Kleine Parteien nach der Berlin-Wahl
Auf neun Prozent der Zweitstimmen kamen die "Anderen" bei der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus. Das ist weniger als 2021, entsprechend ist die Stimmung bei einigen der kleinen Parteien. Von Simon Wenzel
Ganz rechts im Diagramm der Wahlergebnisse steht der graue Balken. "Andere" heißt es da anonymisiert. Bösartig könnte man daraus schlussfolgern: Das sind die Parteien, die den Wahlzettel so schön lang machen. Insgesamt 27 von ihnen werden nach dieser Abgeordnetenhauswahl unter "Andere" zusammengefasst.
Zusammen entfielen auf sie neun Prozent der Stimmen und damit deutlich weniger als bei der für ungültig erklärten Wahl vor anderthalb Jahren. Fast alle der kleinen Parteien verloren Stimmen, folgenschwer ist das für "Volt" und "die Basis", weil ihnen damit Finanzmittel entgehen. Nicht das einzige Ärgernis für kleine Parteien nach der Wahlwiederholung.
Auch unterhalb der viel zitierten Fünf-Prozent-Grenze für den Einzug ins Abgeordnetenhaus gibt es Ziele. Hier geht es um die Ein-Prozent-Hürde. Parteien die darüber landen, kriegen Parteienfinanzierung. Volt und die Basis haben das 2021 geschafft. Jetzt, bei der Wiederholung der Wahl, sind beide an der Hürde gescheitert, Volt besonders knapp: 0,9 Prozent holte die sozialliberale und progressive Partei. Am Ende fehlten knapp 1.300 Stimmen zum Ziel.
"Wir sind schon ziemlich enttäuscht", sagt Cara Seeberg, die Landesvorsitzende von Volt. Denn für ihre Partei war die Wiederholungswahl damit ein richtiger Rückschritt. Durch den Entzug der Parteienfinanzierung fehlen knapp 900 Euro im Monat. Budget, das eigentlich fest eingeplant war für die nächsten Jahre, denn ohne Wahlwiederholung hätte Volt das Geld noch bis zur nächsten Wahl 2026 bekommen. "Bei uns war das Geld schon eingeplant für den Europawahlkampf. Wir wollten außerdem noch jemanden für Social Media einstellen. Da müssen wir jetzt mal schauen, wie wir das machen", sagt Seeberg.
Und das nach einer Wiederholungswahl, bei der vielen kleinen Parteien mutmaßlich auch deshalb Stimmen verloren gingen, weil sie sich nicht zum zweiten Mal in anderthalb Jahren einen aufwendigen und teuren Wahlkampf leisten konnten. Volt habe rund ein Drittel des Budgets von 2021 gehabt, sagt Seeberg. Trotz der Unzufriedenheit mit dem Ergebnis ist ihre Partei mit rund 14.000 Stimmen immer noch die drittstärkste Kraft im grauen Balken. Die Kleinsten unter den Kleinen sind davon weit entfernt.
Ganz unten, am Ende des Rankings, steht die "Deutsche Konservative". Deren Stimmenanzahl ist so niedrig, dass man sie fast noch nicht als Ziffer schreiben darf: 15. Weniger Stimmen sammelte niemand, nicht einmal die parteilosen Kandidaten (die nur bei den Erststimmen zur Wahl standen). Auch die rechtskonservativen "Republikaner" und die "Neuen Demokraten" schafften keine hundert Stimmen, einigen weiteren Parteien gelang immerhin das, eine dreistellige Stimmenzahl.
Innerhalb des grauen Balkens gibt es auch so etwas wie ein graues Mittelmaß: Elf Parteien sammelten jeweils zwischen 2.500 und 6.500 Stimmen. Das entspricht Prozentwerten von 0,2 bis 0,4 - mit viel Euphorie ein Achtungserfolg, mehr nicht. Darunter sind auch viele Parteien, die schon qua Namen für spezielle Interessen eintreten. Die "Partei für Gesundheitsforschung" zum Beispiel, die "Mieterpartei" oder die "Klimaliste". Was macht man als vermeintlicher Idealist aus so einem Wahlergebnis?
