rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik

Senat stellt Lärmkarte vor

Rund 300.000 Menschen von Tegel-Fluglärm betroffen

Etwa 300.000 Berliner und Brandenburger leiden nach Angaben des Senats aktuell unter Fluglärm vom Flughafen Tegel. Das geht aus der Lärmkarte hervor, die der Berliner Senat am Donnerstag veröffentlicht hat.  

Die Karte wurde im Auftrag der Umweltverwaltung auf Grundlage der rund 185.000 Flugbewegungen im vergangenen Jahr erstellt. Demnach sind knapp 142.000 Berliner durch startende und landende Flugzeuge einer Lärmbelastung von 55 bis 60 Dezibel ausgesetzt, knapp 134.000 Berliner mehr als 60 Dezibel. Hinzu kämen Brandenburger, die in der Flugschneise leben, heißt es in einer Mitteilung der Senatsumweltverwaltung.

Ein Flugzeug startet in Tegel | Quelle: imago/Schöning

Tegel-Volksentscheid am 24. September

Die Zahlen zeigten, dass der Flughafen Tegel "eine enorm belastende Lärmquelle" für viele Berliner sei, sagte Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (Parteilos/für Grüne).  Die Anwohner würden seit Jahren darauf vertrauen, dass der Flughafen Tegel geschlossen werde, wenn der BER in Betrieb genommen wird, so Günther weiter. Der anstehende Volksentscheid für die Offenhaltung Tegels verunsichere die Betroffenen. Der Senat verweist in diesem Zusammenhang schon länger auf rund 300.000 Fluglärm-Betroffene. 

Tegel-Anhänger: Weniger Lärm nach BER-Öffnung

Den - rechtlich nicht bindenden - Volksentscheid am Tag der Bundestagswahl am 24. September hatte eine maßgeblich von der FDP unterstützte Initiative mit einer Unterschriftensammlung erzwungen. Sie argumentiert, Tegel werde auch nach der Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens BER in Schönefeld weiter gebraucht, weil die Passagierzahlen weiter stiegen.

Auch die Tegel-Befürworter räumen eine Lärmbelastung durch den Flughafen ein. Allerdings würde das Flugaufkommen nach der Eröffnung des BER gegenüber heute erheblich sinken, heißt es in der amtlichen Information zum Volksentscheid. Zudem sei die nächste Generation der Flugzeuge etwa um 20 Prozent leiser. Und die betroffenen Anwohner erhielten - wenn Tegel offen bliebe - "endlich den notwendigen modernen Schallschutz".

Wie könnte es mit Tegel weitergehen?

Was ist der aktuelle Stand in Sachen Volksbegehren bzw. Volksentscheid Tegel?

Nach dem erfolgreichen Volksbegehren für die Offenhaltung von Tegel findet der Volksentscheid für den Weiterbetrieb des Flughafens zeitgleich mit der Bundestagswahl am 24. September statt. Der Volksentscheid hätte Erfolg, wenn die Mehrheit der Teilnehmer und mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten für das Anliegen stimmt.

Die Tatsache, dass der Volksentscheid zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfindet, erhöht zumindest die Wahrscheinlichkeit, dass dieses sogenannte Quorum erreicht wird.

 

Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Volksentscheid für Tegel Erfolg hat?

Nachdem das Volksbegehren zum Weiterbetrieb des Berliner Flughafens Tegel erfolgreich war, besteht natürlich auch die Chance, einen Volksentscheid zu gewinnen. Notwendig ist die Teilnahme von mindestens 25 Prozent der wahlberechtigten Berlinerinnen und Berlinern (Quorum), und bei der Abstimmung müsste sich die Mehrheit dafür ausprechen, dass der Senat sich um eine Offenhaltung von Tegel bemüht. Wahlberechtigt sind derzeit etwa 2,5 Millionen Menschen, das Quorum liegt also bei mehr als 600.000 Stimmberechtigten.

Inzwischen ist klar, dass eine deutliche Mehrheit der Berliner (69 Prozent) für den Weiterbetrieb von Tegel sind. Das geht aus dem BerlinTrend von Anfang Juni hervor, den die rbb-Abendschau und die "Berliner Morgenpost" gemeinsam in Auftrag gegeben hatten.

