Debatte über Kostenbeteiligung an Radwegen - Warum gibt es keine Fahrradsteuer?
Pop-up-Radwege, autofreie Zonen, Fahrradstraßen: Die Verkehrswende nimmt in Berlin Gestalt an und die Verteilung von Kosten und Platz ist umstritten. Kritiker bemängeln, die Rechnung dafür müssten allein die Autofahrer begleichen - doch stimmt das?
In den vergangenen Monaten sind in Berlin zahlreiche Pop-up-Radwege entstanden, über deren Fortbestand nach einer Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts derzeit hitzig diskutiert wird. Hinzu gekommen ist eine Fahrradstraße in Kreuzberg, die Friedrichstraße wurde teilweise in eine autofreie Zone umgewandelt.
Unsere Redaktion erreichen in diesem Zusammenhang immer wieder Kommentare, die eine Fahrradsteuer fordern - und die bemängeln, die Kosten für die Verkehrswende müssten allein die Autofahrer über die Kfz- und Spritsteuer tragen. Wichtige Fragen und Antworten dazu:
Warum gibt es im Gegensatz zur Kfz-Steuer keine Fahrradsteuer?
Weil letztlich der volkswirtschaftliche Nutzen des Radfahrens wesentlich höher ist als der des Autofahrens - und zugleich die Kosten für den Staat wesentlich niedriger sind. Denn: Radfahren ist im Vergleich umweltfreundlicher, gesundheitsfördernder und im Gegensatz zum Auto oder Lkw platzsparend. Durch den Verzicht auf schwere Verkehrsmittel wie das Auto tragen Radfahrende zu einer finanziellen Entlastung des städtischen Haushalts bei. Straßen- und Gebäudeschäden werden vermieden, die Luft- und Lärmbelastung sinkt.
Mit der Steuererhebung verwirklicht der Staat außerdem eine Lenkungsfunktion, wie in anderen Gebieten auch: Er will über die Besteuerung weniger belastende und letztlich weniger kostenintensive Lebensweisen unterstützen. Deshalb subventioniert er beispielsweise den Öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV), der mit den Einnahmen aus Fahrscheinen alleine seine Kosten bei weitem nicht einspielen würde.
Aber er muss auch Mobilität für unterschiedliche Bedürfnisse ermöglichen. Nicht jeder Bürger kann Fahrrad fahren oder den ÖPNV nutzen, sei es aus gesundheitlichen Gründen, weil der Nahverkehr zu schlecht ausgebaut ist oder etwa weil man aus beruflichen Gründen ein Fahrzeug zum Transport braucht. Deshalb erhebt der Staat eine Kfz-Steuer, subventioniert aber zugleich durch Steuervergünstigungen, beispielsweise für Berufswege, Diesel und Dienstfahrzeuge, oder erlaubt Ausnahmeregelungen für Lieferverkehr. Er profitiert auch von den Steuereinnahmen von Seiten der Autoindustrie.
Würde er aber generell eine wesentlich niedrigere oder gar keine Kfz-Steuer erheben, wäre der Anreiz mehr Auto zu fahren höher, was zugleich die gesellschaftlichen Kosten erhöhen würde. Er muss also den aus seiner Sicht optimalen Punkt zwischen Anreiz und Abschreckung treffen. Damit ist nicht die volkswirtschaftliche Wertschöpfung gemeint, die Autoindustrie und -handel in Deutschland zweifelsfrei haben [bmwi.de], sondern die Verkehrskosten. Diese schlüsseln wir im nächsten Punkt auf.
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Wie setzen sich solche Verkehrskosten zusammen?
Es gibt zahlreiche internationale Studien, die die volkswirtschaftlichen und ökologischen Kosten je Verkehrsmittel vergleichen. Das bedeutet: Kosten, die nicht allein der Verursacher trägt, weil sie seine Ausgaben übersteigen, sondern die Allgemeinheit. Sie legen diese Faktoren zugrunde: Wieviel und welche Art Energie verbraucht ein Verkehrsmittel? Wieviele Schadstoffe stößt es aus? Welche Fläche benötigt es? Was kosten Herstellung, Wartung und Entsorgung? Was kostet es, die für das Verkehrsmittel nötige Infrastruktur zu bauen und zu unterhalten? Auch Kosten, die durch Unfälle und den Zeitverlust wegen Staus verursacht werden, gehören dazu.
Beispiel Fläche: Pkw verbrauchen dafür, dass sie statistisch 23 Stunden am Tag nicht bewegt werden, vergleichsweise viel Platz. Laut Berechnungen des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) sind es durchschnittlich zehn Quadratmeter Parkfläche. In Bezug darauf ist Parken in deutschen Städten im internationalen Vergleich günstig: In Berlin kostet ein Parkplatz pro Stunde durchschnittlich 1,83 Euro, in Paris sind es 4,03 Euro, in London 8,71 Euro [zeit.de].
