Lehramtsstudentin in Berlin - "Ich weiß nicht, wie guter Unterricht geht"

Mo 20.11.23 | 06:08 Uhr
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Archvibild: Eine Englisch-Lehrerin schreibt am 27.10.2010 in einer Grundschule an die Tafel. (Quelle: dpa-Zentralbild/Patrick Pleul)
Audio: rbb24 Inforadio | 20.11.2023 | Yasser Speck | Bild: dpa-Zentralbild/Patrick Pleul

Fast die Hälfte der Lehramtsstudierenden in Deutschland bricht das Studium ab. Warum ist das so? Yasser Speck hat eine Master-Studentin aus Berlin getroffen, die den Ablauf des Studiums scharf kritisiert und von Burnout spricht.

Esra* hat es fast geschafft. Sie studiert in Berlin auf Lehramt, der Master-Abschluss ist in ein paar Monaten geschafft. Dann steht die Entscheidung an: Referendariat ja - oder nein? Doch so kurz vor dieser wichtigen Entscheidung fühlt sich Esra nicht bereit für den Job.

"In den fünfeinhalb Jahren Studium habe ich gelernt, wie ich über Gott und die Welt eine Hausarbeit schreibe, weiß aber nicht, wie guter Unterricht geht." Die Studentin fühle sich verloren, sagt sie. Ihr fehlten Methoden, Unterrichtsmaterialien und pädagogisches Wissen. Das Studium, so ihr Vorwurf, hätte sie nicht auf den Job vorbereitet.

Wenig pädagogische Inhalte im Studium

Esra studiert an einer der drei großen Universitäten in Berlin. Den Aufbau des Studiums kritisiert sie hart. "Das Lehramtsstudium ist überhaupt nicht praxis- oder realitätsnah", sagt die Studentin. Das Lehramts-Studium, so wie es aufgezogen sei, verfehle sein Ziel.

Während des Studiums habe sie hochkomplexe wissenschaftliche Inhalte gelernt - Inhalte, die sie niemals, so sagt sie, einer siebten oder achten Klasse beibringen werde. "Da frage ich mich dann: Warum sitze ich hier? Das fühlt sich an wie Zeitverschwendung."

Das Studium ist überhaupt nicht praxis- oder realitätsnah

Esra, Lehramts-Studentin im Master

Im Bachelor habe es zwar auch ein paar Didaktik-Kurse gegeben. Dort habe sie Wissen sammeln wollen und die Dozierenden vieles gefragt: Wie könne sie mit großer Heterogenität im Klassenzimmer umgehen? Wie könne sie mit Störungen im Unterricht umgehen? "Dann hieß es meistens, dass das gerade keinen Platz im Seminar hat", sagt Esra. Sie hat den Eindruck, dass die Dozierenden schon zu lange nicht mehr selbst unterrichtet hätten. "Das, was von den Dozierenden vermittelt wird, kommt aus Sachbüchern. Das hilft mir nicht weiter." Das würde sie und viele andere Studierende sehr frustrieren. Esra sieht darin auch den Hauptgrund, warum fast jeder zweite das Lehramtsstudium abbricht. Auch sie habe schon mal daran gedacht, sagt sie. Vor allem, weil es ihr psychisch nicht mehr gut gehe.

Hohe Belastung mit Folgen

Die 30-jähige Esra befindet sich gerade in ihrem Praxis-Semester. Das bedeutet, dass sie ein Semester lang an einer Schule ein Praktikum macht. Dort hospitiert sie, unterstützt eine Lehrkraft im Unterricht und unterrichtet auch selbst. Diese Stunden muss sie vor- und nachbereiten - wie eine ganz normale Lehrerin eben. Auch das Abhalten von Elternabenden wird von ihr erwartet. Geld bekommt sie dafür nicht.

Für ihren Lebensunterhalt arbeitet Esra noch an einigen Tagen die Woche als Grundschullehrerin. Auch hier muss sie die Stunden selbstverständlich vor- und nachbereiten. Nach so einem Tag als Grundschullehrerin würde sie sich am liebsten ausruhen, aber das geht nicht. Denn abends muss sie sich um ihre Uni-Aufgaben kümmern.

Zum Praxis-Semester muss sich noch mehrere Begleitkurse an der Uni machen und unter anderem eine 25-seitige Forschungsarbeit schreiben. "Ich habe eigentlich kein Privatleben mehr", resümiert die Studentin.

