Zuzahlungen für Rettungseinsätze - In Brandenburg die 112 zu wählen kann teuer werden

Fr 14.03.25 | 21:01 Uhr
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Symbolbild: Ein Notarzt Fahrzeug und ein Rettungswagen stehen an einer Einsatzstelle. (Quelle: dpa/Stratenschulte)
Bild: dpa/Stratenschulte

In mehreren Brandenburger Landkreisen drohen Patienten Zahlungsaufforderungen für Rettungseinsätze. In einem Landkreis sind die ersten Rechnungen bereits verschickt. Fragen und Antworten zum Streit zwischen Krankenkassen und Kommunen.

Warum müssen Patienten in Brandenburg für Rettungseinsätze zuzahlen?

Seit dem 1. Januar 2025 übernehmen die Krankenkassen nicht mehr die vollständigen Kosten für Rettungseinsätze. Grund dafür ist ein Streit über die Höhe der Einsatzkosten zwischen den Kommunen und den Krankenkassen, bei denen die entstandenen Kosten für die Einsätze eingereicht, abgerechnet und erstattet werden. Diese Kostenerstattung findet nicht mehr in voller Höhe statt.

Was ist das Kernproblem?

Wird der Notruf 112 angerufen und ein Rettungswagen geschickt, entstehen Kosten. Bei Verdacht auf einen Herzinfarkt etwa kommt zusätzlich ein Notarzt mit eigenem Fahrzeug dazu, wodurch die Kosten weiter steigen. Diese werden an die Krankenkassen weitergeleitet, damit sie für den Aufwand finanziell aufkommen. Wird der Betrag übernommen, war der Einsatz finanziell gedeckt, fertig.

Doch die Krankenkassen sind mit dem bisherigen Modell nicht glücklich. Sie werfen den Rettungsdienstträgern vor, zu hohe Kosten in Rechnung zu stellen. Diese erwidern, die Kalkulation würde stimmen. Weil man sich bisher nicht anders einigen konnte, zahlen die Krankenkassen seit Jahresbeginn in neun Brandenburger Landkreisen nur noch einen Festbetrag. Die Differenz zu den Kosten, die die Kommunen in Rechnung stellen, müssen deshalb nun die Patienten zahlen, die durch ein Rettungsteam medizinisch versorgt wurden. Die Aufforderung kommt mit der Post.

Welche Landkreise in Brandenburg sind betroffen?

Betroffen sind die Landkreise Barnim, Märkisch-Oderland, Oder-Spree, Oberspreewald-Lausitz, Spree-Neiße, Teltow-Fläming, Oberhavel, Uckermark und Potsdam-Mittelmark.

Wie hoch können die Zuzahlungen für Patienten ausfallen?

Die Höhe der Zuzahlungen variiert je nach Landkreis. In Märkisch-Oderland beispielsweise kann der Differenzbetrag für einen Krankenwageneinsatz bei 200 Euro liegen, weitere 251 Euro kommen hinzu, wenn ein Notarzt an dem Einsatz beteiligt war. Das sind mehr als 400 Euro, die Patienten in Rechnung gestellt werden könnten, selbst wenn jemand tatsächlich einen Herzinfarkt hatte und dringend in die Klinik musste.

Mit Blick auf die vielen Landkreise könnten Hunderte Briefe mit Rechnungsforderungen demnächst rausgehen. In Märkisch-Oderland seien die ersten Zahlungsaufforderungen bereits versendet worden, erklärte der Gemeinnützige Rettungsdienst Märkisch-Oderland auf Nachfrage von rbb|24. Möglicherweise kann im Einzelfall Widerspruch eingelegt und der Bescheid an die Krankenkasse weitergeleitet werden.

Was hat es mit den sogenannten Leerfahrten auf sich?

Von einer "Leerfahrt" ist die Rede, wenn ein Krankenwagen gerufen wird, vor Ort aber keine medizinische Versorgung erfolgt. Solche Fahrten sind für den Rettungsdienst ein zunehmendes Problem, nicht nur in Brandenburg. Doch in Bezug auf die aktuelle Neuregelung spielen sie keine wirkliche Rolle. Denn sogenannte Leerfahrten konnten auch schon vorher den Versicherten in Rechnung gestellt werden, wenn sie nicht von den Krankenkassen übernommen wurden. Die Kosten könnten am Ende nur höher sein, da sie vollumfänglich statt anteilig erstattet werden müssten, sagt Daniel Werner, Geschäftsführer des Gemeinnützigen Rettungsdienstes Märkisch-Oderland.