Beispiel Abnutzung der Infrastruktur: Diese ist vor allem eine Frage des Gewichts - und da sind Pkw aber vor allem Lkw und Busse die mit Abstand größte Belastung für die Asphaltdecken. Dadurch entstehen Sanierungskosten, zum Beispiel bei Brücken: In Berlin gibt es 52 Brücken, die in schlechtem Zustand sind, 16 davon müssen in den nächsten Jahren komplett ersetzt werden. Fußgänger und Radfahrer sind die gewichtsmäßig leichtesten Verkehrsteilnehmer, die von ihnen verursachten Abnutzungsschäden sind im Vergleich vernachlässigbar gering.
Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes, erschienen im August 2020, kommt zu dem Ergebnis, dass im Personennahverkehr Pkw und motorisierte Zweiräder die höchsten Kosten verursachen, rund sechs Cent pro Kilometer. Der ÖPNV kostet die Gemeinschaft umgerechnet halb so viel. Die geringsten Umweltkosten verursacht Fahrradverkehr. Hier seien lediglich die Herstellung von Fahrzeug und Infrastruktur sowie der Flächenbedarf relevant [umweltbundesamt.de].
Die Stadt Kopenhagen untersuchte 2013 die Verkehrskosten im Vergleich, um eine Grundlage für die Entscheidung zu haben, mehr in Radwege zu investieren oder nicht. Die Stadtverwaltung kam zu dem Schluss, dass sich diese Investitionen rechnen. Nach ihrer Berechnung brachte ein zusätzlicher Radfahrer je Kilometer in der Rushhour 1,62 Dänische Kronen (umgerechnet 0,22 Euro) sozioökonomischen Nutzen für die Stadt. Dieser wird vor allem mit den gesundheitlichen Vorteilen des Radfahrens und einer Entlastung für die Krankenkassen begründet. Ein Autofahrer brachte einen Verlust von 5,64 Kronen (0,76 Euro) je Kilometer in der Rushhour [cycling-embassy.dk].
Zu einem ähnlichen Schluss kommen die Autoren der Studie “The Social Cost of Automobility, Cycling and Walking in the European Union” von 2019: Nach ihrer Rechnung verursachte einen Kilometer Radfahren einen externen Nutzen in Höhe von 0,18 Euro, einen Kilometer Autofahren externe Kosten in Höhe von 0,11 Euro [sciencedirect.com].
Gibt es woanders eine Fahrradsteuer?
Fahrradsteuern gibt es in keinem vergleichbaren Land. Grund ist vor allem - auch aus Sicht der Berliner Verwaltung - der zusätzliche Verwaltungsaufwand, der die Erhebung so einer Steuer mit sich bringen würde. Dieser stünde in keinem Verhältnis zu den Einnahmen.
In Peking gab es von Anfang der 1990er bis 2004 eine Fahrradsteuer. Damals waren private Pkw noch die Ausnahme und Fahrräder das mit Abstand meistgenutzte Fortbewegungsmittel. Das hat sich längst geändert: Angesichts Megastaus und Smog in der 22-Millionen-Metropole ist die Stadtverwaltung dazu übergegangen, Fahrradverkehr mit einem subventionierten Leihsystem zu fördern.
Die Schweiz schaffte ihre "Velovignette" 2011 ab, sie war mit einer Haftpflichtversicherung verbunden und keine dezidierte Fahrradsteuer. Seitdem übernehmen, wie in anderen Ländern auch, die privaten Haftpflichtversicherungen mögliche Unfallschäden [admin.ch]. In Deutschland haben laut statistischem Bundesamt 83 Prozent der Haushalte eine solche private Haftpflichtversicherung [gdv.de].
Übrigens gab es in Deutschland schon mal eine Fahrradsteuer: Bremen und das Großherzogtum Hessen führten eine solche 1899 ein. Besitzer von Fahrrädern, Motorrädern und Automobilen mussten eine "Fahrkarte" beantragen, auf die eine Stempelsteuer erhoben wurde. Sie betrug in Hessen fünf Mark für Fahrräder und fünf bis 50 Mark für Automobile. Um die Jahrhundertwende gab es in Deutschland nur wenige Tausend motorisierte Fahrzeuge, das Fahrrad und der Zug waren die wichtigsten Verkehrsmittel der damaligen Zeit.
Kommen für Radwege allein die Autofahrer auf?
