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Audio: rbb24 Inforadio | 14.03.2023 | Thorsten Gabriel | Quelle: dpa

Irritation beim Start der Arbeitsgruppen

Die Lobby und die Koalitionsverhandlungen

Den Fahrplan der künftigen Berliner Regierung verhandeln nicht nur gewählte Politiker, sondern auch Interessenvertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Sozialverbänden. Ist der Vorwurf der Einflussnahme gerechtfertigt? Von Franziska Hoppen

Unruhig sind die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD gestartet. Tanja Böhm sollte für die CDU die Fachgruppe für Digitalisierung voranbringen - und strich kurzfristig die Segel. Die Leiterin von Microsoft Berlin wollte dem Verdacht eines Interessenkonflikts vorbeugen. Und hat damit eine Debatte über zu viel Einfluss von Lobbyisten in Koalitionsverhandlungen ausgelöst.

Die CDU kann die Aufregung nicht verstehen: Durch die Wiederholungswahl ist die Regierungszeit auf nur dreieinhalb Jahre verkürzt. Die politischen Aufgaben sind dennoch riesig: Bauen, Verkehr, Verwaltungsreform. Da helfe es, wie man auf Nachfrage in Parteikreisen hört, Experten mit an Bord zu holen.

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Hauptberuflich: Lobbyistin

In der Verkehrs-AG zum Beispiel soll Alexander Kaczmarek die Expertise liefern, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn AG für die Region. Dass die Deutsche Bahn an Ausschreibungen von Teilen des S-Bahn Rings beteiligt ist, findet Kaczmarek unproblematisch. Auf Nachfrage des rbb teilt er mit, mögliche Interessenkonflikte geprüft zu haben und an keinen Diskussionen teilzunehmen, die seine Geschäftsinteressen betreffen.

Auch die Personalie Delia Strunz fällt auf. Sie ist nicht nur CDU-Mitglied und im Landesfachausschuss Gesundheit und Pflege. Sie ist auch "Director Government Affairs and Policy" beim Pharma-Riesen Johnson und Johnson. Zu Deutsch: Strunz ist hauptberuflich Lobbyistin. So wie sie sitzen viele in den 13 Arbeitsgruppen, die aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden kommen - vor allem auf Seite der Christdemokraten, dort auch teilweise ohne Parteimitgliedschaft.

"Es fließen keine Positionen ein"

Die CDU betont, dass die Verhandlungs-AGs bewusst nach Kompetenz besetzt sind. "Alle berufenen Persönlichkeiten bringen ihr Fachwissen ausschließlich im Rahmen ihres bürgerschaftlichen Engagements mit", sagt CDU-Generalsekretär Stefan Evers. "Es fließen keinerlei Positionen von Verbänden, Einrichtungen oder Unternehmen in die Verhandlungen ein."

Experten mit an Bord zu holen ist auch "grundsätzlich wichtig und legitim", sagt Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach von der Freien Universität Berlin. Gerade in Berlin, einer Metropole und Bundeshauptstadt, die Brennglas für komplexe gesellschaftliche Probleme sei. Parteien zeigen sich damit offen für Fachkenntnisse, so Reuschenbach.

Riskant werde es aber, wenn in erster Linie Unternehmensangehörige beraten, die eigene Interessen verfolgen könnten. Es sei daher entscheidend, dass CDU und SPD nun nach außen glaubhaft machen, dass es wirklich nur um Beratung gehe. "Wenn das nicht aufrichtig und glaubhaft rüberkommt, verspielt man wertvolles Vertrauen, welches in Berlin ja ohnehin leider nur sehr gering vorhanden ist", so Reuschenbach. Für das neue schwarz-rote Bündnis hätten die Wählerinnen und Wähler keinen Vertrauensvorschuss übrig.

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Auch der Verein Lobbycontrol sieht es kritisch, wenn Interessenvertreter bei Koalitionsverhandlungen mit am Tisch sitzen. Das Argument von Stefan Evers, Teilnehmer seien nur für ihr bürgerschaftliches Engagement ausgewählt worden, hält Timo Lange von Lobbycontrol für Augenwischerei. "Die Verbands- und Konzernvertreter wurden ja gerade auf Grund ihrer Positionen dort eingeladen. Nun zu behaupten, es würden keine Positionen ihrer Arbeitgeber einfließen, überzeugt nicht." Zwar gehört es dazu, dass Interessenvertreter in einer Demokratie Einfluss auf die Politik nehmen. Aber gerade Koalitionsverhandlungen seien sensibel, denn es werden die Grundsätze für die kommende Legislaturperiode gelegt. Aus Sicht von Lange sollten die Verhandlungen deshalb rein von den Fachpolitikern der Parteien geführt werden, die dafür einen klaren Auftrag von den Wählerinnen und Wählern haben.

"Es geht nicht um Lobbyarbeit"

Anders als bei der CDU sitzen bei der SPD ausschließlich Funktionsträger der Partei am Verhandlungstisch. Aber auch hier sind einige hauptberuflich keine Politiker. Zum Beispiel Kai Gudra-Mangold aus der Vorstandsabteilung der Krankenkasse Barmer, der zur AG Gesundheit gehört. Für die AG Forschung sind ein Kanzler und eine Vizepräsidentin von Universitäten mit dabei. Für die noch-Regierende Franziska Giffey eine Selbstverständlichkeit, dass sie mitverhandeln: “Wir haben alle ein gemeinsames Verständnis, dass es hier nicht um Lobbyarbeit geht”, betonte sie am Rande der Senatspressekonferenz am Dienstag. Es sei nicht verwerflich, durch Experten mehr Sachverstand hinzuziehen. Und nicht zuletzt werde die Dachgruppe alle Ergebnisse der Fachgruppen auf Ausgewogenheit überprüfen.

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"Privilegierter Zugang"

Aus Sicht von Lobbycontrol besteht die Gefahr weniger darin, dass Interessenvertreter in den kommenden Wochen konkrete Vorteile etwa für die Pharmaindustrie oder die Deutsche Bahn in den Koalitionsvertrag hinein verhandeln. Vielmehr könnten sie grundsätzlich Einfluss auf Themen und Zugang zu Informationen haben, die im späteren Regierungsverlauf von Vorteil sein könnten. "Die Interessenvertreter können den Verhandlungsverlauf beeinflussen, verfügen über Insider-Kenntnisse und können nebenbei Kontakte mit der künftigen Regierung knüpfen", sagte Timo Lange. Denn das wiederum sei eine klare Bevorteilung von Einzelinteressen gegenüber allen anderen. Wobei auch gilt: Interessengruppen werden so oder so auf die neue Regierung wirken.

Aus SPD-Kreisen ist teilweise Verwunderung über die CDU-Auswahl der Experten zu hören, jedoch keine offene Kritik, zumal die Gespräche und das Kennenlernen gerade erst begonnen haben. Die SPD selbst setzt bei Vor- und Nachbereitung der Koalitionsverhandlungen auf Beratung durch Verbände.

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.03.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Franziska Hoppen

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