Es gibt aber nicht nur Tegel-Liebhaber und Menschen, die kurze Wege aus dem Zentrum zum Airport haben wollen. Viele Stimmen werden die Tegel-Befürworter wohl auch aus dem Berliner Umfeld des künftigen Flughafens BER in Schönefeld bekommen. Der Weiterbetrieb von Tegel hieße im Umkehrschluss vermutlich weniger Flugbetrieb in Schönefeld und damit auch weniger Fluglärm. Allerdings gäbe es weiterhin Fluglärm für Tegel-Anwohner (siehe unten).

Mit jedem Tag, an dem der BER nicht an den Start gehen kann, verlieren zunehmend mehr Menschen den Glauben, dass es überhaupt noch einmal etwas mit dem neuen Flughafen wird. Dadurch könnte die Verbundenheit mit dem funktionierenden Altflughafen Tegel weiter wachsen.

Wie verbindlich wäre ein erfolgreicher Volksentscheid?

Stimmen die Bürger per Volksentscheid für ein Gesetz, gilt es und hat denselben Stellenwert, als wäre es von der gewählten Vertretung beschlossen worden. Grundlage für Volksbegehren und Volksentscheid ist in diesem Fall allerdings eben kein ausformulierter Gesetzentwurf - wie beim Tempelhofer Feld oder zur Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge bei den Berliner Wasserbetrieben. Vielmehr geht es um einen eher allgemein formulierten Auftrag an den Senat, "sofort die Schließungsabsichten aufzugeben und alle Maßnahmen einzuleiten, die erforderlich sind, um den unbefristeten Fortbetrieb des Flughafens Tegel als Verkehrsflughafen zu sichern." Wie verbindlich ein solches Votum der Bevölkerung für die Politik wäre, ist offen.

Daher machen die Berliner Grünen der FDP den Vorwurf "mit den Gefühlen der Menschen in dieser Stadt" zu spielen. Die Partei gaukele den Menschen vor, sie hätten am 24. September wirkliche Entscheidungsmacht über die Frage der Offenhaltung oder nicht. Inzwischen hat sich auch eine große Mehrheit der Berliner CDU für eine Fortsetzung des Flugbetriebs in Tegel ausgesprochen.

Ist es juristisch überhaupt möglich, Tegel offen zu halten?

Die juristischen Hürden, die bei einer Offenhaltung von Tegel genommen werden müssten, wären außerordentlich hoch.

Es gibt einen Bescheid aus dem Jahr 2004, nach dem der Flughafen Tegel ein halbes Jahr nach Inbetriebnahme des BER geschlossen werden muss. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Urteil aus dem Jahr 2006 festgesetzt, dass der Flughafen BBI, später BER, nur genehmigt werden kann, wenn im Gegenzug die beiden Innenstadtflughäfen Tegel und Tempelhof geschlossen werden.

Tegel-Befürworter wiederum berufen sich auf Gutachten (unter anderem des Deutschen Bundestages), wonach eine Offenhaltung des Altflughafens möglich wäre, wenn der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg zustimmen. Sie sehen keine Koppelung an den Planfeststellungsbeschluss des BER. Damit sehen sie auch keine Gefahr, dass mit einer Offenhaltung von Tegel die Genehmigungsgrundlage angegriffen werden könnte. Was einst politisch entschieden wurde, könne heute auch politisch zurückgenommen oder anders entschieden werden, so die Argumentation.

Die Tegel-Gegner sehen den Schließungsbeschluss dagegen als unwiderruflich an und jeder Versuch, ihn aufzuweichen, würde aus ihrer Sicht die Rechtsgrundlagen des BER gefährden.

Zudem ist offen, ob ein dauerhafter Weiterbetrieb des Flughafens Tegel ein neues Genehmigungs- oder Planfeststellungsverfahren auslösen könnte. Sollte dies der Fall sein, entstehen weitere Klagemöglichkeiten.

Welche Schritte wären nötig, um Tegel dauerhaft weiter zu betreiben?

Die Senatsverwaltung hat mit Bescheid vom 29. Juli 2004 die luftrechtliche Genehmigung für Tegel widerrufen: "Dieser Widerruf wird mit Ablauf von sechs Monaten wirksam, nachdem die Verlängerung der künftigen Start und Landebahn 07/25R (Nordbahn) auf 3.600 Meter und der Neubau der künftigen Start- und Landebahn 07R/25L (Südbahn) des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld mit einer Länge von mindestens 4.000 Metern funktionsfähig in Betrieb genommen worden ist."