Nein, denn die Kfz- und Energiesteuer (bis 2006 Mineralölsteuer) wird nicht gezielt in Infrastrukturmaßnahmen gesteckt. Steuern sind nicht zweckgebunden, Paragraf 3 der Abgabenordnung besagt, dass sie keine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen [gesetze-im-internet.de]. Nur Beiträge und Gebühren sind an besondere Leistungen gebunden. Steuern dagegen müssen nur den Gerechtigkeitsprinzipien Genüge tun, soll heißen: Wer mehr verdient oder mehr verbraucht, muss mehr zahlen. Die Verwendung der Steuergelder verläuft völlig unabhängig davon, von wem und wofür sie erhoben wurden [bpb.de].
Die KfZ-Steuer erhebt seit 2009 der Bund, sie landet nicht direkt bei den Kommunen. Die Energiesteuer, verantwortlich für den Großteil des Spritpreises, kann Kommunen zwar im Rahmen des sogenannten Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) zugutekommen - das bedeutet, dass Städte und Gemeinden sie für die Verbesserung ihres Verkehrs benutzen dürften. Das gilt aber nur für extrem große Infrastrukturprojekte - und darunter fallen die wenigsten Rad- oder Fußgängervorhaben.
Ein Punkt, den Kritiker der Steuerverwendung vorbringen: Das Straßenbaufinanzierungsgesetz besagt theoretisch, dass die Hälfte der Energiesteuer für "Zwecke des Straßenwesens" verwendet werden muss. Aber dieser Artikel wird seit Jahren ausdrücklich ausgesetzt. Der ADAC kritisiert, dass nur ein kleinerer Teil der Einnahmen durch die Kfz- und Energiesteuer direkt in die Infrastruktur gesteckt werden [correctiv.org], sondern für den gesamten Haushalt verwendet werden.
Die Einnahmen allein könnten die gesellschaftlichen Kosten des motorisierten Verkehrs aber bei Weitem nicht begleichen. Alleine Verkehrsunfälle verursachten laut der Bundesanstalt für Straßenwesen im Jahr 2018 volkswirtschaftliche Kosten von 33,7 Milliarden Euro. Im Jahr 2017 verursachte der gesamte motorisierte Straßenverkehr sogenannte "externe Kosten", also Folgekosten von 141 Milliarden Euro, wie eine Studie des Instituts Insas im Auftrag der "Allianz pro Schiene" ergab. Dabei sind unter anderem die volkswirtschaftlichen Kosten von Staus nicht berücksichtigt.
Im Vergleich dazu die Einnahmeseite: Für jedes zugelassene Fahrzeug in Deutschland werden im Schnitt 1.869 Euro im Jahr fällig. Im Jahr 2018 nahm der Bund knapp neun Milliarden Euro über die Kfz-Steuer ein. In Berlin mussten Verkehrsteilnehmer 2019 wegen Verstößen knapp 90 Millionen Euro Bußgeld überweisen, es wird allerdings nicht nach Verkehrsmittel aufgeschlüsselt - den Großteil aber dürften motorisierte Fahrzeuge bedeuten [harald-moritz.de]. Falschparken und Geschwindigkeitsverstöße kommen mit großem Abstand am häufigsten vor. Hier sind allerdings auch die Kosten in Betracht zu ziehen, die die Verfolgung solcher Verkehrsvergehen bedeutet.
Zur Sprit- beziehungsweise Energiesteuer muss man außerdem wissen: Sie wird nicht nur auf Benzin erhoben, sondern auch auf Heizöl, Erdgas und Kohle. Der Anteil, der von Autofahrern erbracht wurde, lag im Jahr 2017 bei rund 21 Milliarden Euro für Diesel und weitere rund 16 Milliarden Euro für Benzin. Diese Angaben beziehen sich jedoch nicht allein auf Autofahrer, sondern auch auf Kräne, Busse, Landmaschinen oder Lkw.
Rechnet man die zusätzlich ausgegebene Mehrwertsteuer mit ein: Laut einer Erhebung der TU Dresden standen 50 Milliarden Euro Steuereinnahmen aus KfZ-, Mineralöl- und Mehrwertsteuer 90 Milliarden Euro von Autoverkehr verursachten Kosten gegenüber [tud.qucosa.de].
Wieviel Geld geben der Bund und Berlin für Fahrradwege aus?
Aus dem Haushalt des Bundesverkehrsministeriums von knapp 28 Milliarden Euro im Jahr 2018 flossen 130 Millionen Euro in den Fahrradverkehr – etwa 0,5 Prozent. Allerdings sollen diese Ausgaben steigen: Laut Zahlen des Bundesverkehrsministeriums sollen bis 2023 insgesamt 1,46 Milliarden Euro in den Radverkehr investiert werden. Im gleichen Zeitraum sind für Ausbau, Sanierung und Betrieb von Straßen gut 33 Milliarden Euro eingeplant. Der Berliner Ausbau der A100 auf 3,2 Kilometer Strecke kostet mehr als 600 Millionen Euro, umgerechnet 187.500 Euro pro Meter.
