"Ihre Wahl: der Kandidatencheck"
Der Schlagabtausch der sechs Spitzenkandidatinnen und -kandidaten vor der Berlin-Wahl im rbb zeigte vor allem beim Thema Verkehr verhärtete Fronten. CDU-Mann Kai Wegner betonte, bei dem Thema nicht mit den Grünen zusammenfinden zu können.
Wohnen und Verkehr, Sicherheit und Integration - das waren die großen Themen der Diskussionsrunde "Ihre Wahl 2023" am Dienstagabend im rbb-Fernsehen. Bei einigen Themen verstrickten sich die Spitzenkandidat:innen in Detail-Diskussionen, besonders deutlich ging es im Streit um das künftige Verkehrskonzept der Hauptstadt zu. Hier war Bettina Jarasch, die aktuelle Verkehrssenatorin und Spitzenkandidatin der Grünen fast auf sich alleine gestellt.
Jarasch bekräftigte ihre Pläne, auch weiterhin Parkflächen umbauen zu wollen, beispielsweise in Radwege. "Wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen und auch noch sicher auf den Straßen unterwegs sein wollen, dann müssen wir den Platz umverteilen um sichere Rad- und Fußwege zu schaffen", sagte sie. Viel Gegenwind gab es dafür von den Spitzenkandidaten der FDP und der CDU. Sebastian Czaja von der FDP sagte, er wolle, dass jeder schnell und sicher an sein Ziel komme, mit dem Verkehrsmittel seiner Wahl. Zwei Drittel der Berliner würden in Außenbezirken wohnen und seien aufgrund des unzureichend ausgebauten Öffentlichen Nahverkehrs auf das Auto angewiesen. Czaja gehe es deshalb um eine bessere Organisation des nebeneinander laufenden Verkehrs. In eine ähnliche Richtung argumentierte Kai Wegner von der CDU. Er schlug ein besseres Baustellenmanagement vor und echauffierte sich vor allem über den Plan, viele Parkplätze im Innenstadtbereich für Radwege zu opfern.
Wegner ging so weit, aufgrund der verkehrspolitischen Forderungen von Bettina Jarasch eine Koalition mit den Grünen auszuschließen. "Dass, was Frau Jarasch und die Grünen in den letzten Tagen und Wochen gesagt haben, ist mit mir nicht zu machen", sagte der Chef der in den Umfragen führenden CDU. "Diese Verkehrspolitik will ich nicht in Berlin, sie passt nicht zu Berlin".
Auf die Frage von Moderatorin Franziska Hoppen, ob eine Absage an ein Bündnis mit den Grünen sei, sagte Wegner, diese müssten sich ziemlich bewegen. "Das werden sie nicht tun. Also kann ich mir eine Koalition mit den Grünen nach der Wahl nicht vorstellen." Mit ihm werde es weder flächendeckend Tempo 30 in der Stadt noch eine Halbierung der Parkplätze geben, so Wegner. Er sei - im Gegensatz zu den Grünen - auch für den Weiterbau der A100 im Osten der Stadt.
Jarasch nannte die Aussagen von CDU und FDP "Heuchlerei". Man könne nicht allen alles versprechen, der Platz sei schließlich begrenzt. Ihr gehe es neben der Verkehrswende auch um sicheren Verkehr und das sei nur möglich, wenn die Autos mehr Platz machten für andere Verkehrsteilnehmer.
Dass sie damit Probleme bei der Koalitionsbildung haben wird, zeigte auch die Position der Regierenden Bürgermeisterin und SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey. Sie wollte eine erneute Koalition mit den Grünen aufgrund der verkehrspolitischen Forderungen zwar nicht ausschließen, sagte aber auch, dass so umfassende Umwandlungen von Parkflächen mit ihr nicht möglich seien. Man brauche auf der einen Seite sichere Rad- und Fußwege, gleichzeitig müssten Menschen, die aufs Auto angewiesen sein, das aber auch weiterhin in der Innenstadt nutzen können, so Giffey. Sie wolle mit Anreizen wie dem 29-Euro-Ticket zur Nutzung des Öffentlichen Nahverkehrs anregen.
Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer dagegen stimmte Jarasch in Teilen zu: Wenn die Stadt bis 2040 klimaneutral werden wolle, könne man nicht alles so weiter machen, wie bisher, sagte Lederer. Er warb ebenfalls für günstige ÖPNV-Angebote und schlug vor, Carsharing-Unternehmen zu verpflichten, Autos auch am Stadtrand anzubieten.
