Mögliche Parkgebühren für Berliner Innenstadt
Noch ist nicht bekannt, ob Rot-Rot-Grün tatsächlich fürs Parken innerhalb des gesamten S-Bahn-Rings Geld verlangen will - schon erschallen hitzige "Schikane! Abzocke!"-Rufe. Denn wenn es um (gefühlte) Einschränkungen der Freiheit geht, wird der Berliner Autofahrer zum Wutbürger. Von Andrea Marshall
Viele Metropolen in der westlichen Welt verlangen Geld fürs Parken. "In New York kostet eine Stunde Parken um die 15 Dollar, in Amsterdam um die zehn Euro, in Tokio darf man sich gar kein Auto zulegen, wenn man keinen eigenen Stellplatz nachweisen kann. In Berlin wird viel weniger verlangt, und Anwohner zahlen für die Plakette ganze 85 Cent - im Monat." Der das sagt, hat selbst Erfahrung mit der Einführung von Parkgebühren: Pankows Stadtrat für Stadtentwicklung und Bürgerdienste, Jens-Holger Kirchner (Grüne), der als neuer Verkehrssenator im Gespräch ist.
Seit 2010 hat Kirchner mehrere zehntausend Parkplätze in seinem Bezirk kostenpflichtig gemacht. In anderen Bezirken - Köpenick (2014) und Charlottenburg-Wilmersdorf (2007) - schmetterten Anwohner per Bürgerentscheide solche Planungen ab. In Mitte scheiterte ein Bürgerentscheid 2008 an nicht ausreichender Gesamtbeteiligung.
Auch jetzt ging eine Welle der Empörung durch Teile der Stadt, als durchsickerte, dass bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Linken und Grünen Fachpolitiker in einer Arbeitsgruppe darüber sprachen, die Berliner Innenstadt innerhalb des gesamten S-Bahn-Rings zu einer einzigen, gebührenpflichtigen Parkzone zu machen. Einzelheiten sind nicht bekannt. Aber sofort kam Gegenwind aus sozialen Netzwerken wie Facebook sowie von CDU und FDP: Von Abzocke und "ideologischer Schikane" der Autofahrer war die Rede. "Reflexhaft" findet Stadtrat Kirchner die Reaktion, auch aus der "Autolobby", wie er sagt: "Für die sind Parkzonen das Ende des Abendlandes."
Befürworter sagen dagegen, mit den Gebühren steuerten weniger Autofahrer kostenpflichtige Zonen an oder sie parkten dort nur für kurze Zeit. Dadurch gebe es weniger "Suchverkehr".
Dabei sind weitere Parkzonen schon seit 2003 unter Rot-Rot und erneut seit 2011 unter Rot-Schwarz zentraler Bestandteil des Stadtentwicklungsplans Verkehr. In einem aufwändigen Abstimmungsprozess über vier Jahre, an dem unter anderem die Bezirke und verschiedene Verbände beteiligt waren, ist auf dieser Grundlage ein Masterplan für Berlin entstanden. Selbst der ADAC hat den Plan begrüßt, allerdings gefordert, die Pendlerströme aus Brandenburg einzubeziehen.
"Strategie Parken Berlin" heißt der Plan. Seit Ende 2015 liegt er fertig in der Schublade – beschlossen hat ihn der rot-schwarze Senat dann aber nicht mehr. "Vorbehalte der CDU-geführten Ressorts konnten nicht aufgelöst werden", sagt Martin Pallgen, Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, zur Begründung. Möglicherweise sollte das umstrittene Thema auch aus dem Wahlkampf vor der Abgeordnetenhauswahl herausgehalten werden. Aber das sagt Pallgen nicht.
Öffentlich einsehbar ist der Plan nicht. Ob darin auch die jetzt diskutierte "Gesamtparkzone" für alle Gebiete innerhalb des S-Bahn-Rings empfohlen wird, bleibt offen. Im Stadtentwicklungsplan Verkehr von 2011 war vorgesehen, dass die Parkraumbewirtschaftung schrittweise, aber nicht flächendeckend, sondern "auf alle innerstädtische Zielgebiete des Pkw-Verkehrs mit starker Parkraumnachfrage sowie die unmittelbar angrenzenden Wohngebiete" ausgedehnt wird, wie es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Piraten-Politikers Andreas Baum vom Dezember 2015 heißt.
Warum sind Parkzonen in Berlin so heikel? München hat sie, Duisburg schon seit 1956, in Berlin ging die erste Parkraumbewirtschaftung erst 40 Jahre später, nämlich 1996, an den Start, wie Bezirksstadtrat Kirchner erklärt.
Ein Grund für die schwierige Umsetzung von Parkzonen: Es sind zwölf unterschiedlich regierte Bezirke zuständig, nicht der Senat, weshalb eine einheitliche Strategie schwierig bis unmöglich ist. Vereinheitlicht werden könnten aber die Kriterien für solche Zonen: Der Senat könnte die Bezirke beraten.
Und dann ist da noch die Berliner Mentalität, meint Stadtrat Kirchner. "Für drei Dinge gibt es hier richtig Ärger: Wenn man einen Hund tritt, einen Baum absägt – oder jemandem einen Parkplatz wegnimmt." Letzteres habe mit dem starken Bedürfnis nach Freiheit zu tun. In der "Frontstadt Westberlin" habe die Einstellung vorgeherrscht, dass man, wenn man schon "eingemauert" sei, wenigstens ungehindert Autofahren dürfe, zum Beispiel auch ohne Geschwindigkeitsbegrenzung über die Avus rasen. Im Ostteil der Stadt, damals Hauptstadt der DDR, sei man wiederum an Privilegien gewöhnt gewesen.
Verkehrsexperten und -psychologen äußern sich ähnlich, wenn es um die Frage geht, warum in Deutschland als einziger Industrienation kein Tempolimit auf Autobahnen gilt. Es ist der Freiheitsdrang. Ihn zu beschneiden, löst ähnlich emotionale Reaktionen aus wie Waffenrechtsänderungen in den USA.
Stadtrat Kirchner nimmt zugleich widersprüchliche Bedürfnisse der Hauptstädter wahr: "Es gibt die tiefe Sehnsucht nach autofreiem Wohnen. Aber gleichzeitig wollen alle in zehn Minuten mit dem Auto am Alex sein – entgeltfrei. Und wehe, es stehen Ampeln und Baustellen im Weg." Allerdings beobachte er auch Veränderungen bei den Berlinern: Immer mehr Einwohner verzichteten auf das Auto. Fahrradfahren werde zunehmend beliebter. Der öffentliche Raum gehöre zudem nicht allein den Autofahrern.
Wie die neue Landesregierung mit dieser Gemengelage umgehen will - es bleibt spannend.
Beitrag von Andrea Marshall
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