Interview | Wohnungloser Bundestagskandidat
Thomas Lindlmair hat als erster wohnungsloser Mensch für den Bundestag kandidiert. Im Interview erzählt er, welche Probleme Menschen ohne festen Wohnsitz beim Wählen haben und was er sich von möglichen Neuwahlen erhoffen würde.
rbb|24: Herr Lindlmair, bei der Bundestagswahl haben Sie 190 Stimmen erhalten. War das schon ein Erfolg für einen unabhängigen Kandidaten?
Thomas Lindlmair: Zunächst einmal bin ich stolz darauf. Auch Leute, die mich sicherlich nicht persönlich kannten, haben mir ihre Stimmen gegeben. Wünschenswert wäre allerdings, dass es mehr wären. Aber bei all den Schwierigkeiten, die ich beim Wahlkampf hatte und die drei Wochen Verspätung bei der Lieferung meiner Wahlsticker, ist es verständlich.
Was auch wünschenswert wäre, wenn ich auch mehr Präsenz in den Medien haben könnte. Aber das ist etwas, das viele kleine Parteien betrifft. Bei all den Elefanten-Treffen wäre es auch mal schön, wenn ein Treffen zwischen David und Goliath zustande kommen könnte. Auf dem Podium sind die Großen sechs, aber niemals stehen ein Großer und ein Kleiner sich gegenüber.
Hatten Sie selbst Probleme wählen zu gehen, weil Sie wohnungslos sind?
Ohne festen Wohnsitz musste ich schon vorher viele Vorbereitungen treffen, um überhaupt wählen gehen zu können. Wenn wohnungslose Menschen nicht die Wahlbenachrichtigung erhalten, weil sie keine Adresse haben, macht es vieles schwieriger.
Bis zum 3. September musste man sich registrieren. Aufgrund dieser Registrierung hat man Briefwahlunterlagen erhalten. Auf denen stand, dass man in jedes beliebige Wahllokal des Bezirks gehen kann. Das war bei mir nicht so, denn ich wurde in keinem Wählerverzeichnis gefunden. Ich bin durch drei Lokale geschickt worden und nach unzähligen Telefonaten hat mir der Wahlleiter gesagt, wo ich wählen konnte.
Wie war der Wahlsonntag für andere wohnungslose Personen?
Viele Personen wurden weggeschickt, weil sie nicht im Wählerverzeichnis standen. Oder sie mussten in ein anderes Wahllokal. Wenn zum Beispiel der Personalausweis abgelaufen ist oder noch eine alte Adresse drauf steht. Was ganz üblich ist, denn viele Anträge von wohnungslosen Menschen, um sich an- oder umzumelden, stecken immer noch im Berliner Behörden-Stau fest.
Was sind die Hürden, die wohnungslose Menschen überwinden müssen, um zu wählen?
Wo sollen wohnungslose Menschen ihre Briefwahl-Dokumente erhalten? Und auch wenn sie die erhalten, wenn drauf steht, dass sie in alle Wahllokalen des Bezirks wählen gehen können und das letztendlich doch nicht stimmt, dann gehen diese Menschen auch enttäuscht weg, statt es beim nächsten Wahllokal zu versuchen.
Die Mieterpartei, der Sie angehören, hat bei den Wahlen für das Abgeordnetenhaus (AGH) und für die Bezirksverodnetenversammlungen (BVV) auch recht gut abgeschnitten. Wie sehen Sie das Resultat?
Gemessen an Wahlkampfausgaben in Relation zum Ergebnis sind wir wohl Spitzenreiter. Die Mieterpartei hat weniger als 1.000 Euro für den Wahlkampf für die Bundestagswahl, die Wahl zum Abgeordnetenhaus und die BVV-Wahl ausgegeben. Unsere Mitglieder haben keine großen Einkünfte. Das Geld haben uns Menschen gegeben, die sich das vom Munde absparen mussten.
Wünschen Sie sich, dass die Wahl nach diesen Unstimmigkeiten angefochten wird?
Ja, auf jeden Fall. Aber falls es Neuwahlen geben sollte, müssen sie anders ablaufen. Ich halte es für verfassungswidrig wie Berlin Wohnungs- und Obdachlose von der Wahl ausgeschlossen hat. Mit dem Stichtag, wo sie in der Nacht vom 21. bis 22. August übernachtet haben und dem zweiten Stichtag am 3. September, wo sie sich hätten registrieren lassen müssen, sind eine Menge Menschen einfach rausgefallen.
Außerdem wurde das auch einfach viel zu wenig kommuniziert. In welchem Bezirk soll sich ein Obdachloser registerien, um dann wählen zu gehen, der ja ständig seinen Schlafort wechseln muss. Wobei ein Mensch, der sich nicht bis zum 3. September registriert hat, überhaupt keine Wahlunterlagen erhalten hat. Danach war Schicht im Schacht - ein spätere Möglichkeit war nicht vorgesehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Efthymis Angeloudis, rbb|24.
Artikel im mobilen Angebot lesen