Internationale Aktion - Berliner LKA geht gegen Enkeltrick-Betrug und Schockanrufe vor
Mit Schockanrufen erbeuten Betrüger vor allem bei älteren Menschen immer wieder viel Geld. Neuerdings nutzen sie dazu auch Angaben aus Traueranzeigen. Jetzt gingen Ermittler europaweit gegen Enkeltrick-Betrüger vor. Von Kerstin Breinig
- Tausende Beamte aus Deutschland und Europa an Aktion gegen Schockanrufe beteiligt
- Berliner Landeskriminalamt war mit für die Koordination zuständig
- Dutzende Taten konnten vereitelt werden, 27 mutmaßliche Betrüger in Untersuchungshaft
- Betrüger nutzen für ihre Schockanrufe seit Kurzem auch Angaben aus Traueranzeigen
"Ich hab einen schlimmen Autounfall. Hörst Du?" – so beginnt das perfide Spiel, begleitet von Tränen und Pause. Schluchzend, unter Tränen hervorgepresst, immer wieder die schreckliche Nachricht. Das alles folgt einem Drehbuch, um den Angerufenen zu einer Reaktion zu bringen. Dazu, den Namen eines Angehörigen zu nennen, mit dem der Anrufer weitermachen kann. Weiter die falsche Geschichte aufblasen. Ohne Kaution müsste man ins Gefängnis, alles Weitere erklärt dann wahlweise ein "Polizist" oder ein "Anwalt".
Es ist ein Spiel mit verteilten Rollen. Zwei, drei Kriminelle sitzen zusammen, im Callcenter, sie sind die sogenannten Keiler. Wenn das Opfer bereit ist, zu zahlen, kommen die "Abholer". Fünf-, manchmal sechsstellige Beträge werden nach dieser Methode erbeutet.
Auf die "Keiler" hatten es die Ermittler abgesehen. Meist führte die Spur nach Polen. Von dort aus operieren die "Schockanruf-Banden" in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern. Die Polizisten erzählen, auch schon Schockanrufe auf Schwedisch oder Italienisch mitgehört zu haben. In der Befehlsstelle im Berliner Landeskriminalamt liefen in den vergangenen zwei Wochen die Fäden zusammen. Von dort aus wurde mitgehört und dann die Polizeieinsätze in Gang gesetzt.
Opfer werden durch Traueranzeigen ausgewählt
Zum Beispiel in einem Vorort von Warschau. Dort schlägt in der ersten Woche an einem Nachmittag die polnische Spezialeinheit zu. Vor dem Haus steht ein Porsche. Die Villa wurde extra von den Betrügern angemietet. Die Polizisten stürmen mitten in den Arbeitsalltag. Im Schlafzimmer haben drei Frauen im Alter von 16, 23 und 35 Jahren bis zu diesem Moment telefoniert. Auf dem Bett liegen Laptop, Telefon und Arbeitsbuch, unten im Haus läuft der Fernseher für die beiden Kinder. Allein in diesem Fall konnte ein Schaden von etwa 300.000 Euro verhindert werden.
Die neueste Masche der Schockanrufer: Sie suchen ihre Opfer gezielt aus Traueranzeigen heraus. "Dann wird die Geschichte durchgespielt, dass die Tochter, die ja auch in der Sterbeanzeige namentlich genannt ist, in einen Unfall verwickelt ist", erzählt LKA-Ermittler Sebastian Höhlich. Der Partner tot, das Kind im Gefängnis – nur wenn die Angehörigen zahlen, kann ihr Kind auch zur Beerdigung kommen. Das löst beim Opfer, das sich durch den Todesfall in einem emotionalen Ausnahmezustand befindet, verstärkt etwas aus. Eine Witwe aus Berlin-Wannsee hat so 150.000 Euro verloren.
Schockanrufe, das wird schnell klar, sind ein Millionengeschäft. Wenn jemand nicht anbeißt, machen die Täter einfach mit der nächsten Telefonnummer weiter, bis es klappt. Und viele Opfer trauen sich nicht, die Polizei einzuschalten, wenn sie gezahlt haben und den Betrug bemerken. Aus Scham, aus Angst vor der Familie, vor den Vorwürfen. Allein bei den Aktionswochen konnten 74 Taten mit einer Schadenssumme von fünf Millionen Euro verhindert werden.
Abzocke als Familienunternehmen
Die Ermittler des Berliner Landeskriminalamtes wissen genau, mit wem sie es zu tun haben. Es sind meist polnische Roma-Familien, die mit den Schockanrufen in Deutschland Millionen verdienen. Ganze Stammbäume von Tatverdächtigen haben die Ermittler erstellt. 30, 40 Namen sind dort angeordnet. Oben die Drahtzieher - drei Brüder und die Eltern - dann kommen Logistiker, Anrufer, und ganz unten im System die Abholer, irgendwie sind laut Landeskriminalamt alle miteinander verwandt.
Genau das macht es so schwer, gegen die Banden vorzugehen. Von außen kommt niemand in die streng patriarchalen Strukturen hinein und an die führenden Köpfe heran. "Die sind straff organisiert, da gibt es ganz klare Hierarchien, ganz klare Weisungen, die erteilt werden", sagt Höhlich. Doch jetzt hat die Polizei anscheinend einen Weg in die Struktur gefunden. Wie genau, verraten die Ermittler nicht.
Vernetzung über Landes- und Ländergrenzen hinweg
Doch was ihnen auf jeden Fall zugutekommt, ist die Vernetzung der Polizei über Landes- und Ländergrenzen hinweg. In diesem Jahr beteiligten sich erstmals alle 16 Bundesländer, das Bundeskriminalamt, Ermittler aus Polen, Österreich, der Schweiz und Luxemburg sowie von Europol. So konnten die Kompetenzen gebündelt, aber auch die unterschiedliche Prioritätensetzung in den einzelnen Ländern überwunden werden. So ist zum Beispiel in Berlin eine eigene Abteilung des Landeskriminalamtes für Telefonbetrug zuständig, in anderen Bundesländern machen das die Abschnitte.
Für die Aktionswoche wurden die Kräfte gebündelt. Täglich standen etwa 1.000 Polizisten zur Verfügung. Möglich ist das, weil die Bekämpfung der Schockanrufe Teil des EU-Projektes "ISF Lumen" ist. ISF ist die Abkürzung für International Security Fund, ein Finanzinstrument der Europäischen Union zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in Europa.
Man komme dem Phänomen nur gemeinsam bei, sagen auch die Berliner Ermittler. Sonst würden die Kriminellen einfach weiterziehen, wenn in einem Bundesland der Druck zu hoch sei - und wiederkommen, wenn der wieder nachlässt.
Sendung: rbb24 Abendschau, 12.12.2023, 19:30 Uhr
Sendung: rbb24, 12.12.2023, 13 Uhr