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Erstwählende treffen Bundestagskandidaten
In Neustadt (Dosse) waren Direktkandidaten für den Bundestag an einer Gesamtschule zu einem Podium mit Erstwählenden eingeladen. Eine Stunde reden sie unter anderem über Demokratie und Frieden - auch mit der AfD. Was dabei herauskam. Von Birgit Raddatz
Im Klassenraum riecht es nach Schweiß, Parfum und Aufregung. Politiklehrer Christian Tatje bittet, die Fenster zu öffnen. Fast 30 Schülerinnen und Schüler der 12. und 13. Klasse des Politikleistungskurses der Prinz-von-Homburg-Schule sitzen in drei Reihen hintereinander. Viele von ihnen sind nun volljährig und dürfen zum ersten Mal bei einer Bundestagswahl mitwählen.
Kim Seeger weiß noch nicht genau, welcher Partei sie ihre Stimme gibt. "Auf keinen Fall aber der AfD!" In der einstündigen Veranstaltung wollen die Schülerinnen und Schüler die Politiker zu den Themenkomplexen Internationale Politik, Gesellschaft/Wirtschaft und Demokratie befragen. Nach und nach trudeln die Gäste ein, Sebastian Steineke (CDU) ist der erste.
Fast unbemerkt betritt er den Raum und setzt sich vor sein Schild. Neben ihm nimmt kurz danach Götz Frömming von der AfD Platz. "Ich habe bewusst alle Bundestagskandidaten im Wahlkreis eingeladen, um niemanden auszuschließen", begründet Lehrer Christian Tatje die Entscheidung. Verpflichtet ist er dazu nicht. Frömming nutzt das: "Danke für die Einladung, das habe ich auch schon anders erlebt." Vergangenes Jahr hatte ein Gymnasium in Wittenberge entschieden, einen AfD-Vertreter zu einer ähnlichen Diskussion vor der Landtagswahl nicht einzuladen.
Daniel Irrgang (Die Linke) kommt mit einem Jutebeutel, darauf das Parteilogo. Nur wenige Minuten vor Beginn trudeln dann auch Wiebke Papenbrock (SPD) und Maximilian Kowol (Bündnis90/Die Grünen) ein. Der eigentliche Direktkandidat der Grünen, Martin Wandrey, hat aus Termingründen abgesagt. Kowol ist mit 24 Jahren der Jüngste in der Politikrunde und trägt einen Kapuzenpullover, auf dem "tax the rich" steht.
Auch Kleidung spielt eine Rolle im Wahlkampf. Lehrer Tatje begrüßt die Gäste kurz, danach übernehmen die beiden Moderatorinnen, Lenya Kisten und Lena Pögel aus der 13. Klasse. "Bitte antworten Sie kurz und prägnant, in maximal zehn Sätzen." Hier geben die Schülerinnen den Ton an. Nach demokratischen Regeln haben sie versucht, das Gespräch zu gestalten. Die Gäste sitzen von links nach rechts, angeordnet nach den Umfragewerten der letzten Sonntagsfrage: CDU, AfD, SPD, Grüne, Die Linke. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat im Wahlkreis 56 (Prignitz-Ostprignitz-Ruppin- Havelland I) bisher keinen Kandidaten aufgestellt.
Eine Schülerin fragt, was die Politikvertreter tun wollen, um Rettungskräfte vor Angriffen zu schützen. Frömming nutzt das, um Berlin als Ort der Verwahrlosung darzustellen. In seiner Wahrnehmung würden Sanitäter dort ständig angegriffen. Im Schnitt sind es laut Berliner Innenverwaltung zwei Angriffe pro Tag. 2023 gab es laut Berliner Feuerwehr aber auch fast eine halbe Million Einsätze.
Frömming weiß, wie man Zahlen umdeutet. Er hat die AfD mitgegründet und den Berliner AfD-Landesverband aufgebaut. Seit 2017 sitzt er im Bundestag. Nachdem Herbert Grönemeyer 2019 bei einem Konzert dazu aufgerufen hatte, "keinen Millimeter nach rechts" zu rücken, hatte Frömming den Sänger mit dem NS- Propagandachef Joseph Goebbels verglichen. Auf seinem Instagram-Kanal zeigt der Vater von drei Kindern seine Sympathien für Elon Musk, Tesla-Chef, X-Begründer und rechte Hand des designierten US-Präsidenten Donald Trump. Der Milliardär hatte kürzlich für die AfD geworben.
Die Pressefreiheit, so wie Frömming sie versteht, nennt er "existenziell". "Bericht oder Kommentar, viele Journalisten unterscheiden da ja gar nicht mehr." Dass auch Einordnung zum journalistischen Alltag gehört, verschweigt der studierte Pädagoge.
