Tod nach Polizeieinsatz in Berlin - Ermittlungen gegen Polizeibeamte eingestellt – Bruder legt Beschwerde ein
Der psychisch kranke Medard Mutombo starb nach einem Polizeieinsatz. Sein Bruder macht die eingesetzten Beamten dafür verantwortlich. Nun hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen sie eingestellt. Die Begründung wirft Fragen auf. Von Johanna Sagmeister
Am 14. September vergangenen Jahres sollte der an Schizophrenie erkrankte Medard Mutombo von der Berliner Polizei in die geschlossene Psychiatrie gebracht werden. Doch der Einsatz eskalierte: Der 64-Jährige kollabierte und starb drei Wochen später in der Charité.
Sein Bruder Mutombo Mansamba erhob danach schwere Vorwürfe gegen die Polizeibeamten, warf ihnen illegitime Gewalt vor und stellte Strafanzeige. Doch das eingeleitete "Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Beamte der Berliner Polizei wegen Körperverletzung im Amt" hat die Staatsanwaltschaft nun eingestellt, wie sie dem rbb bestätigte.
In dem Schreiben des ermittelnden Staatsanwalts, das dem ARD-Mittagsmagazin exklusiv vorliegt, heißt es: "Die Ermittlungen haben nicht zu einem konkreten Tatverdacht gegen einen oder mehrere der an dem Einsatz am 14. September 2022 beteiligten Polizeibeamten geführt." Ein Fehlverhalten sei nicht zu erkennen, "und zwar weder in vorsätzlicher noch in fahrlässiger Form".
"Ohne Polizeieinsatz würde mein Bruder noch leben"
Für den Bruder Mutombo Mansamba ist das nicht nachvollziehbar. "Es ist ein Schock für mich", sagt er. "Und es tut weh zu sehen, dass die Polizisten keine Konsequenzen erfahren." Er sieht die am Einsatz beteiligten Polizeibeamten weiterhin in der Verantwortung und zeigt sich sicher: "Ohne Polizeieinsatz würde mein Bruder noch leben."
Sein Bruder Medard Mutombo lebte seit mehr als 20 Jahren in einem Heim zur Vermeidung von Obdachlosigkeit in Spandau. Im vergangenen Jahr habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Mutombo habe offenbar seine Medikamente nicht mehr genommen, sei kaum ansprechbar und zunehmend aggressiv gewesen. So berichten es zwei seiner Betreuer dem ARD-Mittagsmagazin.
Das Amtsgericht Spandau ordnete an, dass er in ein psychiatrisches Krankenhaus gebracht werden sollte. Drei Polizeibeamte begleiteten die Maßnahme, "auch weil damit zu rechnen war, dass er nicht freiwillig dorthin gehen würde", sagt einer seiner Betreuer, der anonym bleiben möchte.
Augenzeuge: "Das hat mich an George Floyd erinnert"
Als Medard Mutombo die Beamten sah, soll er aggressiv geworden sein. "In seinem Wahn ging es häufig um einen angeblichen Krieg zwischen seinem Heimatland Kongo und Angela Merkel", sagt einer seiner Betreuer. "Die Beamten müssen etwas in ihm ausgelöst haben, weil sie ihn in seinen Wahnvorstellungen seiner Psychose bestätigt haben."
Es sei ein Gerangel in seinem Zimmer entstanden. Die Beamten hätten Schwierigkeiten gehabt, ihn zu fixieren. Er spuckte und biss. So berichtet es der Betreuer und so steht es auch im Bericht des Staatsanwaltes. Der Betreuer will auch gesehen haben, wie sich ein Polizist auf den seitlich liegenden Medard Mutombo gekniet habe. "Er hatte sein Knie auf den Hals gelegt. Das hat mich an George Floyd erinnert", erzählt er. Außerdem habe er Blut gesehen, das die Polizeibeamten aus Mutombos Gesicht gewischt haben sollen.