Auf welche Argumenten stützen sich die Streitenden?

Die Krankenkassen berufen sich auf eine rechtlich geprüfte Musterkalkulation, die übrigens auch vom Brandenburger Gesundheitsministerium anerkannt ist. Die Kommunen würden sich laut den Kassen nicht an dieser Musterkalkulation orientieren.

Der Gemeinnützige Rettungsdienst Märkisch-Oderland hält die Musterkalkulation jedoch für fragwürdig. Sie sei von einer externen Consulting-Firma für das Land erstellt worden. Bis heute, und das ist die Kritik, habe sie in den Kommunen niemand händisch zu fassen bekommen, so Geschäftsführer Werner.

Schon lange würden er und seine Kollegen beim Gesundheitsministerium anklopfen und um die Herausgabe der Musterkalkulation zwecks Einsicht bitten. Das sei bis heute nicht geschehen, so Werner. Auf Nachfrage von rbb|24 gab ein Sprecher im Gesundheitsministerium jedoch an, dass die Musterkalkulation inzwischen allen Seiten vorliege. Bis Redaktionsschluss konnte dies nicht bestätigt werden.

Ist das Vorgehen der Rettungsdienste juristisch untermauert?

Ja, das sagen zumindest die Kommunen, aber auch im Gesundheitsministerium scheint es zumindest keine große Widerrede zu geben. Der Patient sei der "Gebührenschuldner" im Rettungsdienst und somit auch Adressat, das gehe aus der Rettungsdienstgebührensatzung hervor, sagt Werner. Kurz: Sofern Krankenkassen für Rettungseinsätze nicht aufkommen, dürften Patienten in so einem Fall zur Kasse gebeten werden.

Das Gesundheitsministerium reagierte am Freitag auf Nachfrage von rbb|24: Man hoffe, dass die betroffenen Kreise keine Gebührenbescheide an Bürgerinnen und Bürger verschickten, hieß es. Das Ministerium wies aber auf das Brandenburgische Rettungsdienstgesetz hin, in dem wörtlich stehe: "Zur Finanzierung des Rettungsdienstes sind dessen Träger berechtigt, Benutzungsgebühren zu erheben."

Spitzt sich der Streit weiter zu?

Das Brandenburger Gesundheitsministerium hofft auf eine schnelle Einigung. Ministerin Britta Müller (parteilos, für das BSW) forderte die Landkreise Anfang der Woche auf, "ihrer politischen Verantwortung für die Menschen gerecht zu werden" und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Einen "Blankoscheck werden sie von den Kassen nicht bekommen", so Müller.

Derweil wird in den Kommunen an einem neuen, geeinten Kalkulationsmodell gearbeitet, kündigte Werner an. Dieses könne dann als Alternative vorgelegt werden.

Kommentar

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44 Kommentare

  1. 44.

    Ich frage mich, wieso die anderen LK im Land offenbar mit dieser Musterkalkulation gut auskommen. Mir scheint es so zu sein, dass hier die Patienten instrumentalisiert werden sollen, um weiter überhöhte Gebühren durchzusetzen. Ein durchschaubares und fragwürdiges Spiel auf Kosten aller Beitragszahler.

  2. 43.

    Wenn Menschen das Problem nicht erkennen wollen und die Menschen in Not dafür verantwortlich machen, erschrecke ich jedes Mal. Entweder man will allen Menschen gleichwertig begegnen und gleichermaßen in der Not helfen oder eben nicht.
    Es gruselt mich, wenn man das Problem so verändert, dass letztendlich der Mensch in Not zum Sündenbock eines strukturellen Problems gemacht wird. Ich kann nur jedem raten sein Recht und seine Notfallversorgung einzufordern, denn egal was andere sagen, es ist eure Gesundheit und euer Leben, beansprucht euer Recht. Ihr solltet euch das wert sein.

  3. 41.

    Aha, weil begrenzte Möglichkeiten vorliegen, ist der Patient Simulant? Manche Rettungsassistenten schlafen die Nächte durch, sollte Ihnen bekannt sein.

    Es scheint, als sehen Sie den Klienten als Feind, der Schuld daran trägt, dass angeblich die Kapazitäten nicht ausreichen, wo haben Sie das gelernt?

  4. 40.

