Analyse | BerlinTrend
Weniger als drei Monate vor der Wiederholungswahl in Berlin wird es eng an der Spitze: Die SPD kann in der Umfrage von rbb24 Abendschau und "Berliner Morgenpost" aufholen und liegt nun fast gleichauf mit Grünen und CDU. Von Sebastian Schöbel
Auch wenn die Kandidatinnen und Kandidaten die gleichen sein werden, wirklich wiederholen lässt sich die Wahl von 2021 nicht. Zu vieles hat sich seitdem verändert, mit dem Krieg in der Ukraine, der Energiekrise und einer Wirtschaft am Tropf der öffentlichen Hand.
Eines aber hat sich offenbar nicht verändert: Gut zwei Monate vor der Wahl liegt in Berlin die SPD nur auf Platz drei, hinter Grünen und CDU. Damals, im Sommer 2021, wähnten manche die Sozialdemokraten unter Franziska Giffey schon geschlagen. Das Wahlergebnis war dann bekanntlich ein anderes, weil die SPD im Wahlkampfendspurt kräftig zulegte.
Und auch bei der Wiederholungswahl gut ein Jahr später könnte sich Giffey mit ihrer SPD nun zur genau richtigen Zeit aus dem Umfragetief hocharbeiten. Um zwei Prozentpunkte legt die SPD im neuen BerlinTrend von rbb24 Abendschau und "Berliner Morgenpost" zu, während Grüne und CDU stagnieren. Die drei Parteien liegen damit fast gleichauf, das Rennen ums Rote Rathaus wird ein Dreikampf – und ein Regierungswechsel ist zumindest rechnerisch durchaus möglich.
Die aktuelle Regierungskoalition könnte zwar weitermachen, allerdings würde im Roten Rathaus wohl eine neue Chefin einziehen: Bettina Jarasch von den Grünen würde Franziska Giffey ablösen und eine grün-rot-rote-Koalition führen. Dass sie beides will, hatte Jarasch zuletzt beim kleinen Parteitag der Grünen angekündigt – und gleichzeitig den Ton gegenüber der SPD merklich verschärft. "Eins geht nicht: Erfolge für sich allein reklamieren, und sich gleichzeitig wegducken, wenn die Stadt nicht funktioniert, wie sie soll", hatte Jarasch eindeutig Richtung Giffey erklärt.
Die hatte eine Woche zuvor selber Richtung Grüne ausgeteilt und Jarasch vor allem in der Verkehrspolitik "Blütenträume" vorgeworfen. Dass die Zufriedenheit mit dem rot-grün-roten Senat laut BerlinTrend weiter sinkt, könnte auch am Binnenklima der Koalition liegen.
Die CDU wiederum profitiert vom positiven Bundestrend und bleibt im BerlinTrend über ihrem Berliner Wahlergebnis von 2021. Wenn Spitzenkandidat Kai Wegner also auf Plakaten demnächst die Möglichkeit eines Regierungswechsels bewirbt, ist das durchaus eine realistische Option. Denn rein rechnerisch würde es nach aktuellem Stand für eine Kenia-, eine Deutschland- und eine Jamaika-Koalition reichen.
Allerdings plagen die CDU gleich zwei Sorgen. Einerseits geben nur knapp die Hälfte der Befragten im BerlinTrend an, Wegner zu kennen. Damit liegt er noch hinter dem Chef und Spitzenkandidaten der FDP, Sebastian Czaja. Eben diese Liberalen braucht Wegner aber für mehrere Koalitionsoptionen – und die werden mit Blick auf die Umfragewerte der FDP immer unwahrscheinlicher. Mit nur 5 Prozent müssen die nämlich fürchten, im Februar 2023 aus dem Abgeordnetenhaus zu fliegen.
Zweitens tun sich politisch kaum überbrückbare Gräben auf zwischen Berliner CDU und Berliner Grünen, vor allem in der Klima- und Verkehrspolitik. Dass die CDU zuletzt vor allem gegenüber den Klimaaktivisten den Ton verschärft hat, dürfte eine Zusammenarbeit mit den Grünen noch unwahrscheinlicher machen.
Damit bleibt eine Fortsetzung der aktuellen Regierung auch nach der nächsten Wahl laut neuem BerlinTrend die bislang wahrscheinlichste Option. Fraglich ist nur die politische Farben-Hierarchie: Schaffen es die Grünen, die SPD an der Spitze abzulösen oder gelingt Giffey erneut ein Endspurt wie vor gut einem Jahr? Diese Frage könnte das Koalitionsklima in den kommenden Wochen noch erheblich belasten.
Sendung: rbb24 Abendschau, 23.11.2022, 19:30 Uhr
Beitrag von Sebastian Schöbel
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