Interview | Israelis und Palästinenser in Berlin - "Die meisten Palästinenser haben Angst, offen über den Konflikt zu sprechen"
Die Wissenschaftlerin Katharina Galor hat ein Buch über das Zusammenleben von Israelis und Palästinensern in Berlin geschrieben. Im Interview mit rbb|24 berichtet sie, wie sie die Beziehungen sieht und was sie für die Zukunft erwartet.
rbb|24: Frau Galor, gemeinsam mit Ihrem Co-Autor Sa'ed Atshan haben Sie für Ihr Buch "Israelis, Palästinenser und Deutsche in Berlin" das Zusammenleben von Israelis und Palästinensern in Berlin erforscht und dafür rund 100 Interviews geführt. Wie kamen Sie darauf, das genau hier zu tun?
Katharina Galor: Berlin ist eine der größten israelischen Gemeinden außerhalb des Nahen Ostens. Dazu kam die Beobachtung - und die Ironie sozusagen mit Blick auf die Geschichte und den Holocaust -, dass seit ungefähr 2014 viele hauptsächlich junge, politisch linksgerichtete Israelis nach Berlin gekommen sind, um für kürzere oder längere Zeit hier zu leben oder zwischen Berlin und Israel zu pendeln. Gleichzeitig wird Berlin oft als das größte "Geflüchtetenlager" außerhalb des Nahen Ostens beschrieben, hauptsächlich bei Palästinensern selbst, weil viele Flüchtlinge, die vor dem Libanonkrieg geflohen sind, nach Berlin gekommen sind.
Es ist natürlich interessant, dass sich diese zwei sehr großen Gemeinschaften in Berlin treffen. Die palästinensische Gemeinschaft ist dabei etwa doppelt so groß wie die israelische, aber insgesamt deutlich weniger im öffentlichen Fokus. Man hört weniger von ihnen - es sei denn, es gibt solche Demonstrationen wie jetzt vor wenigen Tagen in Neukölln. Über die wird dann berichtet von den deutschen Medien.
Welche Beobachtungen haben Sie dabei vor allem gemacht?
Was wir beobachtet haben ist, dass sie in Berlin im Großen und Ganzen friedlich nebeneinander leben können. Sehr oft - und auch viel mehr als im Nahen Osten - haben Israelis und Palästinenser die Möglichkeiten, sich zu begegnen. Viele Israelis und Palästinenser haben uns erzählt, Berlin wäre der erste Ort gewesen, an dem sie dem "Gegner", dem "Feind" zum ersten Mal begegnen konnten. Daraus haben sich zum Beispiel berufliche Zusammenarbeiten entwickelt, Freundschaften, aber auch sogar romantische Beziehungen. Es gibt hier viel mehr Möglichkeiten für diese zwei Gemeinschaften, in der Diaspora zusammenzukommen und einen Kontakt zu etablieren, der im Nahen Osten nur sehr beschränkt möglich ist. Das gibt also Hoffnung.
Das sind die positiven Seiten. Ist das Zusammenleben auf dem Raum einer Stadt wie Berlin also vor allem eine Chance? Oder bietet es auch Gefahren?
Ich glaube, das Problem in Deutschland - was wir in anderen Diaspora Kontexten nicht haben - ist, dass im Hinblick auf die Geschichte Deutschlands Haltung gegenüber den Israelis in Berlin und Deutschland natürlich ganz anders ist, als gegenüber den Palästinensern. Die offizielle Haltung Deutschlands ist immer: Wir stehen mit Israel und verteidigen das Existenzrecht Israels. Das sieht man auch gerade in diesen Tagen. Die israelische Fahne ist überall, auch auf dem Brandenburger Tor. Der offizielle Standpunkt ist klar: Wir stehen an der Seite der Juden und wir wollen die israelische Bevölkerung und die jüdische Bevölkerung in unserem Land beschützen. Es gibt keine offizielle Stimme, die sagt: Wir stehen mit Palästinensern, die jetzt in der Folge angegriffen werden. Das ist eigentlich immer so und jetzt inmitten dieses Krieges wird es noch wesentlich deutlicher sein.
Welche Wirkung hat diese deutliche Positionierung des deutschen Staates an der Seite Israels auf die Palästinenser, mit denen Sie gesprochen haben für Ihre Forschung?
Es gibt da schon oft das Gefühl von Zensur und von Angst, sich als Palästinenser in Bezug auf den Konflikt auszudrücken, weil es im deutschen Kontext immer wieder auch als Antisemitismus definiert wird. Deshalb haben die meisten Palästinenser Angst, offen etwas über den Konflikt zu sagen.
