Niederlage für FDP bei Berlin-Wahl
4,6 Prozent bei der Wahl und das Aus im Parlament – das muss die FDP erstmal verdauen. Manche schweigen, andere sind geschäftig. Die Partei glaubt, die Gründe für das Wahldebakel zu kennen und schöpft daraus Hoffnung. Von Sabine Müller
Sibylle Meister fackelt nicht lange. Nicht einmal 48 Stunden nachdem klar war, dass die FDP nicht mehr im nächsten Abgeordnetenhaus vertreten ist, steht die Finanz-Expertin der Fraktion in ihrem Büro im zweiten Stock des Abgeordnetenhauses und packt Akten in eine Kiste.
"Am Anfang ist es am einfachsten, die Dinge aufzuräumen", sagt sie, "dann hat man den klareren Überblick, wo sich neue Chancen bieten." Neben den Akten kommen ein paar persönliche Dinge wie Notizbücher in die Kiste. Ins Abgeordnetenhaus wird Sibylle Meister in den nächsten Wochen nur noch kommen, wenn Sitzungen des Hauptausschusses anstehen - bis auch hier Schluss ist.
FDP-Fraktionsgeschäftsführer Paul Fresdorf muss nicht nur sein eigenes Büro, sondern eine ganze Fraktion abwickeln. Für ihn hat jetzt oberste Priorität, die etwa 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bald arbeitslos sind, gut in neuen Jobs unterzubringen. Fresdorf gibt sich optimistisch. Es gebe schon viele Angebote aus Politik und Wirtschaft, betont er.
Ganz große Hektik ist nicht notwendig, denn ein paar Wochen bleiben der FDP noch. Sie behält ihren Fraktionsstatus bis zum 16. März, wenn sich das neue Abgeordnetenhaus konstituiert. Wer aber sofort geschäftig räumt und liquidiert, hat weniger Zeit für die unangenehmen inhaltlichen Fragen: Wie ist die Wahlniederlage zu erklären? Warum fliegt die FDP nach 2011 schon wieder aus dem Abgeordnetenhaus?
Christoph Meyer müsste eigentlich viel zu dieser Frage zu sagen haben, aber der Landeschef der Liberalen schweigt bisher. Interviewanfragen werden abgelehnt, der Parteisprecher erklärt nur: "Er wird sich äußern, wenn es etwas zum Äußern gibt."
Von Spitzenkandidat Sebastian Czaja, der am Wahlabend mit blassem Gesicht eine ausführliche Analyse des Ergebnisses ankündigte, hat man seitdem nicht mehr viel gehört. Die rbb-Interviewanfrage wird negativ beschieden, auch als Viel-Twitterer ist Czaja verstummt.
Aus den Reihen der Abgeordneten wurde schon vor dem kleinen Landesparteitag der Liberalen am Dienstagabend eine Erklärungslinie vorgeben: Es habe weder am Spitzenkandidaten noch an der Wahlkampfführung gelegen. Sebastian Czaja habe Energie für drei gehabt, lobt Sibylle Meister den persönlichen Einsatz des 39-Jährigen, und die Kampagne mit den auffälligen gelb-pinken Plakaten sei großstädtisch und passend für Berlin gewesen. Czaja habe gekämpft wie ein Löwe, unterstreicht Paul Fresdorf, und bilanziert: "Ich weiß nicht, was wir falsch gemacht haben sollen."
Der Noch-Abgeordnete Felix Reifschneider nennt Czaja einen "fantastischen Spitzenkandidaten" und attestiert Parteichef Christoph Meyer sehr gute Arbeit im Landesverband. Für Reifschneider ist es noch nicht richtig greifbar, wo die Fehler lagen. Ob in der Kampagne, wo das trockene Thema "Verwaltungsreform" die Menschen emotional nicht abgeholt habe, oder der längerfristigen thematischen Aufstellung. Das müsse die Partei jetzt analysieren. Aber eins ist für Felix Reifschneider klar: "Wer aus dem Parlament rausfliegt, hat nicht alles richtig gemacht."
