Rot-rot-grüne Koalitionsverhandlungen in Berlin
Bisher verliefen die Koalitionsverhandlungen in Berlin weitgehend konfliktfrei: Meistens konnten sich SPD, Linke und Grüne auf Kompromisse verständigen. Anders ist das bei der Innenpolitik. Hier gibt es diverse Streitpunkte - und es bleibt nicht mehr viel Zeit. Von Holger Hansen
Eigentlich hätten SPD, Linke und Grüne schon am Montag über die Innenpolitik im Roten Rathaus verhandeln sollen. Doch am Montag war Reformationstag, zu dessen Feierlichkeiten sich der Regierende Bürgermeister verabschiedete. Nun wird am kommenden Montag verhandelt. Der Themenkomplex ist riesig und es gibt diverse strittige Punkte:
Besonders umstritten ist die Drogenpolitik: So wollen Linke und Grüne den Cannabis-Konsum in bestimmten Grenzen freigeben und einen kontrollierten Verkauf legalisieren. Der Besitz von geringen Mengen soll straffrei bleiben. Das würde dem illegalen Drogenhandel entgegenwirken und die Polizei entlasten. Die SPD lehnt das strikt ab und kann den Forderungen von Grünen und Linken auch gar nicht zustimmen, weil ein SPD-Mitgliederentscheid ein klares Votum dagegen ergeben hatte.
Dass die Einführung von Null-Toleranz-Zonen unter Rot-Schwarz wie etwa im Görlitzer Park nicht den gewünschten Effekt gebracht hat, obwohl die Polizei massiv dagegen vorgegangen ist, darüber ist man sich jedoch einig. Null-Toleranz-Zonen sollen deshalb aufgehoben werden.
Streit gibt es auch um polizeiliche Ermittlungsmethoden: Grüne und Linke sind gegen jede Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen. Das bringe keine höhere Sicherheit, werde aber mit massiven Eingriffen in Bürgerrechte und Datenschutz bezahlt. Die SPD will den vom alten Senat beschlossenen Modellversuch auf dem Alexanderplatz durchführen und dann auswerten, ob eine Überwachung im Kampf gegen die Kriminalität womöglich doch hilft.
Funkzellenabfragen und die sogenannte "stille SMS", die für den Empfänger nicht erkennbar ist, aber Verbindungsdaten auslöst, wollen Grüne und Linke nochmal prüfen lassen. Auch da besteht der Verdacht, dass bei geringem Nutzen massiv in Persönlichkeitsrechte eingegriffen wird. Dagegen heißt es bei der SPD, eine Evaluation sei unnötig - in bestimmten Fällen seien dies eindeutig sinnvolle Instrumente. Die jeweils ermittelten Daten müssten allerdings dem Parlament zur Kontrolle vorgelegt werden.
Am ehesten wird man sich wohl auf die künftige Personalstärke der Berliner Polizei einigen können. Die genauen Zahlen sind zwar noch unterschiedlich, doch die drei Parteien sind sich einig, dass die Berliner Polizei gestärkt werden soll. Die Bedarfsplanung der Polizei geht von 250 zusätzlichen Stellen pro Jahr aus, also 1.250 in den nächsten 5 Jahren. An diesen Zahlen orientiert sich die SPD.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte 3.000 zusätzliche Stellen und die Erhöhung der Ausbildungskapazität gefordert. Das wird es wohl im Konsens aller Parteien nicht geben, denn die Kosten dafür würden dann für andere Bereiche fehlen. Grüne und Linke konnten sich bisher vorstellen, dass in der kommenden Legislaturperiode insgesamt 500 Polizisten mehr ausgebildet werden, jedoch unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit.
Hoffnungen richten sich deshalb auch auf den Hauptstadtvertrag, nach dem es ab 2018 mehr Geld für die Hauptstadtaufgaben der Berliner Polizei (wie die Begleitung von Staatsbesuchen und Sicherung von Botschaften) vom Bund geben könnte. Rein statistisch gesehen sei die Berliner Polizei personell mit 21.000 Beschäftigten, davon über 16.000 Polizisten, vergleichsweise gut aufgestellt, meinen die Grünen.
In den Koalitionsverhandlungen wird aber darüber gestritten, wie das vorhandene Personal bei der Polizei effektiver eingesetzt werden kann. Bei weniger Belastung durch Büroarbeit könnten mehr Beamte auf der Straße eingesetzt und damit die Präsenz der Polizei in der Stadt verstärkt werden, wie von allen gewünscht. Das "Berliner Modell", nach dem Schutzpolizisten auch kleinere Kriminalitätsvorgänge zu bearbeiten hatten, habe sich nicht bewährt, soweit besteht Einigkeit. In der Polizeibehörde selbst läuft bereits eine Strukturreform.
Ein großer Streitpunkt in den Koalitionsverhandlungen ist der Landesverfassungsschutz: Während die SPD die Landesbehörde vor dem Hintergrund einer potentiellen Terrorgefahr und des wachsenden Rechtsextremismus stärken und personell aufstocken will, fordern Linke und Grüne, den Berliner Verfassungsschutz abzuschaffen. Die Behörde habe für Skandale gesorgt, als Akten geschreddert wurden und sich V-Leute als rechtsextremistisch erwiesen hatten. Zur Aufklärung habe der Berliner Verfassungsschutz nichts beigetragen, im Gegenteil: Er habe sich, obwohl das nach der Verfassung ausdrücklich vorgesehen ist, parlamentarisch nicht kontrollieren lassen. Das bestreitet die SPD.
In Zukunft komme es aber darauf an, dass der Verfassungsschutz stärker mit Informationen an die Öffentlichkeit gehe und in Schulen über Gefahren aufkläre. Die Linke drängt darauf, die Behörde sofort zu schließen, die Grünen sehen diese Möglichkeit eher "mittelfristig". Die Aufgaben könne dann das Landeskriminalamt übernehmen. Wie hier ein Kompromiss aussehen könnte, ist unklar.
Trotz der zahlreichen Meinungsverschiedenheiten im Inneren sprechen alle Beteiligten offiziell von einer "konstruktiven Atmosphäre" der Verhandlungen. Die Dissenspunkte könnten ausgeräumt werden. 'Wie, das sagt bisher niemand. Eine Lösung müssen die Koalitionäre am kommenden Montag finden, wenn das Thema im Roten Rathaus aufgerufen wird.
Viel Zeit für Verhandlungen bleibt nicht, denn schon am 16. November soll der Koalitionsvertrag fertig sein. Dabei stehen noch weitere große Themenfelder auf der Agenda. Am 8. Dezember soll der neue Senat vereidigt werden, hatte der Regierende Bürgermeister Michael Müller angekündigt.
Beitrag von Holger Hansen
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