wiederholungswahl am 12. Februar wollen die "Erstwahlprofis" definitiv besser machen. "Weil jetzt auch die ganze Republik auf diese Wahl schaut, bemühen sich die Berliner abzuliefern - und nicht nochmal als Hauptstadt blöd dazustehen", prognostiziert Gabor. "Ich denke, da wir jetzt die sehr gut ausgebildeten Wahlhelfer sind, wird es diesmal gut laufen", fügt Selma hinzu und grinst.
Sendung: rbb24 Abendschau, 13.01.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Franziska Hoppen
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