Tobias Bauschke, dessen Tage als Abgeordneter nach knapp anderthalb Jahren zu Ende gehen, sieht eine "ganz einfache Erklärung" für den Absturz seiner Partei. Die Wählerinnen und Wähler hätten auf einen Wechsel in der Berliner Politik gesetzt und als Garant für diesen habe sich die CDU präsentiert. Als die Christdemokraten dann in den Vorwahlumfragen klar vorne gelegen hätten, hätten sich viele Wählerinnen und Wähler auf die Seite des Gewinners geschlagen, glaubt Bauschke.
Im Gespräch betonen FDP-Leute oft, es seien die besonderen Umstände dieser Wahl gewesen, die die FDP absacken ließen. Eine große Rolle habe gespielt, dass aus dem Bund, wo die FDP in der Ampelkoalition mitregiert, keinerlei Rückenwind gekommen sei.
Die Daten der Wahlforscher von infratest dimap stützen viele Punkte der FDP-internen Analyse, allerdings liefern sie auch weitere Aspekte, die der Partei Sorgen machen müssen.
Belegt ist, dass Sebastian Czaja vergleichsweise gute persönliche Zufriedenheitswerte hatte, besser als etwa CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner und die Grüne Bettina Jarasch. Ebenfalls durch Zahlen untermauert ist die Kannibalisierung der FDP durch die CDU. Zu den Christdemokraten wanderten die meisten der 53.000 Wählerinnen und Wähler ab, die von der FDP zu anderen Parteien wechselten. Zudem setzte die niedrige Wahlbeteiligung von 63 Prozent den Liberalen hart zu. 25.000 Menschen, die 2021 noch ihr Kreuz bei der FDP gemacht hatten, verabschiedeten sich ins Lager der Nichtwähler.
Rückenwind aus der Bundespolitik gab es für die Berliner FDP tatsächlich nicht, im Gegenteil. Vor allem liberale Parteianhänger sind sehr enttäuscht von der Ampelkoalition im Bund, deren Arbeit wird anders als bei SPD und Grünen bei FDP-Anhängern mehrheitlich negativ bewertet. Die Wahl in Berlin war nicht die erste, bei der FDP-Landesverbände diesen Unmut zu spüren bekamen – es war die fünfte Wahlniederlage der FDP in den Ländern, seit sie im Bund in der Ampel mitregiert.
Auch wenn es wichtige äußere Faktoren gab, die nichts mit der Performance der Berliner FDP vor Ort zu tun hatten, aufatmen kann sie nicht. Denn die Daten von infratest dimap zeigen auch: Das Vertrauen in ihre fachliche Kompetenz schwindet. In sieben der elf abgefragten Politikfelder trauen die Wählerinnen und Wähler der FDP weniger zu als noch 2021, auch in zentralen Fragen wie Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Nur noch drei Prozent glauben, dass die Liberalen Lösungen haben für die wichtigsten Aufgaben in Berlin.
Die Aufgabe für die FDP in der kommenden Zeit der außerparlamentarischen Opposition ist vorgezeichnet: sie muss inhaltliches Vertrauen zurückgewinnen.
So kurz nach dem Wahldebakel ist nicht allen bald Ex-Abgeordneten schon klar, wie es für sie weitergeht. Tobias Bauschke etwa will sich ein, zwei Wochen sortieren und dann schauen, was er in Zukunft beruflich macht. Für Sibylle Meister zahlt sich aus, dass sie neben ihrer Abgeordnetentätigkeit in den vergangenen Jahren ein wenig als Investmentmaklerin gearbeitet hat, daran will sie jetzt anknüpfen.
Komfortabel ist die Lage bei Felix Reifschneider. "Ich habe keine existenziellen beruflichen Sorgen", sagt der Bundesbeamte im Sonderurlaub, der in seinen alten Job in einem Ministerium zurückgehen kann. Was die Zukunft der Partei angeht, geben sich alle optimistisch. "Wir werden ganz bestimmt wiederkommen", sagt Sibylle Meister.
Sendung: rbb24 Inforadio, 15.02.2023, 08:10 Uhr
Beitrag von Sabine Müller
Artikel im mobilen Angebot lesen