Dieser Widerruf müsste also widerrufen werden. Viele Juristen gehen jedoch davon aus, dass ein neues Genehmigungsverfahren notwendig wäre, um Tegel erneut als Flughafen zu widmen. Ein neues Genehmigungsverfahren für einen Airport mitten in Berlin wird wiederum als aussichtslos eingestuft.

Umstritten sind die Auswirkungen auf den Planfeststellungsbeschluss des BER. In den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes in seinem Urteil zur Planfeststellung vom 16. März 2004 heißt es: "Zuzustimmen ist den Klägern darin, dass der planfestgestellte Ausbau des Flughafens Schönefeld unter Beibehaltung der beiden innerstädtischen Flughäfen fachplanerisch nicht gerechtfertigt wäre."

Das sah die zuständige Planfeststellungsbehörde nicht anders und unterstrich, "dass das Ausbauvorhaben Schönefeld untrennbar mit der Schließung der beiden Innenstadt-Flughäfen verbunden ist." Als habe das Bundesverwaltungsgericht seinerzeit schon die heutigen Diskussionen geahnt, heißt es: "Der Antrag auf Erlass einer neuen Betriebsgenehmigung bleibt zwar unbenommen. Die Neuerteilung stünde jedoch unter dem Vorbehalt des §6 Abs. 3 LuftVG. Bei unveränderter Planungsgrundlage (Ausbau des Flughafen Berlin-Schönefeld zum 'Single'-Flughafen) beeinträchtigte indes eine erneute Betriebsgenehmigung für die Flughägen Tegel und/oder Tempelhof die öffentlichen Interessen in unangemessener Weise."

Geändert werden müsste darüber hinaus der gemeinsame Landesentwicklungsplan Berlin-Brandenburg. Auch dafür bedarf es eines politischen Willens sowohl in Berlin als auch in Brandenburg, der derzeit nicht absehbar ist.

Welche Argumente sprechen für einen Weiterbetrieb?

Zuallererst die Schwierigkeiten am BER: Bauverzug, keine genaue Terminplanung und drohende Kapazitätsprobleme. Der BER wurde für 27 Millionen Passagiere geplant. Wenn er dann mal fertig wird, ist er schon zu klein. Im vergangenen Jahr hat die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg in Tegel und Schönefeld (alt) schon fast 33 Millionen Passagiere abgefertigt.

Eine Erweiterung der Kapazitäten des BER durch ein zusätzliches Terminal bis 2023 auf dann 40 Millionen Passagiere ist allerdings bereits geplant, und auch der alte Flughafen Schönefeld soll zunächst weiter voll in Betrieb bleiben. Dort werden derzeit rund 12 Millionen Passagiere abgefertigt. Durch weitere Ausbaumaßnahmen will die Flughafengesellschaft im Jahr 2040 am BER bis zu 55 Millionen Passagiere bewältigen können.

Viele Geschäftsleute und Politiker, die es eilig haben und kurze Wege wollen, argumentieren trotzdem für Tegel. Zudem argumentieren viele, jede Metropole brauche zwei Flughäfen. Sollte es am BER mal ein Problem geben, müssten die Flieger nach Leipzig, Rostock oder Hannover ausweichen. Bislang hat Berlin vier Rollbahnen (in Tegel und Schönefeld). Künftig muss der BER mit zwei Bahnen auskommen.

Was würde der Weiterbetrieb von Tegel kosten?

Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) rechnet mit mindestens 200 Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr, sollte der Flughafen Tegel weiter betrieben werden. Erforderliche Maßnahmen beim Schallschutz und Sanierungskosten kämen zusätzlich dazu, sagte Kollatz-Ahnen Mitte Juni.

Bei der Berechnung wurde unterstellt, dass sich der neue Flughafen BER und Tegel künftig die Passagiere teilen würden. Zwei Flughäfen haben aber höhere Betriebskosten als einer. In Tegel könne die Flughafengesellschaft zudem nur geringere Erlöse erzielen als am BER. Höhere Kosten und geringere Einnahmen summiert die Verwaltung auf rund 100 Millionen Euro – jährlich.

