Nach NRW nun auch Berlin: Erneut hat eine Silvesternacht und die folgende Sicherheitsdebatte über eine Landtagswahl mitentschieden. Rot-Grün-Rot ließ den Wunsch nach Sicherheit in der Hauptstadt unerfüllt, kommentiert Olaf Sundermeyer.
Ob Franziska Giffey sich nach den Berliner Silvester-Krawallen mit ihrer Parteifreundin Hannelore Kraft ausgetauscht hat, ist nicht überliefert. Von den Erfahrungen der ehemaligen NRW-Ministerpräsidentin hätte die Regierende Bürgermeisterin von Berlin jedenfalls eine wertvolle Lehre ziehen können: über den politischen Umgang mit dem subjektiven Sicherheitsgefühl, an dem Kraft und ihre rot-grüne Landesregierung am Ende gescheitert waren.
Und wieder vermied es eine rot-grün(-rot-)e Landesregierung, das offenkundige Problem klar zu benennen, für das viele Berliner seit Jahrzehnten auf eine Lösung warten: die stellenweise Verwahrlosung ihrer Großstadt, die an Silvester einen besonders krassen Ausdruck fand. Viele der jungen aggressiven Männer in den Straßen Berlins sind eine Gefahr für den sozialen Frieden, ihre chronischen Regelverletzungen bei gleichzeitiger häufiger Straflosigkeit, ihre zur Schau gestellte Missachtung gesellschaftlicher Werte.
Quelle: rbb
Sicherheit wichtigstes Thema für Wahlentscheidung
Müll am Straßenrand, Messer auf dem Schulhof, Bedrohungen und Beleidigungen in Bus und Bahn, eine wuchernde Raserszene, Angriffe auf Rettungskräfte und Polizei. Die Liste geht weiter über massenhafte Identitätstäuschungen, Sozialbetrug bis hin zur schweren Kriminalität oder zur Clankriminalität. Ein Thema, das in dem aktuellen rot-grün-roten Koalitionsvertrag gar nicht mehr aufgetaucht war, dem sich diese Landesregierung unangekündigt entzogen hat. Nachdem die Vorgängerregierung der Clankriminalität noch großspurig mit einem "5-Punkte-Programm" den Kampf angesagt hatte.
Dabei lässt sich nur ein Teil dieser Regelverletzungen tatsächlich als Straftaten erfassen - zumal die polizeiliche Kriminalstatistk pandemiebedingt seit 2020 nur eingeschränkt Aussagekraft hat. Es ist die Summe der augenscheinlichen Regelverletzungen in Berlin. Daraus setzte sich das wichtigste Thema vor der Berlinwahl zusammen: "Sicherheit und Ordnung" war das Thema, das für die Wahlentscheidung die mit Abstand größte Rolle gespielt hat.
Seit der Wende hat die SPD nicht mehr so schlecht bei einer Wahl in Berlin abgeschnitten wie am Sonntag. Nun werden erste Forderungen nach Folgen laut. Der Vize-Landeschef Kian Niroomand sieht in dem Votum eine "Wechselstimmung".
Statt Lösungen eine Empörungs-Debatte
Franziska Giffey hat dieses Thema verkannt, ausgerechnet nach Silvester, als es darauf ankam. Von der amtierenden Innensenatorin Iris Spranger, deren Stärke nicht in der Kommunikation liegt, war kaum Hilfe zu erwarten. Statt die Debatte anzuführen, Lösungen zu präsentieren, arbeiteten sich zahlreiche Mitglieder der Landesregierung an der CDU ab, angetrieben durch die Empörung in den sozialen Medien.
Schnell hatte die CDU das sicherheitspolitische Kommunikations- und Handlungsvakuum der Landesregierung erfasst, und populistisch aufgeladen. Durch die Vornamen-Abfrage nach Silvester, die "Kleine-Paschas"-Aussage von CDU-Chef Friedrich Merz über Bildungsverweigerer mit Migrationshintergrund.
Die Empörung über die als rassistisch markierte Kampagne der CDU verfing sehr wohl medial, nicht aber real. Ihr stellvertretender Bundesvorsitzender Carsten Linnemann brachte es noch am Wahlabend in der ARD auf den Punkt: "Ich bin persönlich der Meinung, dass es eine andere veröffentlichte Meinung gab, als die öffentliche in der Bevölkerung."
Eine Erfahrung, die die CDU schon bei einigen Landtagswahlen zuvor gemacht hat: In Berlin wanderten alleine 60.000 SPD-Wähler zur CDU [tagesschau.de]. Eine künftige Landesregierung, die das subjektive Sicherheitsgefühl unberücksichtigt lässt, wird in der Metropople Berlin nur bis zum nächsten Sicherheitsfanal Bestand haben.