Beschädigte und entwendete Plakate
Vor der Wiederholungswahl werden wieder massenhaft Plakate beschmiert, zerstört oder entwendet. Laut Polizei beklagen Kandidierende, dass fast alle ihre Plakate weg oder beschädigt sind. SPD und Grüne sprechen von einer neuen Qualität. Von Jan Menzel
Die Abgeordnete Antje Kapek war eigentlich auf dem Weg zum Haustür-Wahlkampf. Doch auf der Straße "Am Friedrichshain“ wurde die Grüne stutzig. Vor wenigen Tagen erst hatten sie und ihr Team hier zahlreiche Plakate an den Laternenmasten aufgehängt. Mit jedem Straßenmeter, den Kapek fährt, musste sie feststellen: "Hier sind ja alle meine Plakate weg!"
Mit ihren Mitstreitern verschafft sie sich schnell einen Überblick. Das Ergebnis ist niederschmetternd: Fast die Hälfte der Grünen-Plakate ist verschwunden. Nicht etwa demoliert, beschädigt, beschmiert oder zerknüllt sondern "professionell entfernt", wie Kapek sagt. Dabei hätten die Plakate so hoch gehangen, dass es nur eine Möglichkeit gegeben habe, an sie ranzukommen: "Indem da ein Fahrzeug mit einer Hebebühne die Straßen entlangfährt und diese Plakate professionell entfernt."
Mit dieser Negativ-Erfahrung steht Kapek nicht alleine da. Auch andere Kandidierende berichten von Vandalismus und Diebstahl. So etwas habe es natürlich immer schon gegeben, sagt Rona Tietje: "Aber nicht in dieser Dimension." Die Kreisvorsitzende der Pankower SPD hat allein 22 zerstörte Wesselmänner gezählt. So heißen die Großplakate, die meist an Straßenkreuzungen stehen. Tietje hat noch etwas anderes beobachtet: "In Blankenburg und Heinersdorf sind über Kilometer die Plakate aller demokratischen Parteien abgerissen worden." Für Tietje ist klar: "Das hat System."
Von Zerstörungen, die "flächendeckend und quer durch den Bezirk" stattfinden, weiß auch Ramin Rachel. Der Kreisgeschäftsführer der Reinickendorfer SPD spricht davon, dass sich die Schäden im Vergleich zur vorigen Wahl "gut und gerne verdreifacht haben". Die Täter hätten es vor allem auf großflächige Banner an Bauzäunen abgesehen, die beschmiert oder zerschnitten worden seien. "Es sieht nicht so aus, als ob betrunkene Jugendliche sich einen Spaß erlaubt hätten", sagt Rachel. Auf ihn wirke das wie eine "konzertierte Aktion".
Im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses heißt es dazu, dass inzwischen eine besondere Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamts aktiv sei. Auf Anfrage des rbb teilt die Polizei mit, dass im laufenden Wahlkampf bislang 131 Anzeigen wegen Beschädigung an Plakaten und Parteieinrichtungen bei der Polizei gestellt wurden. Dazu kommen 17 Strafanzeigen wegen Diebstahls von Wahlplakaten (Stand 19.01.2023). Die Polizei hält aber ein erhebliches Dunkelfeld für möglich.
"Anhand der angezeigten Sachbeschädigungen/Diebstähle an und von Wahlplakaten lassen sich keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Zahl der begangenen Straftaten ziehen", heißt es in der schriftlichen Mitteilung. So sei die Anzeigebereitschaft je nach Partei und Wahlbezirk sehr unterschiedlich ausgeprägt. Laut Polizei beklagen einzelne Kandidierende oder Bezirksverbände bereits jetzt, "dass bis zu 100 Prozent ihrer Wahlplakate fehlen oder beschädigt sind".
Während die Beamten die Situation bislang noch als "ähnlich" im Vergleich zu vorigen Wahlen einschätzen, kommen von den Parteien sehr unterschiedliche Rückmeldungen. Einzig die FDP sieht keine "Auffälligkeiten". Bei der Linken ist die Rede von "vereinzeltem Vandalismus" zum Wahlkampfstart, der sich aber normalisiert habe. Auch die AfD meldet entwendete und beschädigte Plakate, so wie bei vorangegangenen Wahlen auch. In der Nacht zu Montag wurde allerdings ein Großplakat auf einem AfD-Wagen in Brand gesteckt.
Der CDU-Landesverband erhebt Vorfälle nicht zentral, doch Parteisprecher Michael Ginsburg sieht eine andere Tendenz: "Die Zahl der zerstörten Plakate, insbesondere der Großflächen, scheint zum Teil deutlich zugenommen haben." Für die Grünen erklärt ihr Sprecher Michael Schroeren: "Nach unserem Eindruck scheint die Stimmung am Wahlkampfstand gereizter, teils auch aggressiver als 2021 zu sein. Uns wird von Wahlkämpfenden vereinzelt übergriffiges Verhalten gemeldet, von Hitlergrüßen bis hin zu Gewaltandrohungen."
Auch Wahlkämpfende der SPD in Mitte mussten erleben, wie ihr Stand umgestoßen wurde.Die Polizei hat jedoch bislang weniger solcher Vorfälle erfasst als bei vorangegangenen Wahlen. Bis einschließlich 19. Januar wurden zwei Anzeigen wegen Körperverletzung, zwei wegen Beleidigung und eine wegen Bedrohung erstattet.
Für die Parteien und ihre Vertreter ist die Situation dennoch hoch problematisch. Antje Kapek, die im Wahlkreis Prenzlauer Berg Ost/Weißensee antritt, spricht von der enormen Belastung für viele ehrenamtliche Parteimitglieder, die plakatieren und im Wahlkampf helfen und nun sehen müssen, wie ihre Engagement mit Füßen getreten wird. "Das ist zutiefst undemokratisch", kritisiert die Grüne und erinnert daran, dass es - neben einem Schaden von 1000 Euro, der ihr entstanden ist - bei Beschädigung und Diebstahl von Wahlplakaten um Straftaten gehe.
Sendung: rbb24 Abendschau, 23.01.2023, 19:30 Uhr
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Beitrag von Jan Menzel
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