AfD-Spitzenkandidatin Kristin Brinker sprach sich gegen einen Fokus auf Klimaschutz aus. Sie sagte, man dürfe sich nicht "zum Knecht des CO2 machen". Deutschland sei nur für einen Teil der internationalen Emissionen verantwortlich. Das Problem müsse global gelöst werden, nicht in Berlin. Einig waren sich die Kandidatinnen und Kandidaten immerhin beim Thema E-Scooter auf Gehwegen. In einer Schnell-Antwort-Runde gaben alle an, dass diese von den Fußwegen verschwinden sollten.
Wenig Überraschendes förderte die Debatte zum Schwerpunktthema Wohnraum zutage. Dass Berlin mehr bezahlbaren Wohnraum braucht, da sind sich alle einig, nur wie er entstehen kann, ist unklar. Während sich die Kandidatinnen und Kandidaten der aktuellen Regierungsparteien Giffey, Jarasch und Lederer verteidigten und auf die im letzten Jahr fertiggestellten Wohnungen verwiesen, gab es Vorwürfe vonseiten Czajas und Wegners.
Die Spitzenkandidaten der FDP und der CDU kritisierten allen voran die immer noch laufende Debatte um den Volksentscheid zu Enteignungen großer Wohnungsunternehmen. Das schade dem Standort Berlin und schrecke private Investoren ab, sagten sie. Wegner forderte: "Wir müssen die 20.000 Wohnungen schaffen" - und schlug unter anderem Sonderbaurechte als Lösung vor. Kurzfristig wolle er die Mietpreisbremse konsequenter durchsetzen und mit Mietenkataster und Schiedsstellen den Mieterinnen und Mietern helfen.
Giffey verteidigte die Arbeit ihres Senats und sagte, es sei bereits mehr gebaut worden als im Bundesdurchschnitt im vergangenen Jahr, auch wenn die Bauziele abermals verfehlt wurden. Sie sehe die Lösung weiterhin im Bauen, bezahlbarer Wohnraum müsse geschaffen werden. So sah es auch Lederer, der gleichzeitig auf einen Überhang an Genehmigungen verwies uns sagte, es seien die privaten Investoren, die gerade nicht bauen würden. Bettina Jarasch sprach ebenfalls von zu vielen "Geschäftemachern" und präsentierte als Lösungsansatz der Grünen Wohnungstauschbörsen.
In mehreren Schnell-Frage-Runden bekräftigten die Kandidaten bekannte Positionen. So befürworten beispielsweise die CDU, SPD und FDP eine teilweise Bebauung des Tempelhofer Feldes. Die AfD würde als einzige Partei eine Deutschpflicht auf Schulhöfen befürworten und will, dass die Obdachlosen aus der Innenstadt verschwinden. Bis auf die Linke und Grüne signalisierten alle, Klima-Demonstranten auf den Straßen härter bestrafen zu wollen und nur Lederer senkte den Daumen für ein eigenes Hertha-Stadion.
Nach den Vorfällen in der Silvesternacht und der folgenden Thematisierung von Jugendgewalt forderten Giffey und Lederer die Verstärkung von Sozialprojekten als präventive Maßnahme, gleichzeitig aber auch Strafen für die Täter. In eine ähnliche Richtung argumentierte Bettina Jarasch, die aber auch auf die Gewalt von linken und rechten Jugendlichen verwies. AfD-Kandidatin Brinker dagegen sagte, die Sozialarbeit scheine bestimmte Gruppen nicht zu erreichen und sprach von "Parallelgesellschaften". Für die forderte sie "eine andere Ansprache". CDU-Kandidat Wegner wollte aus der Debatte um Jugendgewalt dagegen keine Migrationsdebatte machen. Auch er verwies auf Gewalt von rechten und linken Jugendlichen. FDP-Kandidat Sebastian Czaja sah den Schlüssel für die Lösung in der Bildung: Die Postleitzahl entscheide zu oft über die Chancen, die Jugendliche in Berlin hätten.
In der folgenden Debatte um die Sicherheit für Ordnungs- und Rettungskräfte lieferten sich sich vor allem Linken-Kandidat Lederer und CDU-Kandidat Wegner eine hitzige Diskussion über die Arbeit der letzten Jahre und den Einsatz von Bodycams und Tasern bei Polizeibeamtinnen und -beamten.
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