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Quelle: dpa/rbb

Start von Rot-Rot-Grün in Berlin

Bleibt alles anders

Nach fünf Jahren Rot-Schwarz heißt es nun Rot-Rot-Grün in Berlin. Es ist die Premiere eines Bündnisses, das sich eigentlich niemand gewünscht hatte - schon gar nicht der Regierende Michael Müller. Nun aber müssen SPD, Linke und Grüne zeigen, dass sie auch als Trio funktionieren. Von Thorsten Gabriel

Alles lief am Donnerstagvormittag nach Plan - nun kann es losgehen mit dem Regieren. Wobei man im Falle der Sozialdemokraten sagen muss: Was heißt hier los? Weiter geht es! Zum zehnten Mal in Folge sitzt die SPD mit am Senatstisch, seit 29 Jahren regiert sie in Berlin mit. Und das ist eigentlich noch tiefgestapelt, denn sieht man von zusammengerechnet zehn Jahren ab, war sie eigentlich seit Ende des Zweiten Weltkriegs permanent an der Regierung beteiligt. Die meiste Zeit in führender Position, verbunden mit so klangvollen Namen wie Ernst Reuter, Willy Brandt, Klaus Schütz und natürlich: Klaus Wowereit.

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Höchst unterschiedliche Regierungserfahrungen

Krasser könnte der Unterschied zu den Koalitionspartnerinnen, den Linken und den Grünen, kaum ausfallen. Insbesondere für die Grünen ist das Thema "Regieren in Berlin" kein ruhmreiches. Zwar schrieb man 1989 mit dem ersten rot-grünen Senat unter Walter Momper Geschichte, doch das Bündnis scheiterte keine zwei Jahre nach dem Start. Seitdem misslang jeglicher Versuch, mit den Sozialdemokraten noch einmal neu ins Regierungsgeschäft zu kommen.

Die Linke bringt da schon mehr Erfahrung mit. Immerhin zehn Jahre regierte sie von 2002 bis 2011 an der Seite der SPD unter Klaus Wowereit die Stadt. Das verschafft ihr jetzt einen Vorteil, denn viele der Akteure von damals sind heute noch an Bord. Sie wissen, was es heißt, ein Bündnis mit den aufs Regieren abonnierten Sozialdemokraten einzugehen. Und doch ist dieses Mal vieles anders als zu rot-roten Zeiten - anders und schwieriger.

Ein paar Regeln fürs gemeinsame Regieren

Da ist zum einen der Umstand, dass man die nächsten fünf Jahre nicht als Duo absolvieren kann, sondern als Trio bestreiten muss. Das macht Abstimmungsprozesse komplizierter, verlängert Entscheidungswege. Einen Vorgeschmack lieferten schon mal die Koalitionsverhandlungen. Vor allem führende Sozialdemokraten hörte man da schon mal stöhnen, wie anstrengend es doch sei.

Dies wissend und vorhersehend, haben sich die Koalitionäre in ihren Verhandlungen auf ein paar Regeln verständigt, die dafür sorgen sollen, dass das gemeinsame Regieren dennoch möglichst geschmeidig funktioniert. Unter anderem soll der sogenannte Koalitionsausschuss - der gemeinhin in Regierungsbündnissen eher als Krisengremium gilt - monatlich tagen. Außerdem soll in der Senatskanzlei eine neue Einheit für Regierungsplanung geschaffen werden. Vorsicht ist die Mutter der Senatsporzellankiste.

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Zum anderen spielen bei diesem Bündnis aber auch emotionale Fragen eine stärkere Rolle als bei früheren. Die SPD ist zwar als stärkste Kraft aus der Abgeordnetenhauswahl im September hervorgegangen, fuhr aber dennoch ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Krieg ein. Michael Müller steht nicht als strahlender Sieger an der Spitze dieses Bündnisses, sondern als Gedemütigter. Als einer, der die Wählerinnen und Wähler in seinen ersten zwei Amtsjahren nicht so überzeugen konnte, dass es für ein Zweierbündnis gereicht hätte. Keine leichte Rolle für einen, der sich zuletzt in der Koalition mit der CDU öfter mal dünnhäutig zeigte, wenn es nicht so lief, wie er es sich vorstellte.

Ein Hauch von Grün-Schwarz

Gleichzeitig stehen die Grünen unter erhöhtem Erfolgsdruck, weil sie nach den Jahrzehnten der Opposition und dem gescheiterten rot-grünen Projekt anno ‘89 zeigen müssen, dass sie regierungsfähig sind – und das, obwohl ihr nominiertes Senatspersonal, gelinde gesagt, nicht mit allzu viel Verwaltungserfahrung aufwarten kann. Nicht die besten Voraussetzungen, um unverkrampft ans Regieren zu gehen.