Natürlich gibt es aber auch die, die jetzt beispielsweise offen demonstrieren und Süßigkeiten ausgeben in Neukölln. Das sind aber nicht allein Menschen aus der palästinensischen Gemeinschaft, sondern aus dem gesamten Nahen Osten - abgesehen von Israel natürlich. Jetzt ist diese Solidarität unter den Berlinern mit nahöstlichen Wurzeln, die manchmal fehlte, sehr stark zu sehen.
Genau so ist aber auch auf der israelischen Seite ein Effekt zu beobachten: Die Mehrheit der Israelis, die in Berlin leben, sind eher linksgerichtet und sind im allgemeinen eher kritisch gegenüber der israelischen Regierung, was die Besetzung der Palästinensergebiete anbelangt. Jetzt würde ich sagen: In den letzten Tagen sind diese Aktivisten etwas ruhiger geworden, weil man erstmal sehen muss, wie sich alles entwickelt.
Das klingt ein bisschen so, als wenn Sie davon ausgehen, dass die gemäßigten Vertreter beider Gemeinschaften in Berlin in der aktuellen Phase zunächst leiser und die beiden radikalen Pole lauter werden. Verstehe ich Sie da richtig?
Ich glaube, dass es in diesen Tagen ganz besonders schwer ist, objektiv und nüchtern zu bleiben und die Lage zu analysieren. Ich denke, die meisten Israelis informieren sich jetzt in den israelischen Medien und die Palästinenser informieren sich hauptsächlich bei palästinensischen und arabischen Medien - und die berichten natürlich nicht in gleicher Weise. Sowohl in den israelischen als auch in den arabischen oder palästinensischen Medien liegt der Fokus neben den Statistiken sehr stark auf Geschichten von persönlichem Leid: Bilder und Videos von gefangenen, misshandelten oder ermordeten Israelis und Palästinensern, von Raketen und zerstörten Gebäuden. Die Perspektiven sind immer sehr einseitig auf das jeweilige Leid beschränkt. Das belastet natürlich und regt die Solidarität mit dem eigenen Volk an. Deswegen glaube ich, dass die, die normalerweise etwas offener sind, vielleicht jetzt mehr zögern und sich mehr mit ihrer eigenen Seite identifizieren. Andererseits denke ich aber schon, dass die, die vorher zusammengearbeitet haben und Freunde und Kollegen aus der anderen Community haben, dass die auch weiter in der Lage sind, den größeren politischen Kontext zu analysieren und sich von den Medien und dem sozialen Druck nicht einschüchtern lassen. Diese guten, grenzübergreifenden Beziehungen sind wichtig, im Nahen Osten aber natürlich auch in Berlin und Deutschland.
Befürchten Sie, dass der Konflikt im großen Maße überschwappt nach Berlin und auch hier ausgetragen werden könnte?
Ich hoffe und glaube erstmal, dass das nicht passiert. Aber im Moment gucken alle sehr angespannt, wie sich das alles entwickelt. Jeder von uns hat Familienmitglieder, Freunde oder Kollegen dort, die direkt betroffen sind. Wir sind alle sehr besorgt. Ich hoffe, dass es nicht noch schlimmer wird. Es kann noch wesentlich schlimmer werden und ich hoffe, dass die Auswirkungen nicht in Deutschland spürbar werden.
Sind Sie noch in Kontakt mit den Menschen, die Sie für Ihr Buch getroffen haben und haben Sie schon mit Ihnen gesprochen?
Ja. Ich bin auch insgesamt mit meinen israelischen und palästinensischen Bekannten fast täglich in Kontakt, darunter sind auch Menschen, die Familie in Gaza haben.
Wie laufen die Gespräche derzeit ab, vor allem, wenn Sie mit den Bekannten aus Palästina kommunizieren?
Ich glaube, dass die Solidarität im persönlichen Umgang weiterhin fortbesteht. Genauso wie ich als Israelin fähig bin, trotz meiner Ängste und Sorgen um meine eigenen Kinder, meine Schwester und meinen Neffen, die dort leben, einfühlsam für das Leid meiner palästinensischen Freunde zu sein und deren lebensgefährliche und ausweglose Umstände anzuerkennen, zeigen meine palästinensischen Freunde Mitgefühl mit mir und meiner Familie.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview geführt hat Simon Wenzel für rbb|24.