Analyse | Deutschland-Trend zur Berlin-Wahl
Lange sah es so aus, als würden sich CDU, Grüne und SPD ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Doch zehn Tage vor der Wiederholungswahl sortiert sich das Feld. Trotzdem: Dem Wahlsieger winkt nicht automatisch das Rote Rathaus. Von Jan Menzel
Man würde in diesen Tagen gern Mäuschen in der Parteizentrale der Berliner CDU sein, um zu erfahren, ob dort schon der Sekt kaltgestellt oder ob doch eher Selters geordert wird. Für den Fall, dass auf das Wahlergebnis schlagartig die Ernüchterung folgt.
Denn laut aktueller Umfrage zur Berlin-Wahl im Rahmen des ARD-Deutschland-Trends setzen die Christdemokraten unmittelbar vor der heißen Wahlkampfphase zu einem kleinen Höhenflug an. Mit 25 Prozent liegt die CDU mit sechs bzw. sieben Prozentpunkten deutlich vor den beiden nächstplatzierten Parteien SPD und Grüne. Schaut man sich diesen Vorsprung, die Dynamik der vergangenen Wochen und die politische Großwetter-Lage an, lässt das eigentlich nur den Schluss zu: Der Wahlsieg ist der CDU kaum noch zu nehmen. Und doch wird ihr Spitzenkandidat Kai Wegner wohl kaum nächster Regierender Bürgermeister werden.
Das liegt zum einen an der FDP, die mal wieder um den Wiedereinzug ins Parlament kämpft, sich dieses Mal aber besonders geschickt als Schutzpatron der Autofahrer und als einziger Garant dafür inszeniert, dass die Grünen nicht das Rote Rathaus erobern. Eine FDP, die wieder ins Abgeordnetenhaus einzieht, dürfte mit großer Sicherheit dafür sorgen, dass ein Zweierbündnis wie Schwarz-Grün rein zahlenmäßig nicht machbar sein wird. Ganz abgesehen von massiven Hürden und politischen Differenzen zwischen Schwarzen und Grünen bedeutet das für Wegners CDU: Eine Option fällt weg.
Auch der vermeintlich zweite Pfad in Richtung Rotes Rathaus wird für die CDU im Lichte der Umfrage einer, der eher nicht zum Ziel führt. Zwar trommelt die FDP seit Wochen eifrig für die so genannte Deutschland-Koalition, also ein Bündnis von CDU, SPD und FDP. Auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey befeuert mit ihrem wiederholten Nein zur Enteignung großer Wohnungskonzerne und ihrer Pro-Auto-Politik diesbezügliche Hoffnungen. Doch warum sollte Giffey ihre Partei in dieses ungeliebte Bündnis zwingen, dazu noch als Juniorpartner unter einem Regierenden von der CDU, wenn sie das Bürgermeisteramt verteidigen kann?
Genau darauf deuten die Zahlen zur Berlin-Wahl im Rahmen des ARD-Deutschland-Trends ganz zaghaft hin. Langsam aber beharrlich scheint sich die SPD in der Wählergunst wieder vor die Grünen zu schieben. Nach wie vor liegt die SPD-Spitzenkandidatin im persönlichen Direktvergleich vor ihren Mitbewerbern. Franziska Giffey wirft ihr Amt und ihre Bekanntheit in die Waagschale und kann damit möglicherweise zögerliche Wählerinnen und Wähler doch noch für sich gewinnen. Auch wenn sie damit längst nicht die Werte wirklich beliebter Ministerpräsidenten erreicht, steckt Giffey CDU-Mann Wegner und vor allem die Grünen-Frau Jarasch in die Tasche.
Für die Ökopartei ist die Bewegung in den Umfragen zu allererst bitter, aber nicht nur. Wieder einmal gerät das Ziel, stärkste politische Kraft zu werden, außer Reichweite je näher der Wahltermin rückt. Einmal mehr scheint sich zu bestätigen, dass die Grünen eher Umfragen als Wahlen gewinnen. Für Bettina Jarasch, die von vielen schon als nächste Regierende Bürgermeisterin gehandelt wurde, ist diese Schubumkehr auf den letzten Metern persönlich schmerzhaft. Politisch könnte sie ihr und den Grünen aber in die Karten spielen.
Denn mit einer SPD, die nur in einem rot-grünen-roten Bündnis das Rote Rathaus verteidigen kann, steigen auch die Chancen, dass genau diese Koalition nach der Wiederholungswahl fortgesetzt wird. Einfacher als andere Regierungsvarianten wäre es ohnehin. Ein Koalitionsvertrag müsste nicht komplett neu verhandelt werden und die Koalition könnte sich schneller wieder ans Regieren machen.
Außerdem gibt es trotz aller Konflikte, die im Wahlkampf noch einmal aufgebrochen sind, und allem Verdruss in der Zusammenarbeit zwischen Berliner Grünen und Berliner Sozialdemokraten mehr Übereinstimmungen als mit der Berliner CDU. Der Preis für das von Jarasch so offen präferierte Bündnis von Grünen, Sozialdemokarten und Linken könnte somit der dritte Platz hinter CDU und SPD sein.
Allerdings hat gerade die letzte Abgeordnetenhauswahl überdeutlich gezeigt, dass Umfragen nur Momentaufnahmen sind und zum Teil beträchtlich vom Wahlergebnis abweichen können. Manchmal legen Parteien auf den letzten Metern noch einmal einen echten Spurt hin. Anderen geht zum Schluss die Puste aus. Alles hängt davon ab, wie es den Parteien gelingt, die eigenen Anhänger und Sympathisanten zu mobilisieren.
Sicher kann sich also zehn Tage vor der Wahl keiner der Spitzenkandidaten und - kandidatinnen sein. Zumal der eigentliche Koalitions-Poker erst beginnt, wenn die Wahllokale geschlossen haben und die erste Hochrechnung über die Bildschirme flimmert. Die Wahlkampfstrategen aller Parteien sind daher gut beraten sein, wenn sie für alle Fälle vorsorgen, also Sekt kaltstellen und Selter ordern.
Sendung: rbb24 Abendschau, 02.02.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Jan Menzel
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