Nach drei Wochen im Koma gestorben
Obwohl er das der Kriminalpolizei so bezeugt habe, finden sich diese Aussagen nicht im Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft wieder. Dort steht lediglich, dass Verstärkung gerufen wurde: "Bis zu deren Eintreffen wurde der Geschädigte durch die drei Beamten auf dem Bett sitzend zur Seite gedrückt fixiert." Die Staatsanwaltschaft hat sich hierzu auf Nachfrage nicht konkret geäußert.
Laut Schreiben des Staatsanwalts kamen neun weitere Polizeibeamte zum Einsatzort. Medard Mutombo wurde demnach aus seinem Zimmer nach draußen gebracht. Dort fixierten ihn fünf Beamte auf der Wiese liegend, dann kollabierte er. Er wurde reanimiert und in ein Krankenhaus gebracht. Nach drei Wochen im Koma starb Medard Mutombo.
Staatsanwalt sieht "emotionale Stressreaktion" als Ursache
Die genaue Todesursache bleibt weiterhin ungeklärt. "Eine Obduktion erbrachte keine Erkenntnisse auf ein Fremdverschulden", schreibt Sebastian Büchner, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, auf Anfrage. Weitere Untersuchungen hätten auch keine Hinweise auf einen langfristigen Alkohol- oder Drogenmissbrauch sowie eine "krankhafte Veränderung" des Gehirns ergeben. Es lässt sich "aus toxikologischer Sicht somit keine Ursache für den Kreislaufzusammenbruch ableiten", so Büchner. Allerdings fand die Obduktion und Probenentnahme erst nach dem Tod – also drei Wochen nach dem Polizeieinsatz – statt.
Als Ursache für den Kreislaufzusammenbruch kommt der Staatsanwaltschaft zufolge "grundsätzlich auch die im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz und mit der Krankheit des Geschädigten entstehende emotionale Stressreaktion in Kombination offensichtlich mit dem in den Wochen zuvor erfolgten Absetzen der Medikation in Betracht", wie es in dem vorliegenden Einstellungsbescheid des Staatsanwalts heißt.
Den Betreuer wundert diese Einschätzung, wie er sagt. Er gehe davon aus, dass Medard Mutombo die Medikamente schon "bestimmt ein halbes Jahr" nicht mehr genommen habe. "Die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes hat nicht gestimmt", sagt er - womit er vor allem die insgesamt zwölf Beamten meint, die beteiligt waren. "Statt gleich Verstärkung zu rufen, hätten sich die Beamten mehr Zeit nehmen müssen", sagt er. "Während eines Rückzuges hätten sie sich medizinischen Rat holen können und Mutombo hätte sich vielleicht etwas beruhigt."
Anwältin spricht von halbherzigen Ermittlungen
Auch Mutombo Mansamba möchte das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft nicht einfach so hinnehmen. Seine Anwältin hat Beschwerde eingelegt. "Es wurde von Anfang an halbherzig ermittelt", sagt sie und verweist etwa darauf, dass während der Ermittlungen keiner der am Einsatz beteiligten Polizeibeamten noch einmal befragt wurde.
Das räumt auch die Staatsanwaltschaft auf ARD-Nachfrage ein: "Keiner der Beamten, die sich zeugenschaftlich geäußert hatten, wurde zusätzlich vernommen." Zeugenschaftliche Äußerungen würden eine Vernehmung aber nicht ersetzen, findet die Anwältin. "Man findet Fehlverhalten nicht heraus, wenn man nicht danach fragt", sagt sie.
Mutombo Mansamba wünscht sich, dass der Einsatz vor Gericht behandelt wird. Damit alle Beteiligten noch mal aussagen müssen und ein Richter entscheiden kann: Wer hat Schuld am Tod seines Bruders Medard Mutombo.
Sendung: rbb24 Abendschau, 10.05.2023, 19:30 Uhr