Volksentscheid in Berlin
Beim Volksentscheid zum Flughafen Tegel hat sich die Mehrheit für die Offenhaltung ausgesprochen. Berlins Regierender Müller zeigte sich am Abend gesprächsbereit. Die FDP jubelt.
Beim Tegel-Volksentscheid hat sich eine klare Mehrheit dafür ausgesprochen, dass der Flughafen auch nach der Eröffnung des BER weiterbetrieben wird. Das hat die Landeswahlleiterin am frühen Montagmorgen in ihrem vorläufigen amtlichen Endergebnis mitgeteilt.
Nach Auszählung aller 2.439 Wahlbezirke stimmten 56,1 Prozent der Befragten dafür, dass sich der Senat für eine Offenhaltung von TXL einsetzt. 41,7 Prozent waren dagegen.
Das Quorum, also dass mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten (620.564 Personen) zustimmen musste, wurde erreicht. Insgesamt gab es 991.832 Ja-Stimmen und 737.216 Nein-Stimmen. 39.735 abgegebene Stimmen waren ungültig (2,2 Prozent).
Wahlberechtigt waren etwa 2,5 Millionen Menschen.
Mit diesem Ergebnis ist der Senat nun aufgefordert, die Schließung des Flughafens Berlin-Tegel "Otto Lilienthal" nach der BER-Eröffnung aufzugeben. Die Berliner Senatspolitiker sollen "alle Maßnahmen einleiten, die erforderlich sind, um den unbefristeten Fortbetrieb des Flughafens Tegel als Verkehrsflughafen zu sichern", heißt es in dem Volksbegehren wörtlich.
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Ob der Flughafen trotz einer Mehrheit pro Tegel allerdings am Ende tatsächlich offen bleibt, ist ungewiss: Das Ergebnis des Volksentscheids ist rechtlich nicht bindend, weil nicht über einen Gesetzentwurf abgestimmt wurde. Alle drei Gesellschafter des Flughafens - Bund, Berlin und Brandenburg - haben sich zugleich immer für eine Schließung ausgesprochen. Und die ist auch rechtlich fixiert: Spätestens sechs Monate nach Eröffnung des BER erlischt die Betriebsgenehmigung des Flughafens Tegel.
Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller (SPD), bot am Sonntagabend im rbb allerdings an, mit den beiden anderen Gesellschaftern des Flughafens - Bund und Brandenburg - zu sprechen, sollte es beim Volksentscheid eine Mehrheit pro Tegel geben - und das "trotz der finanziellen und rechtlichen Risiken, der Klagemöglichkeiten, der Belastung für die Menschen".
Müller wies aber auch darauf hin, Brandenburg und der Bund hätten über 20 Jahre den "Single-Standort" in Schönefeld unterstützt. Und beim Bund müsse ohnehin abgewartet werden müssen, wer nach der Bundestagswahl der genaue Ansprechpartner werde. Dazu komme: "Die rechtliche Situation kann man nicht einfach wegbeschließen."
Müller wies auch darauf hin, dass die Zustimmung zur Offenhaltung in den letzten Jahren abgenommen habe. "Das bedeutet, dass unsere Argumente in den letzten Monaten durchaus durchgedrungen sind." Er fürchte aber, "dass die FDP es tatsächlich geschafft hat, mit dieser Frage die Stadt zu spalten. Damit jetzt verantwortungsvoll umzugehen, das wird schwer sein."
Sebastian Czaja, Fraktionsvorsitzender der Berliner FDP, stellte dagegen am Sonntagabend nach Bekanntwerden der ersten Volksentscheid-Ergebnisse fest, nun müsse über Lärmschutz, den Parallelbetrieb von TXL und BER und das Nachtflugverbot gesprochen werden. Müller müsse das Votum ernst nehmen, sonst werde die FDP "nachsteuern".
Ähnlich äußerte sich der Spitzenkandidat der Liberalen in Berlin, Christoph Meyer: "Wenn es so kommt, sind zunächst Herr Müller und der rot-rot-grüne Senat in der Verantwortung. Aus dieser Verantwortung wollen wir ihn auch nicht herauslassen." Das Thema werde auch auf Bundesebene bedeutsam, zeigte sich Meyer überzeugt: "Das Tegel-Thema hat sicherlich auch eine Bedeutung für Sondierungsgespräche."