Ich habe noch kein Burnout, aber die Tendenz ist schon da

Esra, Lehramts-Studentin im Master

Diese Dreifach-Belastung geht nicht spurlos an der jungen Frau vorbei. Sie fühle sich sehr übermüdet, überlastet und gestresst, sagt Esra. "Ich habe noch kein Burnout, aber die Tendenz ist schon da." Esra kann sich aber keine Pause leisten. Ohne das Praxis-Semester darf sie den Master nicht machen, ohne die Unikurse besteht sie das Praxis-Semester nicht und ohne den Nebenjob kann sie sich ihr Leben in Berlin nicht leisten.

Erneuerte Lehramtsausbildung gefordert

Das, was Esra über ihr Studium berichtet, berichten auch andere Studierende, mit denen rbb|24 gesprochen hat. Sie alle fordern ein praxisnäheres Lehramtsstudium. Und damit stehen sie nicht alleine da: Diese Forderung unterstützt auch der Bundeselternrat. Dieser hat es in einer schriftlichen Mitteilung so zusammengefasst: "Die Ausbildung von Pädagogen muss praxisnäher erfolgen und durch intensives Mentoring im Kollegium begleitet werden." Eltern und angehende Lehrer:innen sind sich also einig: Im Lehramtsstudium muss sich etwas verändern. Berlins Bildungs-Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) sagte in einem Interview mit der "Berliner Woche", dass sie die Einführung des Dualen Studiums für Lehrkräfte derzeit prüfe.

Esra würde davon nicht mehr profitieren. Für die 30-jährige steht bald eine Entscheidung an. Referendariat ja - oder nein. Ob sie es direkt nach dem Master macht, das weiß sie nicht. Vielleicht macht sie erst mal eine Pause, sagt sie. Und vielleicht lässt sie es mit dem Referendariat ganz.

* Anmerkung der Redaktion: Esra ist nicht der richtige Name der Studentin. Sie möchte unerkannt bleiben. Der Redaktion sind ihr richtiger Name, ihr Arbeitsplatz und ihre Hochschule bekannt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 7:07 Uhr, 20.11.2023

64 Kommentare

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  1. 64.

    Als Mentorin wäre es mir neu, dass LA-Studierende während des Praxissemesters Elternabende abhalten müssen. Teilnehmen vielleicht, das sollte es dann aber gewesen sein und das ist im schulischen Kontext auch wichtig, um möglichst nah an der Praxis zu bleiben. Ich finde es zudem sehr kontrovers an einer Grundschule zu arbeiten, wenn man sich so unwohl und unvorbereitet bezüglich des Unterrichts fühlt, die armen Schüler*innen.

  2. 63.

    Dafür gibt es das Schulpraktische Seminar, wo die zukünftigen Lehrer auf ihren Beruf in den Schulen vorbereitet werden. So weit scheint die Dame hier noch gar nicht gekommen zu sein. Klar ist das reine Studium Theorie.

  3. 62.

    "Ich weiß nicht wie guter Unterricht 'geht'." Ich wusste auch nicht wie gute Sprechstunde 'geht'... Habe mich aber eingefuchst weil ich es musste. Habe unbezahlte Praktika absolviert und eine Menge gelernt. Nebenher natürlich gearbeitet. Als Putzfrau und als schlecht bezahlte Assistentin. Fühlte mich auch nicht fit nach dem Studium, habe aber Praxiserfahrung gesammelt um weiter zu kommen. Von einer Akademikerin, einem Akademiker kann man ein gewisses Engagement erwarten. Sie erwarten ja auch eine gewisse Bezahlung. Wenn es Esra zu viel sein sollte soll sie doch einfach eine Ausbildung zur z.B. Bäckereifachverkäuferin absolvieren. Geregelte Arbeitszeiten, festgelegter Lohn, keine "Führungsaufgaben". Da sich Esra "sehr übermüdet, überlastet und gestresst" fühlt sollte sie vielleicht in den Vorruhestand gehen! Nicht das der Burn-Out noch schlimmer wird!

  4. 61.

    Interessant, wie unterschiedlich die eigentlich einheitliche Ausbildung in der DDR in der Erinnerung aussieht.

  5. 60.

    Antwort auf Carola:
    Unter Ihrem Text fehlt die Grußformel "Grüße aus Wolkenkuckucksheim".
    Ich habe jedenfalls an den Brennpunktschulen nicht erlebt, dass die Mentor*innen genug Zeit für die Student*innen hätten. Und im Ref steht man unter Bewertungsdruck, die großen Seminargruppen verhindern individuelle Betreuung und in der Schule wird erwartet, dass man nach mind. 5 Studienjahren funktioniert, schließlich gibt es eh zu wenig Personal.
    Das ist die Realität für die meisten Referendar*innen.

  6. 59.

