Kommentar | Wiederholung der Bundestagswahl
Wie die Abgeordnetenhauswahl muss auch die Bundestagswahl in Berlin wiederholt werden - wenn auch nur teilweise. Ein Schaden für die Demokratie ist das Debakel von 2021 so oder so. Und Berlin hat daraus nur bedingt gelernt, kommentiert Sebastian Schöbel.
Auch Socken, ein hässlicher Pullover oder ein Buch, das man längst gelesen hat, zählen als Weihnachtsgeschenke. Vermutlich hat Berlins Landeswahlleiter Stephan Bröchler jüngst im rbb-Interview genau das gemeint, als er die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Bundestagswahl mit der Vorfreude "wie vor Weihnachten" bezeichnete: "Wir wissen, dass es Geschenke geben wird, aber nicht welche."
Nun wissen wir, welches "Geschenk" es gibt: Das Bundesverfassungsgericht hat Berlin zu einer teilweisen Wiederholung der Bundestagswahl verdonnert.
Am politischen Kräfteverhältnis wird die Wiederholung kaum etwas ändern, und so richtig gebraucht hat es hier mehr als zwei Jahre nach der Pannenwahl auch niemand. Gemacht werden muss es trotzdem: Weil es selbst in der Hauptstadt des politischen Laissez-faire ein paar Sachen gibt, die man nicht schleifen lassen kann. Die Demokratie ist eine davon.
Was Karlsruhe da unter den politischen Weihnachtsbaum an der Spree gelegt hat, ist also nicht nur ein Paar lieblos ausgesuchter Socken. Sondern eine Rute aus 455 fest zusammengebundenen Zweigen. Es soll ordentlich zwiebeln, wenn die trifft.
Man kann nur hoffen, dass der Schmerz hilft. Denn auch wenn sich die Berliner Landespolitik große Mühe gibt, geläutert zu wirken: Es wurden längst nicht alle Lehren aus der Wahl 2021 gezogen, trotz ausführlicher Hinweise einer extra eingesetzten Expertenkommission. Zwar bekommen die Bezirkswahlämter die versprochene personelle Unterstützung, allerdings erst nachdem Landeswahlleiter Bröchler im Sommer mahnend durch die Medien marschierte, weil die Ausgaben für die drei Stellen extra pro Bezirk gar nicht im neuen Doppelhaushalt auftauchten.
Bröchler, der sonst eher nimmermüde fröhlich wirkt, warnte eindringlich vor einem erneuten "Desaster" und dem einsetzenden "Wohlfühlmodus". Das ebenfalls geforderte neue Landeswahlamt, das künftig die Wahlorganisation übernehmen soll, wird es auch geben. Aber erstens startet es nicht schon im Januar, wie ursprünglich geplant, sondern erst im Februar – unmittelbar vor oder erst nach der Wiederholungswahl, in jedem Fall aber zu spät.
Viel ausrichten könnte es aber ohnehin nicht: Die Durchgriffsrechte und Kompetenzen, die Bröchler seit seinem Amtsantritt vor über einem Jahr fordert, hat er noch immer nicht. Dafür müsste die Landeswahlordnung und wohl auch das Landeswahlgesetz geändert werden. Die dafür eingesetzte Arbeitsgruppe im Abgeordnetenhaus hat bislang erst einmal getagt – im November.
Das Kernproblem des Wahldesasters 2021, die mangelhafte Organisationsstruktur, ist noch längst nicht reformiert. Auch deswegen spricht Bröchler davon, man sei noch immer "im Reparaturmodus". Dass zumindest die Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus geklappt hat, kann da kaum beruhigen. Schön, dass Papier für Stimmzettel nun rechtzeitig bestellt wird und Wahllokale einen Tag vor der Wahl komplett ausgestattet sind.
Als Berlinerin oder Berliner kann man da aber durchaus die Frage stellen: Seit wann gibt’s Applaus für Selbstverständlichkeiten? Mit der teilweisen Wiederholungswahl schließt sich im Februar hoffentlich ein besonders peinliches Kapitel der Berliner Geschichte. Ob alle Verantwortlichen die richtigen Schlüsse daraus gezogen haben, muss erst noch bewiesen werden.
So lange kann man Beteuerungen der Politik, das Desaster von 2021 bleibe ein Einzelfall, genauso behandeln wie die Geschichte von einem dicken Mann in rotem Anzug und fliegendem Schlitten, der sich durch Schornsteine zwängt und Geschenke verteilt.
Sendung: rbb24 Abendschau, 19.12.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Sebastian Schöbel
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