Tegel  ist darüber hinaus ein Sanierungsfall: Von den Toiletten über die Klimaanlage bis zu den Landebahnen. Dafür setzt Kollatz-Ahnen noch einmal etwas mehr als eine Milliarde Euro Kosten an.

Am teuersten jedoch würde der Schallschutz, auf den die Anwohner spätestens ab 2019 Anspruch haben. Die gesetzlich vorgeschriebene Variante beziffert Kollatz-Ahnen mit mindestens 400 Millionen Euro. Klagten die Tegel-Anwohner allerdings den Schallschutz ein, der rund um den BER Standard ist, würden bis zu zwei Milliarden Euro fällig, befürchtet der Senat.

Welche politischen Signale gab es bisher?

Im Streit um Tegel geht es natürlich auch um die Glaubwürdigkeit von Politik. Um den BER an einem "unmenschlichen" (Zitat des früheren brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe) Standort durchsetzen zu können, hat man die Schließung der beiden Innenstadtflughäfen Tempelhof und Tegel versprochen. Darauf haben sich viele Menschen verlassen, die in der Einflugschneise von Tegel wohnen oder zwischenzeitlich dorthin gezogen sind. Diese Menschen würden sich nun getäuscht sehen.

Die Flughafeneigentümer Berlin und Brandenburg haben bereits mehrfach signalisiert, dass sie an der Schließung von Tegel festhalten und keine Initiative zur Offenhaltung von Tegel unternehmen wollen. Berlin und Brandenburg wiederholten dies auch nach dem erfolgreichen Volksbegehren. Auch die Flughafengesellschaft hat erklärt, dass sie keinerlei Interesse habe, den Flughafen im Regelbetrieb fortzuführen. Sie will den gesamten Flugverkehr in Schönfeld bündeln.

Der dritte Anteilseigner Bund sendete zuletzt gemischte Signale. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) forderte mehrfach, in Berlin mehr als einen Flughafen zu betreiben. Nach einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung im August wurde dieser Wunsch nicht noch einmal wiederholt. Aus dem Bundeskanzleramt hieß es zuvor, Dobrindts Äußerung stelle lediglich einen Debattenbeitrag dar.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) betont immer wieder, dass Tegel - auch nach einem eventuell erfolgreichen Volksentscheid am 24. September - unwiderruflich geschlossen werde.  

 

Spricht wirtschaftlich etwas für oder gegen die Offenhaltung von Tegel?

Als Zweitflughafen, so sagte der frühere Flughafenchef Karsten Mühlenfeld, wäre Tegel nicht wirtschaftlich zu betreiben, denn man bräuchte doppelte Feuerwehren, doppelte Flugsicherung und den doppelten Airportbetrieb.

Hinzu kommt: Die gesamte Finanzierung des BER-Projekts der Flughafengesellschaft ist einnahmeseitig auf den Betrieb allein am BER in Schönefeld ausgerichtet. Bliebe es beim Betrieb in Tegel, würde die BER-Finanzierung zusätzlich ins Schlingern geraten.

Falls Tegel offen bliebe: Hätten Tegel-Anwohner Anspruch auf Schallschutz?

Derzeit ist Tegel ein "Flughafen in Schließung", deshalb muss schallschutztechnisch nicht nachgerüstet werden. Spätestens aber 2019 ist es mit dieser Sonderrolle vorbei. Dann hätten die Lärmbetroffenen Anspruch auf angemessenen Schallschutz. Dafür muss der Senat allerdings zunächst neue Lärmschutzzonen einrichten, nach jenen Grenzwerten, die das Fluglärmschutzgesetz von 2007 vorschreibt.

Nach Rechnung der Flughafeneigentümer würde ein Weiterbetrieb zu horrend hohen Kosten für den Schallschutz führen.  Die Tegel-Befürworter meinen dagegen, dass sich mit dem Umzug nach Schönefeld der Flugverkehr in Tegel drastisch reduzieren würde. Somit gäbe es vermutlich nur geringe Schallschutzansprüche.

Sendung: Inforadio, 27.07.2017, 19.00 Uhr

Artikel im mobilen Angebot lesen