Bilanz | Opposition im Abgeordnetenhaus
Linke, Grüne und Piraten weisen unermüdlich auf Mängel hin. Dadurch haben sie oft genug die Probleme in Berlin auf den Punkt gebracht. Doch Probleme lösen oder Entscheidungen in ihrem Sinne treffen konnte die Opposition in den vergangenen fünf Jahren nicht. Von Holger Hansen
Entscheiden konnte die Opposition aus Grünen, Linken und Piraten nichts - dafür sorgte die Regierungskoalition aus SPD und CDU mit ihrer Mehrheit im Parlament. Rot-Schwarz - das seien fünf verlorene Jahre für Berlin gewesen, urteilt Linke-Fraktionschef Udo Wolf: Zu viel sei ausgebremst worden durch parteipolitische Einzelinteressen, zu wenig gemeinsam konstruktiv erarbeitet. Der Linken, so Wolf, hätten nach ihrer Regierungsbeteiligung bis 2011 auch eineinhalb Jahre in der Opposition genügt, um sich neu zu sortieren und zu positionieren.
Aber immerhin: Linke, Grüne und Piraten haben unermüdlich auf Probleme hingewiesen, Mängel kritisiert, Vorschläge gemacht und Entscheidungen gefordert, damit wurde die Große Koalition der Landesregierung immer wieder konfrontiert. Wieviel davon in das öffentliche Bewusstsein gelangt ist, wird sich möglicherweise bei den Wahlen am 18. September zeigen.
"Wir haben stark daran gearbeitet, deutlich zu machen, dass die Zeit der Konsolidierungspolitik vorbei sein muss und wir angesichts von Haushaltsüberschüssen endlich wieder in die öffentliche Infrastruktur der Stadt investieren müssen", sagt Wolf. Dadurch seien Fragen wie "Was braucht die Stadt? Was muss sie sich leisten?" in das Bewusstsein der Politik gerückt. Das verbucht der Linke als Erfolg.
Aber auch Grüne und Piraten reklamieren für sich, den Investitionsstau kritisiert zu haben. Auch sie fordern, Überschüsse aus der Landeskasse nicht komplett ins Schuldenloch zu werfen, sondern auch zu investieren. Überlasteter Nahverkehr, zu wenige Fahrradwege, zusammengesparter Öffentlicher Dienst, sichtbare Mängel in Bürgerämtern und Schulen. Diese Themen nennt Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop allerdings gleichzeitig unter der Rubrik "Nicht erreicht". Deshalb würde sie das auch gern mit den Grünen in einer neuen Landesregierung durchsetzen.
"Wann kommt das Personalentwicklungskonzept für den Öffentlichen Dienst?" war eine weitere Frage, bei der die Opposition im Parlament nicht locker ließ. Die Linke hat eins aufgestellt, zusammen mit Personalräten, Wissenschaftlern und Verwaltungsfachleuten. Seit zwei Jahren bezweifelt niemand mehr, dass ein solches Konzept dringend gebraucht wird.
Ebenso die Wohnungspolitik: "Mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen" war seit jeher eine Forderung der Linken, jetzt bewegt sich etwas. Da klingt einerseits der Stolz darauf an, dass von der Opposition Themen gesetzt werden konnten, die die Zukunft Berlins betreffen. Andererseits ermüde das immer gleiche Spiel, dass entsprechende Anträge zunächst abgelehnt, einige der Themen aber später als eigene von der Koalition wieder eingebracht und beschlossen wurden. SIWA, das Sondervermögen Infrastruktur der wachsenden Stadt, ein Programm von SPD und CDU, gehört dazu.
In den vergangenen fünf Jahren sei es zu Entwicklungen im parlamentarischen Betrieb gekommen, die sich nicht unbedingt positiv für Berlin ausgewirkt hätten, kritisiert die scheidende Linke-Abgeordnete Jutta Matuschek. In mehrere zentrale Themen sei erst durch Volksbegehren Bewegung gekommen - ein Zeichen dafür, dass es das Parlament als Ganzes - einschließlich der Opposition - nicht geschafft habe, die Alltagsprobleme der Menschen so abzubilden, dass Politik glaubwürdig erscheine. Eine Verständigung über das Gemeinwohl-Interesse, auch über Parteigrenzen hinweg, habe kaum noch stattgefunden, sondern die Gräben zwischen Regierung und Opposition seien tiefer geworden.
Die meisten schriftlichen Anfragen an den Senat haben die Piraten gestellt. Transparenz, Informationsfreiheit, Bürgerbeteiligung: Themen, die durch sie weiter vorangekommen sind. Beim Thema IT haben sie neue Standards gesetzt: Mit dem Streaming von Fraktionssitzungen, Online-Beteiligungsplattformen, Debatten zu Trojanern und zur e-Akte haben sie den Senat alt aussehen lassen. Piraten-Fraktionschef Martin Delius hat sich als Vorsitzender des BER-Untersuchungsausschusses - zumal als parlamentarischer Newcomer - viel Anerkennung erworben.
Die von den Piraten erhoffte Etablierung von Social-Media-Techniken für politische Entscheidungsfindungen dagegen ist gescheitert. Und eine klare politische Linie war bei ihnen kaum erkennbar. Sie haben zwar den parlamentarischen Alltag aufgefrischt, sich aber schließlich selbst zerlegt (die Hälfte der Fraktionsmitglieder sind aus der Partei ausgetreten). Eine ganze Reihe von Piraten, darunter der Fraktionschef, wollen nun die Linke unterstützen.
Fazit: Probleme formuliert und den Blick darauf geschärft - das ist der Erfolg der Opposition. Probleme gelöst - im Sinne von Linken, Grünen und Piraten - hat sie aber nicht.
Rot-Rot-Grün - oder r2g, wie es bei der Linken heißt - könnte nun eine mögliche Regierungskonstellation nach den Wahlen werden, wenn die derzeitigen Umfragewerte sich bestätigen sollten. Dann könnten zwei der bisherigen Oppositionsfraktionen beweisen, dass sie besser, gemeinsam und konstruktiv für das Wohl der Stadt arbeiten können, als es die rot-schwarze Koalition vermochte.
Beitrag von Holger Hansen
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