Besuch beim SPD-Ortsverband Schillerpark
SPD und CDU stecken gerade mitten in den Verhandlungen. Doch ganz am Ende hat es die SPD-Basis in der Hand - denn sie muss anschließend über den Koalitionsvertrag abstimmen. Beim Ortsverein Schillerpark gehen die Meinungen auseinander. Von Leonie Schwarzer
Taverna Hellas im Wedding. An einer langen Tafel sitzen rund 20 SPD-Mitglieder aus dem Kiez am Schillerpark. Im Hintergrund läuft griechische Musik, doch die Stimmung war bei den Genossinnen und Genossen schon mal besser.
Es ist Jahreshauptversammlung, das bedeutet: Viele Formalitäten, der Kassenwart legt seinen Bericht vor und die Vorsitzenden halten Reden. Doch es gibt wohl kein SPD-Treffen, bei dem es in diesen Tagen nicht um die Koalitionsverhandlungen geht, die "Gesamtwetterlage", so nennt es der Co-Vorsitzende Guido Rohmann.
Bis Ende März treffen sich verschiedene CDU- und SPD-Arbeitsgruppen, um einen Koalitionsvertrag auszuhandeln. Danach sollen dann die knapp 19.000 Mitglieder der Sozialdemokraten darüber abstimmen. Guido Rohmann will sich den Entwurf des Koalitionsvertrages anschauen, bevor er sich festlegt. Was aber jetzt schon klar ist: "Für mich ist das eine Auswahl zwischen Pest und Cholera." Schwarz-Rot, die Weiterführung von Rot-Grün-Rot und auch der Gang in die Opposition - er schaue bloß, was das geringere Übel sei.
Auch Uwe Schulz-Hofen will die Verhandlungen abwarten. Seit 50 Jahren ist er SPD-Mitglied, früher einmal war er Juso-Vorsitzender im Wedding. Er verstehe sehr gut, dass die Landesführung in der derzeitigen Situation mit der CDU spreche. Es gehöre zur demokratischen Pflicht, auszuloten, mit welcher Partei welche Positionen am besten durchsetzbar seien: "Ich bin da ergebnisoffen, warte die Ergebnisse ab und werde dann entscheiden", so Schulz-Hofen.
Sein Genosse Uli Dalibor ist auch schon seit vielen Jahrzehnten in der SPD, doch er sieht die Sache ganz anders: "Der Vertrag, der da zustande kommt, der interessiert mich nicht." Er sei absoluter Gegner von Schwarz-Rot - nicht wegen Kai Wegner persönlich, sondern weil Wegner ein "trojanisches Pferd" sei: "Merz ist die CDU, mit Söder im Hintergrund, und mit denen können wir nicht koalieren."
Uli Dalibor gegenüber sitzt Julia Landgraf. Auch sie weiß jetzt schon, dass sie nicht für Schwarz-Rot stimmen wird. "Wir haben auf Bundesebene zwar keinen CDU-Finanzminister, aber einen FDP-Finanzminister", sagt sie, "daran kann man gut sehen, dass die schönsten Projekte aus dem Koalitionsvertrag nicht umgesetzt werden, wenn jemand auf der Kasse sitzt, der das nicht möchte." Und die Chancen seien eben hoch, dass es eine schwarze Finanzverwaltung gebe.
Doch was ist die Alternative zu Schwarz-Rot? Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hat schon durchblicken lassen: Sollte die SPD-Basis dem Vertrag nicht zustimmen, dann sieht sie ihre Partei in der Opposition. Wulf Bickenbach fände diese Option gar nicht so schlimm. Er bezieht sich auf den bekannten Ausspruch "Opposition ist Mist“", den einst der SPD-Politiker Franz Müntefering sagte. Gerade jetzt sei Opposition eben kein Mist, sagt Bickenbach, die nächste Legislaturperiode dauere ja nur noch drei Jahre. Die Genossinnen und Genossen lachen.
Doch es geht an diesem Abend auch schon in die Analyse - schonungslos sucht die Basis nach Antworten, wie das historisch schlechte Ergebnis der SPD zustande kam. Bickenbach glaubt, dass die SPD zu wenig Profil gehabt hat und dafür abgestraft wurde. In seinem Freundeskreis habe das Gefühl vorgeherrscht, dass sich Franziska Giffey wie ein Fähnchen im Wind drehe. Als Beispiel nennt er den umstrittenen Weiterbau der Berliner Stadtautobahn A100: Erst sei Giffey der Meinung, die Autobahn solle weitergebaut werden. Dann nach einem Parteitagsbeschluss sei sie plötzlich wieder dagegen. "Jetzt bin ich mir gar nicht mehr sicher, was sie gerade denkt – vielleicht will sie die Autobahn doch weiterbauen", sagt Bickenbach.
Mehr Profil zeigen, eine Nische besetzen - die SPD-Mitglieder sind sich einig, dass das wichtig ist. Julia Keil glaubt, dass die Themen Klima und Mobilität schon von den Grünen besetzt seien. Klar, Klimapolitik müsse mitgemacht werden, das sei unabdingbar, aber der Fokus im Wahlkampf hätte auch auf andere Themen gelenkt werden sollen. "Den Menschen ist auch Innere Sicherheit wichtig", sagt Keil. Sie spreche nur für diesen Wahlbezirk, hier seien auch Drogenpolitik oder Beschäftigung Schwerpunktthemen.
Adrian Berger ist 24 Jahre alt, studiert. Auch er glaubt: Die SPD muss sich stärker abgrenzen. Für seine Generation sei das Thema Umwelt bedeutsam – der ganze Müll im Wedding, aber auch allgemein das Klima. Die SPD habe zwar auch starke Klimaziele, im Zweifel würden die Menschen aber Grün wählen. Deshalb müsste das strategische Ziel der SPD sein, auch bei anderen Themen eine Aussage zu haben.
Für ihn sind vor allem Digitalisierung und Wohnen wichtig: "Meine ganzen Freunde, Studenten überwiegend, müssen alle sechs Monate die WG wechseln", sagt Adrian Berger, "weil zu teuer, weil befristet." Das Problem werde eher schlimmer als besser – und das unter Führung der SPD.
Außerdem sei es nach wie vor nicht möglich, beim Bäcker die Brötchen mit der Karte zu bezahlen. "Ich glaube, nur Franziska Giffey vor der Oberbaumbrücke und ein Plakat, auf dem 29-Euro-Ticket für alle steht, das reicht einfach nicht, um Leute zu bewegen", sagt Berger. Es müsse klare Kante gezeigt werden – und das bei mehreren Themen.
Dass sich was verändern muss, da sind sich die SPD-Mitglieder bei ihrem Treffen weitgehend einig. Doch was genau, ob eine schwarz-rote Koalition der richtige Weg ist, da gehen die Meinungen auseinander. Hier, in der Taverna Hellas im Wedding, zeigt sich schon im Kleinen, wie uneinig die Partei derzeit ist. Fest steht: Es warten spannende Wochen auf die SPD.
Beitrag von Leonie Schwarzer
Artikel im mobilen Angebot lesen