Dann kritisiert er den Digital Services Act der EU und begrüßt die Entscheidung von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, künftig keine Fakten mehr professionell überprüfen zu lassen. "Jeder soll sich aus den Quellen informieren, die er für richtig hält." Maximilian Kowol von den Grünen seufzt. "Ich springe dann mal über das Stöckchen." Die Meinungsfreiheit, so Kowol, sei keine "Einbahnstraße", die Meinung einer einzelnen Person noch kein Konsens, auf Plattformen spielten auch Algorithmen eine Rolle. Der Lehramtsstudent arbeitet sich eine Stunde lang sichtlich an den AfD-Positionen ab.
Nur bei einer Frage werden Frömming und Kowol ausgenommen, denn sie haben viel gesagt. Besonders der AfD-Politiker reizt ansonsten seine Redezeit aus. Er redet lauter als die anderen, bedankt sich für eine Frage. Es dauert nicht lang und er spricht von kriminellen Ausländern, die die eigentliche Ursache von Gewalt seien. Frömming sagt aber auch Widersprüchliches, etwa: "Wir wollen nicht die Grenzen hermetisch abriegeln, gegen Fachkräfte aus dem Ausland habe ich nichts." Doch die AfD passt sich lediglich an - das Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung Mannheim kam 2024 in einer Forschungs-Übersicht zu dem Ergebnis, dass rechtspopulistische und teils rechtsextreme Positionen vermutlich den Wirtschaftsstandort Deutschland belasten.
Eigentlich müsste Wiebke Papenbrock von der SPD die eigentliche Prominente sein. Sie holte bei der letzten Bundestagswahl das Direktmandat im Wahlkreis. Sie antwortet jedoch nicht auf die Frage, sondern spricht über sich selbst. "Ich erlebe, dass Menschen auch beim Aufhängen von Wahlplakaten angegriffen werden." Auch sie sei dabei schon beleidigt worden.
Wer die Angreifer gewesen sind, sagt sie nicht. Dabei wäre genau das wichtig. Wie es ganz grundsätzlich um die Brandmauer bestellt sei, will ein anderer Schüler wissen. Die Frage geht an den CDU-Vertreter Sebastian Steineke. "Die CDU hat einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der AfD und der Linken, aus unterschiedlichen Gründen, dadurch wird es aber auch irgendwann schwieriger, Mehrheiten zu finden", sagt er. Wiebke Papenbrock ergänzt: "Ich würde keinem AfD-Antrag im Bundestag zustimmen." Allerdings zeigt sich auf regionaler Ebene schon länger, dass Politik mit der AfD zu machen ist: Im Kreistag Neustadt/Dosse haben sie gerade eine Umgehungsstraße beschlossen, auch mit Zustimmung der AfD. "Wer die AfD wählt, wählt rechtsextrem", antwortet Daniel Irrgang von der Linken.
Nun steht auch die AfD-kritische Kim Seeger auf. "Trump hat angekündigt, den Krieg in der Ukraine innerhalb von 24 Stunden zu stoppen, könnte Ihre Partei das auch, Herr Frömming?" Der AfD-Politiker lächelt. "Dafür sind wir dann doch zu unbedeutend."
Trotzdem scheint ihn die Frage zu freuen, so kann er seine Sympathien für den künftigen US-Präsidenten einmal mehr zum Ausdruck bringen. Und wieder ist es Kowol, der reagiert. "Trump ist kein Politiker, der für Frieden steht, er provoziert, wo er kann, das hat sich schon früh im Nahostkonflikt an der Verlegung der Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem gezeigt." Am Ende der einstündigen Debatte bekommen die Kandidaten noch einmal ganze zwei Minuten, um die Erstwählerinnen und Erstwähler von sich zu überzeugen. Im Grunde haben die sich ihre Meinung jedoch schon gebildet. Hängen bleiben kaum vereinzelte Sachthemen, sondern eine von AfD-Ansichten dominierte Runde.
Für die Politiker mag das zur Normalität geworden sein, für die 18-jährige Kim Seeger war die wichtigste Erkenntnis, "dass es immer so hin und her ging zwischen den Grünen und der AfD." Auch Carl Leonhard S. sagt: "Eigentlich hat die Veranstaltung meine Meinung bestätigt." Während der Diskussion saß er in der ersten Reihe. Nun will er mit seinen Freunden noch ein Selfie machen – in ihrer Mitte Götz Frömming.
Sendung: Antenne Brandenburg, 15.01.2025, 14:30 Uhr
Beitrag von Birgit Raddatz
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