    Oder man lässt sich privat in die Notaufnahme fahren und wartet dort Stunde für Stunde bis man irgendwann mal ran kommt.

  5. 39.

    Kommen Sie nicht mit der Schuldzuweisung, dass der eine simuliert, während der andere stirbt. Das ist das billigste Argument Unwissender, denn jeder Mensch ist in seiner Not gleichberechtigt zu behandeln und Sie behaupten gerade, dass der eine Klient schuld daran trägt, weil der andere stirbt. Wer Rettungssanitäter gelernt hat, verstanden hat, der redet nicht so über Menschen. Das Problem sind nicht die Menschen, nicht die Kranken, das Problem sind Leute, die fehlende Kapazitäten dafür nutzen, dem Klienten die Schuld dafür zu geben. Ich möchte nie Menschen ausgeliefert sein, die so reden wie Sie. Das Problem des Systems Lasten Sie dem Klienten an, beschämend.

  6. 38.

    Danke für die Richtigstellung. Dennoch wirft das Bezahlen von Rettungsfahrten gegebenenfalls ein Dilemma für Ersthelfer/innen auf. Man macht sich jetzt nicht nur Gedanken um die sich in akuter Gefahr befindliche Person, sondern beurteilt die Situation nun auch noch unter finanziellen Aspekten und überlegt vielleicht, ob man dem/derjenigen finanziellen Schaden zufügt und dies berechtigt ist. Eine Erwägung, die bei erster Hilfe keine Rolle spielen sollte.

  7. 37.

    In diesem Land darf man nicht ALT und KRANK werden. Es ist für mich nicht nachvollziehbar daß dieser Streit auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird, da stellt sich mir auch die Frage was mit den gezahlten Krankenkassen Beiträge passiert oder für was diese Alle verwendet werden.

  8. 36.

    "Die Krankenkassen " Genau das ist das Problem. Eine Krankenkasse für alle, spart Kosten . Funktioniert in Polen.

  9. 35.

    Das könnten "lustige" Streitverfahren geben. Der Person, welcher der Notruf galt sagt dann sie hätte nicht darum gebeten und von daher keine Zahlungsbereitschaft. Pauschal Rechnungen für Noteinsätze dem Betroffenen ausstellen geht gar nicht. Wenn in echter Not einen Notruf abgesetzt wird, da bewegungsunfähig oder Lebensgefahr und dieser dann in Rechnung gestellt wird, ist das ein Totalversagen. Selbstredend das Missbrauch durch bewusste Falschangaben angegangen werden müssen.

  10. 34.

    Es gibt noch ein weiteres Problem. Mein Mund war plötzlich schief und ich konnte nicht mehr sprechen. Wie soll ich dann Hilfe "rufen ". Also habe ich in mein Smartphone geschrieben "ich kann nicht mehr sprechen
    Habe wohl einen Schlaganfall "
    Habe meine Gesundheitsunterlagen eingepackt und bin zur einzigen am Nachmittag erreichbaren Arztpraxis 1 km marschiert
    Erfolgreich ! Der Arzt kapiert sofort und "rief" 112. Sollte mir das nochmal passieren, müsste ich wieder erst einmal einen normal sprechenden Menschen finden. Warum kann ich nicht um Hilfe "schreiben "? Da könnte ich ja Fragen beantworten. Ich brauche keinen Hausruf, nur die Möglichkeit, Helfende anzuschreiben.

  11. 33.

    Da hier in den Kommentaren schon mehrfach die falsche Ansicht geäußert wurde, dass derjenige, der als Ersthelfer den Notruf wählt, hinterher eine Rechnung erhält, DAS IST NICHT RICHTIG!!!

    Es erhält möglicherweise der Leistungsempfänger eine Rechnung, also der Patient, die Patientin. Nicht ein Passant, der zufällig an einem Notfall vorbeikommt und die 112 wählt.

    Es bleibt weiterhin dabei, dass jedermann zu Erste-Hilfe-Maßnahmen verpflichtet ist, und sei es nur den Notruf 112 zu wählen. Es gibt weiterhin keinerlei nachteilige Konsequenzen für Ersthelfer, wenn man dies tut.

  12. 32.

    Würden Sie im Rettungsdienst tätig sein, wüssten Sie, dass die zur Verfügung stehenden Einsatzmittel begrenzt sind. Selbstverständlich nehmen wir auch den eingerissenen Zähnagel ernst; uns ist in diesem Moment aber auch klar, dass wir dann nicht für eine Reanimation zwei Straßenecken weiter einsatzbereit sind. Kein angenehmes Gefühl.