Berlins Verwaltung hat für 2020 Investitionen in den Radverkehr von 31,4 Millionen Euro angekündigt. Aber es ist äußerst fraglich, ob diese Summe wirklich eingesetzt wird - nicht nur wegen der coronabedingten Einschränkungen. Bezirken und Land Berlin standen 2019 insgesamt vier Millionen Euro für den Bau neuer Radwege und dazugehöriger Infrastruktur wie Fahrrad-Ampeln zur Verfügung. Nicht einmal die Hälfte vom bereitstehenden Geld wurde ausgegeben. Die Verwaltung begründet das vor allem mit fehlenden Stellen. Die Unterschiede zwischen den Bezirken sind riesig: Während Friedrichshain-Kreuzberg 562.000 Euro investiert hat, waren es in Reinickendorf 17,80 Euro.
In der ganzen Stadt gibt es insgesamt 5.400 Kilometer Straßennetz. Davon haben 850 Kilometer baulich angelegte Radwege, außerdem 270 Kilometer farblich markierte Radfahrstreifen. Der Ausbau bleibt Stückwerk: Der beabsichtigte Radverkehrsplan ist genauso so wenig fertig, wie ein definiertes Radwegenetz. Seit 2017 wurden 99,2 Kilometer neue Radwege gebaut - drei Viertel davon außerhalb des S-Bahn-Rings. Die umstrittenen, berlinweit knapp 27 Kilometer langen Pop-up-Radstreifen gehören nicht dazu. Nach dem Mobilitätsgesetz sollen bevorzugt sogenannte geschützte Radwege gebaut werden, bei denen die Radler durch Polier oder ähnliches abgetrennt vom Autoverkehr fahren. Davon wurden in der ganzen Stadt bisher etwa fünf Kilometer gebaut. Seine Ziele des Mobilitätsgesetzes hat der rot-rot-grüne Senat bislang nicht erreicht.
Bekommen Radfahrer die Infrastruktur geschenkt?
Nein. Sie beteiligen sich genauso wie Auto- und Motorradfahrer an den Kosten für die Infrastruktur, denn die meisten von ihnen sind ja ganz normale Steuerzahler. Mehr als 2,3 Millionen Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer gibt es nach aktueller Berechnung der Verkehrsverwaltung in der Hauptstadt. Sie entrichten genauso Einkommensteuer, Mehrwertsteuer sowie viele andere Steuerarten und finanzieren damit auch die Straßen, beispielsweise Autobahnen, auf denen nur motorisierte Fahrzeuge fahren dürfen. Das tun Fußgänger auch, die ebenfalls keine Steuer für Fußwege zahlen müssen.
Laut der repräsentativen Studie "Mobilität in Städten - SrV" der TU Dresden entfallen in Berlin 18 Prozent des gesamten Verkehrsaufkommens auf den Fahrradverkehr, 26 auf den motorisierten Individualverkehr, 27 auf den ÖPNV [berlin.de]. Laut Senatsverkehrsverwaltung deckt sich das mit Verkehrszählungen.
Was auffällt: Der Anteil des Fahrradverkehrs ist in Berlin doppelt so hoch wie noch Anfang des Jahrtausends, mit stark steigender Tendenz. Gleichzeitig fahren heute so viele Autos wie noch nie durch die Stadt, ihre Zahl stieg in den vergangenen Jahren - wie auch die der Bewohner. Allerdings pendeln auch etwa 320.000 Menschen aus dem Speckgürtel jeden Arbeitstag in die Stadt, geschätzt zwei Drittel davon mit dem Pkw.
Entscheidend ist: Die allermeisten Bundesbürger nutzen mehr als ein Verkehrsmittel, Fahrradfahrer fahren auch Auto, Autofahrer Fahrrad [mobilitaet-in-deutschland.de]. Das sieht man unter anderem an der Zahl der Fahrzeuge: In Deutschland waren zu Jahresbeginn 47,7 Millionen Pkw zugelassen, mehr als je zuvor. Zugleich gab es nach Berechnungen des Branchenverbands ZIV knapp 76 Millionen Fahrräder, ältere Modelle nicht miteinberechnet.
Auf 1.000 Berlinerinnen und Berliner kamen 2017 328 Autos und 846 Fahrräder. Verkehrsteilnehmer gegeneinander auszuspielen, als gäbe es nur ein Entweder-oder ist also wenig zielführend, es geht am Alltag der meisten Deutschen vorbei.
Beitrag von Sebastian Schneider, rbb|24