    Häufig gehörte Begründungen für die Berufswahl:
    - Ich mag Kinder
    - familienfreundliche Arbeitszeiten als Lehrkraft
    - Ich liebe die Fächer XY
    Drei Gründe, diejenigen eher nicht zu nehmen, weil "mögen" meist die annehmende Konsequenz im Lehrerverhalten vermissen lässt, Schule zeitliche Flexibilität incl. Abend und Wochenende voraussetzt und das ausgeprägte Fachwissen (oft bis auf die Leistungskurse am Gymnasium) keine große Rolle spielt.
    Das zu sehen, muss man tiefer in Schule eintauchen

  7. 58.

    Weit gefehlt, gerade die Differenzierung nach unten ist die Kunst, weil man die Ursachen identifizieren muss und darauf individuell passgerechte "Antworten" finden muss welche dann in das Unterrichtskonzept eingebettet werden müssen.
    Dem von Ihnen kommunizierten Irrglauben erliegen auch diejenigen, die meinen, Gymnasiallehrkräfte könnten ohne Weiteres an Grundschulen eingesetzt werden. Dort müssen ganz andere Methoden zur Anwendung kommen.

  8. 57.

    Das wissenschaftliche Fachstudium zeigt, dass man wissenschaftlich arbeiten kann. Das Referendariat bereitet dann auf die praktische Arbeit in der Schule vor: Methoden, Classroom Management usw.

    Wer natürlich schon vor dem Abschluss praktisch tätig ist, arbeitet sozusagen ohne fundierte Ausbildung.

    Daran ist aber nicht die Ausbildung an sich Schuld, sondern der Lehrkräftemangel, der durch ständiges Kritisieren der Ausbildung auch nicht behoben werden wird.

    Lehrer ist halt ein stressiger Beruf, aber er kann auch Spaß machen. Also vielleicht erstmal die Ausbildung auf die Reihe kriegen, bevor man über den Burnout nachdenkt. Andere haben es doch auch hinbekommen, also ich kann das ganze "alles ist mir zu viel" nicht mehr hören.

  9. 56.

    Den hier aufgezeigten Widerspruch " ich weiß nicht wie guter Unterricht geht" ....arbeite jedoch parallel schon als Grundschullehrerin und scheine es in Ordnung zu finden...diesen
    iderspruch findet man zunehmend an den Schulen..ob bei LAstudies oder Quereinsteigern. So ist natürlich individuelles burnout oder zumindest Überforderung vorprogrammiert. Schlimmer jedoch sind die Folgen für die SuS. Was bedeutet es für diese, von Lehrkräften, die sich als unausgebildet bezeichnen und berfordert sind,unterrichtet zu werden? Deshalb ist der verzweifelte Versuch von senbjf, Lücken auch noch durch Studies zu stopfen, kontraproduktiv. Kurzfristig gibt es wohl keine Lösungen,nur weitere Schäden auf allen Seiten.
    Eine wirkliche Basiskorrektur der Lehrkräfteausbildung in der Bundesrepublik ist seit Jahren erforderlich. Herumpuzzlen bringt nichts. Praktiker in der Lehrkräfteausbildung weisen darauf hin und werden ignoriert...sowohl auf Länder- wie auf Bundesebene. Ein Trauerspiel.

  10. 55.

    Ergänzung:
    Ich kann das ewige Klagen über das Lehramtsstudium leider nicht nachvollziehen und halte es für Augenwischerei. Selbstredend sollte das grundständiger Lehramtsstudium ein akademisches auf entsprechendem Niveau bleiben. Im Referendariat, das damals sinnvollerweise noch 2 Jahre dauerte und mit einer 2. Staatsexamensarbeit abzuschließen war, lernt und erprobt man dann die praktische Umsetzung didaktisch aufbereiteter Themen und Inhalte, Strategien des Klassenmanagements, usw.
    Wenn ich sehe, wie viele Junglehrer z.B. schon des Deutschen in Bezug auf Orthographie (ja, alte Schreibung, um dem griech. Ursprung Rechnung zu tragen), Rechtschreibung und Grammatik nicht mächtig sind, aber einen stärkeren Praxisbezug von Studieninhalten fordern, frage ich mich, wie niveauvoll denn unsere Bildung eigentlich ihrem Anspruch nach sein muss/kann.
    Ein fundiertes fachliches Know-how zu haben, wird nicht ausreichend gewürdigt. Da können wir auch strikt nach Lehrbuch vorgehen. Passt!

  11. 54.

