Mitgliederentscheid der Berliner SPD
Berlin steuert auf eine Koalition von CDU und SPD zu. Franziska Giffey will dafür sogar ihren Posten als Regierende Bürgermeisterin opfern. Doch die SPD-Basis könnte diesen Plan durchkreuzen. Von Jan Menzel
Im Prime-Time-Theater im Berliner Stadtteil Wedding prallen die Positionen hart aufeinander. Die Berliner SPD hält hier die letzte großen Diskussionsrunde vor ihrem Mitgliedervotum über den mit der CDU ausgehandelten Koalitionsvertrag ab. Sarah Hegazy hat wie die meisten Jusos ihr Urteil schon gefällt: "Ich werde dagegen stimmen, weil ich es mir nicht vorstellen kann, dass die SPD in eine Koalition mit einer rassistischen CDU geht."
Ganz anders sieht Astrid Hollmann die Dinge. "Emotion runter, Verstand an und Ja gesagt", so die Kurzformel der 53-Jährigen, die bei der vergangenen Wahl vergeblich für das Abgeordnetenhaus kandidiert hat. "Der Koalitionsvertrag ist einfach so voll mit sozialdemokratischer Politik, dass man mit vernünftigem Blick gar nicht dagegen stimmen kann", sagt Hollmann.
Hollmann und Hegazy stehen stellvertretend für eine zerrissene Partei. Seit der Wahl im Februar befindet sich die SPD auf einer emotionalen Achterbahnfahrt. Auf den Schock vom Wahlabend folgte die Zitterpartie bis zum amtlichen Endergebnis, das eine rot-grüne-rote Koalition unter Führung der SPD zahlenmäßig ermöglicht hätte. Doch in den Sondierungsgesprächen schwenkten Giffey und der Co-Landesvorsitzende Raed Saleh überraschend um in Richtung CDU, obwohl das die SPD auf die Rolle des Juniorpartners reduziert. Seitdem herrscht offener Aufruhr in der Partei.
Die Befürworter einer schwarz-roten Koalition haben einen Aufruf mit dem Titel "Besser mit uns. Aus Verantwortung für Berlin" verfasst. Auffällig ist, dass vor allem Mandatsträger, Staatssekretäre und Mitarbeiter aus den Führungsetagen von Senatsverwaltungen unterzeichnet haben. Dazu kommen ehemalige Senatoren und Alt-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.
Sie argumentieren: Soziale Politik für die ganze Stadt lasse sich besser mit der CDU als mit Grünen und Linken verwirklichen. Die schweren Verluste der SPD bei der Abgeordnetenhauswahl hätten gezeigt, dass die Wählerinnen und Wähler von Rot-Grün-Rot die Nase voll haben. Für alle Mitglieder, die noch unsicher sind, hat die Regierende Bürgermeisterin Giffey die Warnung parat: "Ich möchte nicht, dass wir in der Opposition zuschauen, wie Schwarz-Grün regiert."
Widerspruch erntete Giffey prompt von der Landesvorsitzenden des Parteinachwuchses Jusos, Sinem Tasan-Funke. Neben der Opposition gebe es mindestens noch eine weitere Option. "Man kann mit den bisherigen Koalitionspartnern weiter sprechen", wirbt Tasan-Funke für die Fortsetzung von Rot-Grün-Rot.
Die Berliner Jusos haben sich an die Spitze der "NoGroko"-Bewegung gesetzt. Aber auch viele Genossen aus der "AG 60 plus" sind strikt gegen das Bündnis mit der CDU. Sie alle fürchten, dass in einer Koalition mit der CDU eine soziale Mietenpolitik genauso wie echter Klimaschutz auf der Strecke bleiben. Linke Sozialdemokraten wollen es auch nicht einfach auf sich beruhen lassen, dass die CDU nach der Silvester-Randale die Vornamen der Tatverdächtigen wissen wollte. Blanker Rassismus sei das, heißt es aus dem "NoGroKo"-Lager.
Ältere Mitglieder erinnern sich mit Grausen an die Zeit, als die Sozialdemokraten vom damaligen CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen klein gehalten wurden. Auch das motiviert zum Nein. Wie sehr die Gesamtpartei mit sich ringt, zeigt die Stimmung in den Ortsvereinen, Kreisverbänden oder Arbeitsgruppen. Zustimmung und Ablehnung zu Schwarz-Rot halten hier sich in etwa die Waage.
Das Kalkül der Regierenden Bürgermeisterin Giffey und des Landes- und Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh zielt darauf ab, dass eine Mehrheit der Parteimitglieder letztlich staatstragend abstimmt. Giffey könnte dann als Senatorin weitermachen und wäre immerhin noch Stellvertreterin eines Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner von der CDU. Fiele der Koalitionsvertrag hingegen durch, würde es Giffey zuerst treffen.
Ihre politische Karriere wäre vorerst vorbei. Auch ihr Amt als SPD-Landesvorsitzende würde sie eher früher als später verlieren. Für eine machtvolle Positionen fehlt Giffey eine eigene Hausmacht in der Partei. Die Schlüsselrolle käme in diesem Fall dem Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh zu.
Ihm werden zwar auch die Misserfolge bei den vergangenen Wahlen angelastet. Anders als die Noch-Regierende Bürgermeisterin ist Saleh in der Partei vernetzt wie sonst niemand. Die Fraktion im Abgeordnetenhaus steht zudem hinter ihm. Und anders als Giffey hat er es in den vergangenen Tagen geschickt verstanden, für alle Fälle rhetorisch vorzubauen. Egal, wie die Basis entscheide, man werde das Votum akzeptieren, verkündete Saleh.
Wie gut diese Umarmungsstrategie verfängt, ist aber ungewiss. Die Juso-Vorsitzende Tasan-Funke frohlockte zuletzt öffentlich, dass sie ein Kippen der Stimmung in Richtung "NoGroKo" beobachte. Intime Kenner der SPD und ihres Seelenlebens und alte Parteistrategen wollen sich da nicht festlegen. Sie gehen aber davon aus, dass es beim Mitgliederentscheid ein knappes Ergebnis geben wird.
Sendung: rbb24 Inforadio, 21.04.2023, 17 Uhr
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Beitrag von Jan Menzel
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