Czaja räumte am Abend im rbb ein, ein Umsteuern werde tatsächlich schwer. Er betonte aber: "Das ist ein Votum, das nicht umzudeuten ist." Die Offenhaltung von Tegel sei aber realistisch. "Rechtlich geht es."
Neben der FDP, die die Bürgerinitiative "Berlin braucht Tegel" maßgeblich unterstützt hat, sind auch AfD und CDU für die Offenhaltung Tegels. Die TXL-Befürworter argumentieren, die politische Entscheidung gegen Tegel sei überholt, weil inzwischen absehbar sei, dass der BER bei seiner Eröffnung zu klein ist. Die Rechtslage zum TXL lasse sich auch wieder ändern.
Der rot-rot-grüne Senat warnt dagegen vor juristischen Hürden und hohen Kosten durch die Offenhaltung von Tegel. Dies würde mehrere Milliarden Euro kosten. In den Flughafen war - angesichts der geplanten Schließung - seit Jahren kaum investiert worden. Auch der Lärmschutz für die rund 300.000 betroffenen Anwohner müsste auf einen neuen Stand gebracht werden. Und außerdem, so der Senat, gebe es für das Gelände bereits ein Nachnutzungskonzept - mit Wohnungen, Forschungs- und Technologiepark.
Entsprechend enttäuscht zeigte sich am Sonntagabend Helmut Möller von der Bürgerinitiative "Tegel schließen": "Wir haben damit gerechnet, nachdem wir in den letzten Monaten sehr viel Arbeit geleistet haben als Bürgerinitiative, dass wir dieses Ergebnis noch kippen können", sagte er im rbb. Nun hoffe er, dass die Regierungsparteien "das Wort, das sie uns im Wahlkampf gegeben haben, auch halten".
Grundlage für Volksbegehren und Volksentscheid ist im Fall des Flughafens Tegel kein ausformulierter Gesetzentwurf - wie beim Tempelhofer Feld oder zur Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge bei den Berliner Wasserbetrieben. Vielmehr geht es um einen eher allgemein formulierten Auftrag an den Senat, "sofort die Schließungsabsichten aufzugeben und alle Maßnahmen einzuleiten, die erforderlich sind, um den unbefristeten Fortbetrieb des Flughafens Tegel als Verkehrsflughafen zu sichern." Wie verbindlich nun das Votum der Bevölkerung für die Tegel-Offenhaltung für die Politik ist, ist offen.
Anders wäre es gewesen, wenn die Bürger per Volksentscheid für ein Gesetz hätten stimmen können. Bei einem positiven Votum hätte dies denselben Stellenwert gehabt, als wäre es von der gewählten Vertretung beschlossen worden.
Die juristischen Hürden, die bei einer Offenhaltung von Tegel genommen werden müssten, wären außerordentlich hoch.
Es gibt einen Bescheid aus dem Jahr 2004, nach dem der Flughafen Tegel ein halbes Jahr nach Inbetriebnahme des BER geschlossen werden muss. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Urteil aus dem Jahr 2006 festgesetzt, dass der Flughafen BBI, später BER, nur genehmigt werden kann, wenn im Gegenzug die beiden Innenstadtflughäfen Tegel und Tempelhof geschlossen werden.
Tegel-Befürworter wiederum berufen sich auf Gutachten (unter anderem des Deutschen Bundestages), wonach eine Offenhaltung des Altflughafens möglich wäre, wenn der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg zustimmen. Sie sehen keine Koppelung an den Planfeststellungsbeschluss des BER. Damit sehen sie auch keine Gefahr, dass mit einer Offenhaltung von Tegel die Genehmigungsgrundlage angegriffen werden könnte. Was einst politisch entschieden wurde, könne heute auch politisch zurückgenommen oder anders entschieden werden, so die Argumentation.
Die Tegel-Gegner sehen den Schließungsbeschluss dagegen als unwiderruflich an und jeder Versuch, ihn aufzuweichen, würde aus ihrer Sicht die Rechtsgrundlagen des BER gefährden.
