Kommentar | Koalition von CDU und SPD in Berlin
Die SPD-Mitglieder haben mehrheitlich "Ja" zur Koalition mit der CDU gesagt. Auch die CDU-Mitglieder votierten einstimmig dafür. Doch auf einem stabilen Fundament steht die Koalition nicht, kommentiert Jan Menzel.
Es ist bezeichnend, dass nur eine der Sozialdemokratinnen und -demokraten Erleichterung und große Freude zeigt: Franziska Giffey, die Noch-Hausherrin im Roten Rathaus und Landesvorsitzende der SPD, bekommt das Regierungsbündnis, das sie sich gewünscht hat. Rot-Grün-Rot war das nie. An Schwarz-Rot im Bund unter Angela Merkel denkt die ehemalige Bundesfamilienministerin dagegen gar nicht ungern zurück, wie sie sagt.
Nun also Schwarz-Rot auch in Berlin. Es gehe nicht um Liebe, sondern um Vernunft, betonen die Partner in Spe. Von gemeinsamen Visionen können sie nicht berichten, man wolle Verantwortung übernehmen, heißt es. Das klingt zunächst durchaus sympathisch unaufgeregt, pragmatisch und unideologisch. Es verkleistert aber, dass hier zwei Partner zusammenkommen, die wenig gemeinsam haben.
Von der SPD wissen wir - dank des Mitgliedervotums - dass viele unter Schmerzen in dieses Bündnis gehen müssen. Rechnet man dann noch das Drittel der SPD-Basis mit dazu, dass sich nicht an dem Votum beteiligt hat, sei es aus Desinteresse oder einer anderen Haltung heraus, dann wird klar: Das Fundament ist nicht eben stabil.
Und die CDU? Was die Parteimitglieder und Funktionäre dort wollen - außer endlich mal wieder regieren - wissen wir noch gar nicht so recht. Der Spitzenmann Kai Wegner und seine Leute haben bislang vor allem erfolgreich stillgehalten, um bloß nicht das Ja der SPD-Mitglieder zu gefährden. Dreieinhalb Jahre bis zur nächsten Wahl wird die CDU aber nicht abtauchen wollen, und das bedeutet: Die Konflikte kommen erst noch.
Genauso wie die CDU ihre Punkte in der Koalition machen will und muss, werden auch die im Mitgliederentscheid unterlegenen Sozialdemokraten nicht einfach verschwinden. Sie werden genau verfolgen, wie sozial die Mietenpolitik unter einem CDU-Bürgermeister Wegner sein wird, ob der versprochene Klimaschutz nur heiße Luft ist, ob angekündigte Radwege wegbleiben und wie gerecht es in der Bildungspolitik unter einer christdemokratischen Schulsenatorin zugeht. Was hübsch umschrieben im Koalitionsvertrag steht, muss sich erst noch als praxistauglich und mehrheitsfähig erweisen.
Wie groß der Druck dabei auch von außen auf die ungleichen Koalitionäre ist, zeigt sich schon bevor Kai Wegner die Hand zum Eid gehoben hat. Der Präsident des Verbands Berliner Kaufleute und Industrieller lässt die SPD-Abgeordneten schon mal wissen, was sie zu tun haben: Nämlich Kai Wegner zu wählen und ja nicht bei der Bürgermeister-Wahl im Parlament mit "Nein" zu stimmen. Was nur noch fehlt ist das Wörtchen "gefälligst". Diese "Ansage" aus einem eher elitären Club an die Volksvertreter wird die Kritiker von Schwarz-Rot in der SPD in ihrer Ablehnung des Bündnisses bestärken. Es zeigt aber auch, wie groß die Nervosität, wie unterschiedlich die Milieus, und vor allem wie verschieden die Erwartungshaltungen und Interessen sind.
Alle im Politik-Betrieb wissen, dass dreieinhalb Jahre bis zum nächsten Wahltermin nicht lang sind - besonders angesichts von Riesen-Aufgaben wie Verwaltungsumbau und Wohnungsneubau. Von diesen dreieinhalb Jahren darf gut und gerne ein Jahr abgezogen werden für den Wahlkampf der dann heraufziehen wird. Schwarz-Rot spielt also gegen die Uhr.
Das neue Bündnis steckt voller Widersprüche und ist mit hohen Erwartungen konfrontiert. So verständlich Erleichterung und Freude bei einigen Sozial- und vielen Christdemokraten jetzt sind: Dass Schwarz-Rot ein Erfolg und gut für Berlin sein wird, ist noch lange nicht ausgemacht.
Beitrag von Jan Menzel
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