Insofern wird zumindest die erste Personalentscheidung der künftigen Wirtschaftssenatorin Ramona Pop - bisher grüne Fraktionschefin - von vielen als geschickter Schachzug angesehen: Sie wird mit dem bisherigen Wirtschaftsstaatssekretär Henner Bunde von der CDU weiterarbeiten. Daran stören sich zwar einige Fundi-Grüne, für Pop aber dürfte dies ein Stück politischer Lebensversicherung auf den ersten Metern im neuen Amt sein. Denn der 52-Jährige kennt die Berliner Verwaltung seit mehr als zwei Jahrzehnten bestens. Die meiste Zeit war er in leitenden Positionen in der Finanzverwaltung tätig. Und wer will, kann aus der Personalentscheidung ein zumindest verstohlenes Augenzwinkern herauslesen: Solle niemand denken, Grüne und Schwarze könnten in dieser Stadt überhaupt nichts miteinander anfangen.

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Das Postenkarussell dreht sich

Die Linke kennt sich mit dem Regieren zwar besser aus, hat deshalb aber noch lange keinen Spaziergang vor sich. So kann man der künftigen Senatorin für Bauen und Wohnen, Katrin Lompscher, zwar einerseits attestieren, dass sie sowohl eigene Regierungserfahrung mitbringt als auch Fachkenntnis – bereits in der rot-roten Ära war sie Senatsmitglied, sie hat Städtebau studiert, als Stadtplanerin gearbeitet und sich in den vergangenen fünf Jahren parlamentarisch mit den Themen befasst, für die sie nun Verantwortung tragen wird. Andererseits übernimmt Lompscher von Amtsinhaber Andreas Geisel eine über Jahrzehnte durch und durch sozialdemokratisierte Verwaltung. Von den zugehörigen Wohnungsbaugesellschaften ganz zu schweigen. Linke Senatorin und Belegschaft werden sich da noch aneinander gewöhnen müssen.

Insofern hat es die SPD nicht zuletzt dank ihrer Personalkontinuität am leichtesten. Zwar hat sich auch dort das Postenkarussell in Gang gesetzt und Andreas Geisel wechselt nun von der Stadtentwicklungs- in die Innenverwaltung. Dort allerdings hat Amtsinhaber Frank Henkel in den vergangenen fünf Jahren keine allzu großen CDU-Spuren hinterlassen. Man könnte sogar sagen: Geisel teilt mit Henkel das gleiche Schicksal – anders als manche Amtsvorgänger in der Innenverwaltung ist auch er kein Jurist. Mancher Innenexperte sieht das durchaus als Makel an. Der stets unerschrocken wirkende und mit ordentlichem Selbstbewusstsein ausgestattete Geisel hingegen dürfte darin eher eine Herausforderung sehen.

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Das Dreierbündnis vor dem Spagat

Die berühmten ersten 100 Tage werden nun zeigen, ob es mit dem "Guten Regieren" so funktioniert, wie SPD, Linke und Grüne es sich vorstellen und in ihren Koalitionsvertrag geschrieben haben. Überhaupt wird sich noch erweisen müssen, wie belastbar das Vertragswerk ist. "Der Koalitionsvertrag ist ein Konvolut aus großtuerischen Worten und kleingeistigen Maßnahmen", konstatierte vergangene Woche die frisch gewählte Berliner CDU-Chefin Monika Grütters. Das ist zwar zugespitzte Oppositionsrhetorik, aber wer es einmal geschafft hat sich durch alle 177 Seiten durchzuarbeiten, muss feststellen, dass das Werk wohl dünner ausgefallen wäre, hätte man alle wolkige Politprosa entfernt und es auf seine belastbaren Aussagen reduziert.

Aber letztlich sind die vielen Worte eben Ausdruck jenes Spagats, den das Dreierbündnis nun hinlegen will: Einerseits will man denen, die sich schon lange nach einer anderen, linkeren Politik in der Stadt sehnen, zeigen, dass ein Mentalitätswechsel möglich ist. Andererseits muss man auch jene, die genau diesen Mentalitätswechsel fürchten, beruhigen und ihnen immer wieder versichern: So schlimm wird's schon nicht werden. Und spätestens 2021 wird sich zeigen, ob das "Projekt R2G" mehr Spuren in der Stadt hinterlassen hat als zwei Meter breite Radfahrstreifen an allen Hauptverkehrsstraßen.

Beitrag von Thorsten Gabriel

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