"Frustriert" sei vielleicht das falsche Wort für seine Gefühlslage, sagt Antonio Rohrßen von der Klimaliste. Er ist vor allem enttäuscht von den Grünen und deren Spitzenkandidatin Bettina Jarasch - wenn man so will, der große Fressfeind der Klimaliste. Jarasch hätte im Wahlkampf gesagt, eine Stimme für die Klimaliste sei ähnlich wie eine für die CDU oder SPD, beklagt Rohrßen. "Das halten wir für undemokratisch", sagt er. Außerdem würde es fast zwangsläufig zur "selbst erfüllende Prophezeiung". Schließlich funktioniere das Argument der entwerteten Stimme ja durchaus. "Da herauszukommen, das ist eigentlich die große Herausforderung für eine kleine Partei, und das ist uns dieses Mal leider nicht gelungen", sagt Rohrßen.
Es gibt deshalb schon länger Diskussionen um ein Modell namens "Ersatzstimme". Dabei würden die Wählerinnen und Wähler zwei Stimmen abgeben, eine "echte" Stimme und eben die Ersatzstimme. Die würde gültig, wenn die kleinere Partei, die die eigentliche Stimme erhalten sollte, die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt. Taktisches Wählen von Großparteien könnte so minimiert werden und die Ausbeute der kleineren Parteien maximiert werden - das jedenfalls ist die Hoffnung, die Befürworter damit verbinden. Volt hat die Ersatzstimme sogar schon im Wahlprogramm und auch Antonio Rohrßen von der Klimaliste würde sich über dieses Modell freuen.
Etwas kritischer sieht es die größte unter den kleinen Parteien: Die Tierschutzpartei. Sie hat noch keine klare Position zur Ersatzstimme. Mit 2,4 Prozent hat sie aber auch einiges zu verlieren. Der halbe Weg zu den fünf Prozent ist schon gegangen, ganz ohne Ersatzstimme. Die Tierschutzpartei hat im Vergleich zur Wahl 2021 sogar gewonnen - als einzige im grauen Balken. "In Anbetracht der Umstände, dass viele Parteien verloren haben und wir gewonnen, freuen wir uns sehr über unser Ergebnis", sagt Aida Spiegeler Castaneda, eine der drei Bundesvorsitzenden der Tierschutzpartei.
Das liegt auch an den Erfolgen auf Bezirksebene: Dort hat die Tierschutzpartei gleich in vier Bezirken die dort festgelegte Drei-Prozent-Hürde zur Bezirksverordnetenversammlung genommen und dabei beispielsweise die FDP hinter sich gelassen. In Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Spandau verteidigte die Tierschutzpartei ihren Platz, den sie 2021 ergattert hatte. Auch die "Partei" hat es in Friedrichshain-Kreuzberg in die BVV geschafft.
Spiegeler Castaneda will mit der Tierschutzpartei bei der nächsten Wahl über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, auch wenn sie diese Marke selbst als ungerecht hoch empfindet. Aber nicht nur das: Sie will raus aus dem Grauen Balken.
Mit 2,4 Prozent ließe sich da doch vielleicht was machen, so die Hoffnung. "Wenn man aufschreiben würde, wie viele E-Mails wir schon geschickt haben oder Telefonate geführt, um nicht mehr unter "Andere" aufgeführt zu werden. Viele denken tatsächlich, dass alle Parteien, die darunter fallen, Ein-Prozent-Parteien sind, und wenn dann eine Fünf-Prozent-Hürde im Raum steht, dann überlegt man sich das noch mal", sagt Spiegeler Castaneda. Nach den Ergebnissen dieser Wahl mit vier Prozent in mehreren Bezirken und den deutlich über zwei Prozent in ganz Berlin hofft sie, dass sich das bei der nächsten Wahl ändert.
Ein eigener Balken in den Wahlergebnissen, hinaus aus der Anonymität der "Anderen". Das ist ein Zwischenziel auf dem Weg ins Abgeordnetenhaus. Für 27 der 33 Parteien wäre es nach dieser Wahl ein großer Erfolg.
Beitrag von Simon Wenzel
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