    Ich kann das leider 100%ig verstehen und bestätigen! Gespräche, die ich mit Verantwortlichen von SenBJF und der HUB geführt habe bzgl. Studieninhalte, duale Ausbildung usw. sind tatsächlich sinnlos. Ich habe ja keine Ahnung.....Ich selbst begleite seit vielen Jahren Studierende auf diesem Weg in der Schule und bilde seit über 20 Jahren Lehrer aus und fort.

  12. 52.

    Nichts spricht gegen ein wissenschaftliches Studium. Dennoch muss eine Sinnhaftigkeit der Inhalte in Bezug auf das Berufsziel erkennbar werden, insbesondere über den langen Zeitraum, den sich ein Studium erstreckt. Sonst droht ein Sinn- und Motivationsverlust. Wozu sich als angehender Geschichtslehrer ein Semester lang mit den verschiedenen Schuharten der römischen Bevölkerung beschäftigen ... ?
    Die "anleitenden" LehrerInnen, die zu meiner Zeit Referendare begleiten sollten, standen aus Gründen der Überarbeitung meist nicht zur Verfügung. Außerdem waren sie, dank ständiger Neuerungen, nicht auf der Höhe der gegenwärtigen Ref-Anforderungen, Bsp. Lernziele (alt) und Kompetenzen (neu).
    Es gibt Seminarleitungen, die keine einzige Stunde in der Oberstufe vorführen, aber hohe Ansprüche diesbezüglich an ihre Referendare stellen... Und nein, niemand bringt den Refs bei, wie praktisch mit der Heterogenität von Lernbehinderung bis Hochbegabung und dazu eine handvoll LRS+EmSoz umzugehen ist.

  13. 50.

    Egal, ob nun in Ost oder West, die Unterstufen"leute" waren in jedem Fall die "besseren Methodiker" als das in den Oberstufenfachrichtungen üblich war. Sehr vieles musste man sich mühsam und zeitraubend aneigenen, izwischen dann mit Familie u. 'Funktionen' an der Schule.

  14. 49.

    Ein klares NEIN. Auch die Lehrerausbildung in der DDR war verkopft, ideologielastig und praxisfern - zumindest meine 1982-1987 an der HUB. Das 5. Studienjahr war zwar nur Praxis (ähnlich den Ref heute, bloß eben ganz für lau)-aber dort durfte man loslegen und musste zusehen wie man klar kommt. Dabei half auch wenig die pädagogische Theorie des Makarenko, die ausgiebig abgehandelt wurde. Das entscheidende Unterschied waren die deutlich kleineren Klassen und die Homogenität (zumindest die kulturelle und religiöse) er Klassen - und Sie erkennen ja treffsicher, bei Abweichungen der Norm durch LRS oder Lernbehinderung war es schon vorbei.

  15. 48.

    Ich schäme mich für angehende Kollegen, die den Wert ihrer wissenschaftlichen Fachausbildung nicht erkennen und meinen, es reiche, ein bisschen Schulstoff und Pädagogik zu beherrschen. Ein ausreichend vertieftes Fachstudium ist richtig und wichtig; wer damit überfordert ist, ist vielleicht schlichtweg der Falsche für den Job.

    Die Inhalte, die die überforderte Dame vermisst, lernt sie im Referendariat und in den Begleitveranstaltungen zum Praxissemester - in dem man übrigens auch nicht alleine im luftleeren Raum werkelt, sondern Unterstützung seitens der Kollegen an der Schule bekommt.

    Bleibt der Punkt, dass sie bereits als Lehrerin arbeitet ohne dafür ausgebildet zu sein. Ja, das ist sicherlich schwierig. Es ist allerdings so auch nicht vorgesehen - wie wäre es also, sich zur Studienfinanzierung einen schulfremden Studentenjob zu suchen, seine Ausbildung abzuschließen und sich erst danach, mit dem nötigen Handwerkszeug, in die Praxis zu stürzen?

  16. 47.

    Nein. Klingt nicht nach DDR.
    Ich habe an einer Fachschule (Institut f. Lehrerbildung) meine Ausbildung zum Lehrer für die unteren Klassen absolviert. Das Studium war eng verzahnt mir der Praxis und mit viel Fachdidaktik in den Hauptfächern Deutsch, Mathe, Sachunterricht und im Wahlfach Sport. Bereits im Verlauf des Studiums hatten wir parallel praktische Einheiten in der Schule und natürlich auch Praktika.

  17. 46.

    Das Burn Outsyndrom ist sehr schnell gegeben. Bei dem Schul-/Uni-Speed ist sinnvolles lernen/studieren nicht möglich.

  18. 45.

    Vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag, der die wesentlichen Punkte anspricht.

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