Zudem ist offen, ob ein dauerhafter Weiterbetrieb des Flughafens Tegel ein neues Genehmigungs- oder Planfeststellungsverfahren auslösen könnte. Sollte dies der Fall sein, entstehen weitere Klagemöglichkeiten.
Die Senatsverwaltung hat mit Bescheid vom 29. Juli 2004 die luftrechtliche Genehmigung für Tegel widerrufen: "Dieser Widerruf wird mit Ablauf von sechs Monaten wirksam, nachdem die Verlängerung der künftigen Start und Landebahn 07/25R (Nordbahn) auf 3.600 Meter und der Neubau der künftigen Start- und Landebahn 07R/25L (Südbahn) des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld mit einer Länge von mindestens 4.000 Metern funktionsfähig in Betrieb genommen worden ist."
Dieser Widerruf müsste also widerrufen werden. Viele Juristen gehen jedoch davon aus, dass ein neues Genehmigungsverfahren notwendig wäre, um Tegel erneut als Flughafen zu widmen. Ein neues Genehmigungsverfahren für einen Airport mitten in Berlin wird wiederum als aussichtslos eingestuft.
Umstritten sind die Auswirkungen auf den Planfeststellungsbeschluss des BER. In den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes in seinem Urteil zur Planfeststellung vom 16. März 2004 heißt es: "Zuzustimmen ist den Klägern darin, dass der planfestgestellte Ausbau des Flughafens Schönefeld unter Beibehaltung der beiden innerstädtischen Flughäfen fachplanerisch nicht gerechtfertigt wäre."
Das sah die zuständige Planfeststellungsbehörde nicht anders und unterstrich, "dass das Ausbauvorhaben Schönefeld untrennbar mit der Schließung der beiden Innenstadt-Flughäfen verbunden ist". Als habe das Bundesverwaltungsgericht seinerzeit schon die heutigen Diskussionen geahnt, heißt es: "Der Antrag auf Erlass einer neuen Betriebsgenehmigung bleibt zwar unbenommen. Die Neuerteilung stünde jedoch unter dem Vorbehalt des §6 Abs. 3 LuftVG. Bei unveränderter Planungsgrundlage (Ausbau des Flughafen Berlin-Schönefeld zum 'Single'-Flughafen) beeinträchtigte indes eine erneute Betriebsgenehmigung für die Flughägen Tegel und/oder Tempelhof die öffentlichen Interessen in unangemessener Weise."
Geändert werden müsste darüber hinaus der gemeinsame Landesentwicklungsplan Berlin-Brandenburg. Auch dafür bedarf es eines politischen Willens sowohl in Berlin als auch in Brandenburg, der derzeit nicht absehbar ist.
Zuallererst die Schwierigkeiten am BER: Bauverzug, keine genaue Terminplanung und drohende Kapazitätsprobleme. Der BER wurde für 27 Millionen Passagiere geplant. Wenn er dann mal fertig wird, ist er schon zu klein. Im vergangenen Jahr hat die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg in Tegel und Schönefeld (alt) schon fast 33 Millionen Passagiere abgefertigt.
Eine Erweiterung der Kapazitäten des BER durch ein zusätzliches Terminal bis 2023 auf dann 40 Millionen Passagiere ist allerdings bereits geplant, und auch der alte Flughafen Schönefeld soll zunächst weiter voll in Betrieb bleiben. Dort werden derzeit rund 12 Millionen Passagiere abgefertigt. Durch weitere Ausbaumaßnahmen will die Flughafengesellschaft im Jahr 2040 am BER bis zu 55 Millionen Passagiere bewältigen können.
Viele Geschäftsleute und Politiker, die es eilig haben und kurze Wege wollen, argumentieren trotzdem für Tegel. Zudem argumentieren viele, jede Metropole brauche zwei Flughäfen. Sollte es am BER mal ein Problem geben, müssten die Flieger nach Leipzig, Rostock oder Hannover ausweichen. Bislang hat Berlin vier Rollbahnen (in Tegel und Schönefeld). Künftig muss der BER mit zwei Bahnen auskommen.
Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) rechnet mit mindestens 200 Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr, sollte der Flughafen Tegel weiter betrieben werden. Erforderliche Maßnahmen beim Schallschutz und Sanierungskosten kämen zusätzlich dazu, sagte Kollatz-Ahnen Mitte Juni.
Bei der Berechnung wurde unterstellt, dass sich der neue Flughafen BER und Tegel künftig die Passagiere teilen würden. Zwei Flughäfen haben aber höhere Betriebskosten als einer. In Tegel könne die Flughafengesellschaft zudem nur geringere Erlöse erzielen als am BER. Höhere Kosten und geringere Einnahmen summiert die Verwaltung auf rund 100 Millionen Euro – jährlich.
Tegel ist darüber hinaus ein Sanierungsfall: Von den Toiletten über die Klimaanlage bis zu den Landebahnen. Dafür setzt Kollatz-Ahnen noch einmal etwas mehr als eine Milliarde Euro Kosten an.
Am teuersten jedoch würde der Schallschutz, auf den die Anwohner spätestens ab 2019 Anspruch haben. Die gesetzlich vorgeschriebene Variante beziffert Kollatz-Ahnen mit mindestens 400 Millionen Euro. Klagten die Tegel-Anwohner allerdings den Schallschutz ein, der rund um den BER Standard ist, würden bis zu zwei Milliarden Euro fällig, befürchtet der Senat.
Im Streit um Tegel geht es natürlich auch um die Glaubwürdigkeit von Politik. Um den BER an einem "unmenschlichen" (Zitat des früheren brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe) Standort durchsetzen zu können, hat man die Schließung der beiden Innenstadtflughäfen Tempelhof und Tegel versprochen. Darauf haben sich viele Menschen verlassen, die in der Einflugschneise von Tegel wohnen oder zwischenzeitlich dorthin gezogen sind. Diese Menschen würden sich nun getäuscht sehen.
Die Flughafeneigentümer Berlin und Brandenburg haben bereits mehrfach signalisiert, dass sie an der Schließung von Tegel festhalten und keine Initiative zur Offenhaltung von Tegel unternehmen wollen. Auch die Flughafengesellschaft hat erklärt, dass sie keinerlei Interesse habe, den Flughafen im Regelbetrieb fortzuführen. Sie will den gesamten Flugverkehr in Schönfeld bündeln.
Der dritte Anteilseigner Bund sandte zuletzt gemischte Signale. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) forderte mehrfach, in Berlin mehr als einen Flughafen zu betreiben. Offiziell bekennt sich die Bundesregierung aber zum "Single-Airport-Konzept".
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) betont immer wieder, dass Tegel - auch nach einem erfolgreichen Volksentscheid am 24. September - unwiderruflich geschlossen werde.
Als Zweitflughafen, so sagte der frühere Flughafenchef Karsten Mühlenfeld, wäre Tegel nicht wirtschaftlich zu betreiben, denn man bräuchte doppelte Feuerwehren, doppelte Flugsicherung und den doppelten Airportbetrieb.
Hinzu kommt: Die gesamte Finanzierung des BER-Projekts der Flughafengesellschaft ist einnahmeseitig auf den Betrieb allein am BER in Schönefeld ausgerichtet. Bliebe es beim Betrieb in Tegel, würde die BER-Finanzierung zusätzlich ins Schlingern geraten.
Derzeit ist Tegel ein "Flughafen in Schließung", deshalb muss schallschutztechnisch nicht nachgerüstet werden. Spätestens aber 2019 ist es mit dieser Sonderrolle vorbei. Dann hätten die Lärmbetroffenen Anspruch auf angemessenen Schallschutz. Dafür muss der Senat allerdings zunächst neue Lärmschutzzonen einrichten, nach jenen Grenzwerten, die das Fluglärmschutzgesetz von 2007 vorschreibt.
Nach Rechnung der Flughafeneigentümer würde ein Weiterbetrieb zu horrend hohen Kosten für den Schallschutz führen. Die Tegel-Befürworter meinen dagegen, dass sich mit dem Umzug nach Schönefeld der Flugverkehr in Tegel drastisch reduzieren würde. Somit gäbe es vermutlich nur geringe Schallschutzansprüche.
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