  13. 31.

    Es ist traurig aber wahr, wir werden in Europa langsam aber sicher US Amerikanische Verhältnisse bekommen. Der Prozess ist schleichend aber nicht aufzuhalten. Es wird eine reiche Schicht geben und alle anderen. Drüben gibt es fast keine Mittelschicht mehr, Millionäre und Milliardäre and the rest, that‘s it. This makes me very traurig wo doch Deutschland einst für Wohlstand stand. Heute kann ich als Alleinverdiener überhaupt nicht mehr von meinem Lohn meine Familie finanzieren. Ich hab zwei Kinder und damit statistisch Armutsgefährdet, meine Frau auch. Ohne Kindergeld, Wohngeld , Kinderzuschuss, etc. würden wir uns jeden Monat entscheiden müssen, ob wir diesen Monat lieber essen oder wohnen möchten. Peace out.

  14. 30.

    Ich bin Notfallsanitäter im Rettungsdienst in einem der betroffenen Landkreise. Wir haben relativ wenig sinnlose Einsätze, meistens sind die Menschen ernsthaft erkrankt oder haben sich stärker verletzt. Fälle von missbräuchlichen Notrufen gibt es bei uns so gut wie nicht.

    Wenn es sich so entwickelt wie beschrieben und die Patienten und Patientinnen hinterher regelhaft eine hohe Rechnung erhalten werden, von der sie oft nicht wissen wie sie sie zahlen sollen oder es ungewiss ist, ob sie von den Krankenkassen erstattet wird, muss ich für mich Konsequenzen ziehen.

    Dafür habe ich keine zwei Staatsexamen gemacht, die Fähigkeiten erlangt, Menschen in Not zu helfen, Therapien zu beginnen, Schmerzen zu lindern und vieles mehr. Für mich wäre das ein Grund für eine Kündigung, da ich kein Teil von einem solchen System sein möchte.

  15. 29.

    Woher zur Hölle soll man das als Passant oder Ersthelfer wissen ob und was vorliegt oder lebensgefährlich ist !? Wenn muss das die Notrufzentrale einschätzen, sofern nicht bewusst gelogen wird sollte deren Einschätzung auch korrekt sein. Und dann muss natürlich nicht der Patient oder Ersthelfer zahlen! Brandeburg war eigentlich lange eines meiner liebsten Ausflugsziele, habe sogar mal ne Zeit da gewohnt. Jetzt nicht mehr. Ich fahre doch nicht auf nen Kurztrip dorthin um mich zu entspannen und dann womöglich wegen eines angeblich falsch eingeschätzten Notfalls und sei es als - dazu verpflichteter!- Ersthelfer, 400 Euro oder mehr zu bezahlen. Nee danke. Leute, es reicht wirklich.

  16. 28.

    Frage an Fachkundige: Rufe ich die 112, werden die 5Ws abgefragt. Danach müsste doch schon aussortiert werden, oder sehe ich das falsch? Wird dann der Einsatz begonnen und vor Ort stellt sich eine andere, weniger ernsthafte, nicht RTW erforderliche, Situation dar, dann wurde der Einsatz doch erschlichen. Ist das nicht der Moment zur Feststellung der 100igen Kostenübernahme des Anrufers?

  17. 27.

    Wenn die Rettungskräfte dann auch mal performen würden wäre das ja gut. Aber die schaffen es ja nicht mal fristgerecht das Ziel zu erreichen geschweige denn so sinnvoll zu planen, dass nicht gleich ein ganzer Fuhrpark anrücken muss. Das sind doch hausgemachte Probleme der Rettungsfirmen und da wundern mich die Preise nicht, wenn man nicht wirtschaftlich arbeiten (kann). Anscheinend liegen die Preise der anderen Bundesländer ja im Rahmen.

  18. 26.

    Ich empfehle in der privaten Unfallversicherung auf den Bestandteil "Bergungs-und Rettungskosten" zu achten. Dann sind wenigstens bei Unfall diese zusätzlichen Kosten gedeckt. Dabei bitte auch die zugrunde liegenden Unfalldefinition auf moderne Bedingen prüfen.

  19. 25.

    Da wird man als Passant dreimal nachdenken, den RTW zu rufen, wenn da einer röchelnd rumliegt.