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SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz

Kann er Osten?

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist bisher nicht durch Charme-Offensiven in Ostdeutschland aufgefallen. Nun hat er seine Ideen für den Osten skizziert: Sie wirken, als hätten Sozialdemokraten in Brandenburg nie in der Verantwortung gestanden. Von Hanno Christ

Wer einen Beweis dafür braucht, dass 30 Jahre Einheit wie eine Erfolgsgeschichte aussehen können, der muss nach Ludwigsfelde kommen. Die Stadt in der Nähe des Flughafens Berlin-Brandenburg liegt in einem der wirtschaftlich solidesten Landkreise der Republik, ist seit der Wende stetig gewachsen und profitiert von Ansiedlungen der Luftfahrt- und Automobilindustrie. Es gibt ausreichend Beispiele im Osten, wo es schlechter gelaufen ist.

Olaf Scholz geht hier ins Rennen um ein Direktmandat für die Bundestagswahl. Der Wahlkreis 61 ist der wohl prominenteste Deutschlands: Die K-Kandidatendichte ist mit Scholz und Annalena Baerbock einmalig hoch.

Talk-Runde im Wahlkreis 61

Am Mittwochabend spricht Scholz mit locker aufgeknöpftem Hemd im historischen Ludwigsfelder Klubhaus über seine Ideen, wie er den Osten des Landes nach vorne bringen möchte. Eingeladen hat die SPD-Denkschmiede Friedrich-Ebert-Stiftung unter dem markigen Titel "Mission Zukunft Ost". Ihm wird unter anderem Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck als prominenter Ost-SPD-Beistand an die Seite gesetzt.

Bislang fielen die Worte "Scholz" und "Osten" nicht eben in einem Atemzug. Im Gegenteil: Der gebürtige Westdeutsche und Ex-Bürgermeister von Hamburg musste sich in der Vergangenheit immer Fragen stellen, was ihn neben einer schönen Wohnlage, seiner Frau im Bildungsministerium und einem kurzen Dienstweg ins Finanzministerium eigentlich mit Brandenburg verbindet.

"Respekt" vor der Lebensleistung der Ostdeutschen

Nun also "Mission Ost". Den Titel der Veranstaltung finde er gut, sagt Scholz, schließlich "treibe auch ihn eine Mission" um. Immer wieder fällt das Wort "Respekt" vor der Lebensleistung der Ostdeutschen. "Ohne Respekt kann man nicht leben", meint er und pflichtet damit Matthias Platzeck bei. Platzeck beklagt, wie auch die "Zeit"-Journalistin Anne Hähnig einen Sessel weiter, dass vielen Menschen in Ostdeutschland davon zu wenig entgegengebracht wurde. Scholz, der nach der Wende als Arbeitsrechtler im Osten viel in Betrieben unterwegs war, spricht von "einschneidenden Erfahrungen", die er damals im wirtschaftlichen Umbruch gemacht habe. "Das lässt einen nicht los, das vergisst man nicht", sagt er.

Die Ostdeutschen hätten dafür heute aber die "Kompetenz, mit Veränderungen umzugehen". Es klingt wie ein Vorwarnung nach dem Motto: "Achtung, da kommt nochmal was auf euch zu. Aber ihr wisst ja jetzt wie es geht!"

Mit dem Strukturwandel in der Lausitz und dem Ausstieg aus der Braunkohle steht für viele Ostdeutsche der nächste große Umbruch bevor. Nun gelte es, so Scholz, dass man zu den Worten auch steht und Perspektiven schafft. Schmissige Begriffe wie die "Lausitz-Bazooka" fallen an diesem Abend nicht. Stattdessen unterstreicht Scholz, dass man mit 40 Milliarden Euro Wirtschaftshilfen die Menschen nicht alleine lasse. Jetzt müssten Zusagen eingehalten werden, wohlwissend, dass derzeit die Sorgen wachsen, dass das Geld auch an den richtigen Stellen ankomme.

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Scholz: Bis 2050 wird sich ein DAX-Konzern im Osten etablieren

Ein anderer Klassiker der Einheitsdebatte: Zu wenig Ostdeutsche haben in den Eliten etwas zu melden. Die Statistiken sind eindeutig: Ostdeutsche müssen in den Führungsetagen noch immer mit der Lupe gesucht werden. Es sei schon "bemerkenswert", so Scholz, wie wenig Ostdeutsche in Führungspositionen sind.

Bislang aber ist Scholz auch nicht als Streiter für eine größere ostdeutsche Elitenrepräsentanz aufgefallen. Er sei stattdessen "beeindruckt" gewesen, von SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidkes Kampf um eine ostdeutsche Richterin am Bundesverfassungsgericht. Ja, man müsse drüber reden, meint er, wirkt dabei aber wie einer, der sich darüber bisher nicht den Kopf zerbrochen hat.

Nicht an diesem Abend wird darüber geredet, dass auch die SPD ihren Teil zu diesem Dilemma beigetragen hat. Schließlich stellt sie hier ununterbrochen Landesregierungen. Bis 2050, so ist sich Scholz sicher, habe sich auch ein DAX-Konzern im Osten etabliert. So einer, der ein anderes, etabliertes Unternehmen verdrängen wird. Sonst hätte man doch etwas falsch gemacht, sagt er.

Viele Themen bleiben liegen

Scholz wirbt einmal mehr für gleichwertige Lebensverhältnisse, besseren ÖPNV und den Ausbau erneuerbarer Energien. Aber war es nicht die SPD, die den Ausbau in Brandenburg zuletzt eher gebremst hatte? Und waren nicht Sozialdemokraten jahrzehntelang eher Anwalt der Braunkohle-Industrie als Förderer des Strukturwandels?

Scholz bekräftigte die Einführung eines Mindestlohns von zwölf Euro. Gerade der Osten könne davon profitieren. Außerdem brauche es eine "erstklassige, flächendeckende Breitband-Versorgung". Dass der Kanzlerkandidat dabei mit Matthias Platzeck einen Parteigenossen an seiner Seite hat, der in seiner Regierungserklärung 2009 schon einmal die rasche Tilgung der weißen Flecken angekündigt hatte, kommt nicht zur Sprache – ebensowenig wie die Frage, warum ausgerechnet die SPD die Tuchfühlung zu den Menschen in Ostdeutschland vielerorts verloren hat.

Brandenburg ist zwar noch immer eine Art Trutzburg der Sozialdemokraten, in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen aber pendeln sich Wahlergebnisse und Umfragewerte auf niedrigem Niveau ein. Warum das so ist und welchen Anteil die Sozialdemokraten daran tragen, bleibt an diesem Abend unerwähnt. Scholz tastet die Ost-Themen ab. Er hat noch Zeit mit ihnen warm zu werden. Vielleicht meinte er auch das mit seiner "Mission Zukunft Ost".

Bei der Direktwahl würden die Brandenburgerinnen und Brandenburger jedenfalls noch immer einem Kanzler Scholz den Vorzug geben - gegenüber Annalena Baerbock oder Armin Laschet. Für einen, der erst seit kurzem im Land ist, kein schlechter Wert. Es scheint fast so, als müsste ein Olaf Scholz gar nicht den Ost-Versteher geben. Ein Wessi mehr oder weniger da oben spielt dann womöglich auch keine Rolle mehr.

Die Kommentarfunktion wurde am 28.05.2021 um 18:59 Uhr geschlossen

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Beitrag von Hanno Christ

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