Zuzahlungen für Rettungseinsätze - In Brandenburg die 112 zu wählen kann teuer werden

In mehreren Brandenburger Landkreisen drohen Patienten Zahlungsaufforderungen für Rettungseinsätze. In einem Landkreis sind die ersten Rechnungen bereits verschickt. Fragen und Antworten zum Streit zwischen Krankenkassen und Kommunen.
Warum müssen Patienten in Brandenburg für Rettungseinsätze zuzahlen?
Seit dem 1. Januar 2025 übernehmen die Krankenkassen nicht mehr die vollständigen Kosten für Rettungseinsätze. Grund dafür ist ein Streit über die Höhe der Einsatzkosten zwischen den Kommunen und den Krankenkassen, bei denen die entstandenen Kosten für die Einsätze eingereicht, abgerechnet und erstattet werden. Diese Kostenerstattung findet nicht mehr in voller Höhe statt.
Was ist das Kernproblem?
Wird der Notruf 112 angerufen und ein Rettungswagen geschickt, entstehen Kosten. Bei Verdacht auf einen Herzinfarkt etwa kommt zusätzlich ein Notarzt mit eigenem Fahrzeug dazu, wodurch die Kosten weiter steigen. Diese werden an die Krankenkassen weitergeleitet, damit sie für den Aufwand finanziell aufkommen. Wird der Betrag übernommen, war der Einsatz finanziell gedeckt, fertig.
Doch die Krankenkassen sind mit dem bisherigen Modell nicht glücklich. Sie werfen den Rettungsdienstträgern vor, zu hohe Kosten in Rechnung zu stellen. Diese erwidern, die Kalkulation würde stimmen. Weil man sich bisher nicht anders einigen konnte, zahlen die Krankenkassen seit Jahresbeginn in neun Brandenburger Landkreisen nur noch einen Festbetrag. Die Differenz zu den Kosten, die die Kommunen in Rechnung stellen, müssen deshalb nun die Patienten zahlen, die durch ein Rettungsteam medizinisch versorgt wurden. Die Aufforderung kommt mit der Post.
Welche Landkreise in Brandenburg sind betroffen?
Betroffen sind die Landkreise Barnim, Märkisch-Oderland, Oder-Spree, Oberspreewald-Lausitz, Spree-Neiße, Teltow-Fläming, Oberhavel, Uckermark und Potsdam-Mittelmark.
Wie hoch können die Zuzahlungen für Patienten ausfallen?
Die Höhe der Zuzahlungen variiert je nach Landkreis. In Märkisch-Oderland beispielsweise kann der Differenzbetrag für einen Krankenwageneinsatz bei 200 Euro liegen, weitere 251 Euro kommen hinzu, wenn ein Notarzt an dem Einsatz beteiligt war. Das sind mehr als 400 Euro, die Patienten in Rechnung gestellt werden könnten, selbst wenn jemand tatsächlich einen Herzinfarkt hatte und dringend in die Klinik musste.
Mit Blick auf die vielen Landkreise könnten Hunderte Briefe mit Rechnungsforderungen demnächst rausgehen. In Märkisch-Oderland seien die ersten Zahlungsaufforderungen bereits versendet worden, erklärte der Gemeinnützige Rettungsdienst Märkisch-Oderland auf Nachfrage von rbb|24. Möglicherweise kann im Einzelfall Widerspruch eingelegt und der Bescheid an die Krankenkasse weitergeleitet werden.
Was hat es mit den sogenannten Leerfahrten auf sich?
Von einer "Leerfahrt" ist die Rede, wenn ein Krankenwagen gerufen wird, vor Ort aber keine medizinische Versorgung erfolgt. Solche Fahrten sind für den Rettungsdienst ein zunehmendes Problem, nicht nur in Brandenburg. Doch in Bezug auf die aktuelle Neuregelung spielen sie keine wirkliche Rolle. Denn sogenannte Leerfahrten konnten auch schon vorher den Versicherten in Rechnung gestellt werden, wenn sie nicht von den Krankenkassen übernommen wurden. Die Kosten könnten am Ende nur höher sein, da sie vollumfänglich statt anteilig erstattet werden müssten, sagt Daniel Werner, Geschäftsführer des Gemeinnützigen Rettungsdienstes Märkisch-Oderland.
Auf welche Argumenten stützen sich die Streitenden?
Die Krankenkassen berufen sich auf eine rechtlich geprüfte Musterkalkulation, die übrigens auch vom Brandenburger Gesundheitsministerium anerkannt ist. Die Kommunen würden sich laut den Kassen nicht an dieser Musterkalkulation orientieren.
Der Gemeinnützige Rettungsdienst Märkisch-Oderland hält die Musterkalkulation jedoch für fragwürdig. Sie sei von einer externen Consulting-Firma für das Land erstellt worden. Bis heute, und das ist die Kritik, habe sie in den Kommunen niemand händisch zu fassen bekommen, so Geschäftsführer Werner.
Schon lange würden er und seine Kollegen beim Gesundheitsministerium anklopfen und um die Herausgabe der Musterkalkulation zwecks Einsicht bitten. Das sei bis heute nicht geschehen, so Werner. Auf Nachfrage von rbb|24 gab ein Sprecher im Gesundheitsministerium jedoch an, dass die Musterkalkulation inzwischen allen Seiten vorliege. Bis Redaktionsschluss konnte dies nicht bestätigt werden.
Ist das Vorgehen der Rettungsdienste juristisch untermauert?
Ja, das sagen zumindest die Kommunen, aber auch im Gesundheitsministerium scheint es zumindest keine große Widerrede zu geben. Der Patient sei der "Gebührenschuldner" im Rettungsdienst und somit auch Adressat, das gehe aus der Rettungsdienstgebührensatzung hervor, sagt Werner. Kurz: Sofern Krankenkassen für Rettungseinsätze nicht aufkommen, dürften Patienten in so einem Fall zur Kasse gebeten werden.
Das Gesundheitsministerium reagierte am Freitag auf Nachfrage von rbb|24: Man hoffe, dass die betroffenen Kreise keine Gebührenbescheide an Bürgerinnen und Bürger verschickten, hieß es. Das Ministerium wies aber auf das Brandenburgische Rettungsdienstgesetz hin, in dem wörtlich stehe: "Zur Finanzierung des Rettungsdienstes sind dessen Träger berechtigt, Benutzungsgebühren zu erheben."
Spitzt sich der Streit weiter zu?
Das Brandenburger Gesundheitsministerium hofft auf eine schnelle Einigung. Ministerin Britta Müller (parteilos, für das BSW) forderte die Landkreise Anfang der Woche auf, "ihrer politischen Verantwortung für die Menschen gerecht zu werden" und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Einen "Blankoscheck werden sie von den Kassen nicht bekommen", so Müller.
Derweil wird in den Kommunen an einem neuen, geeinten Kalkulationsmodell gearbeitet, kündigte Werner an. Dieses könne dann als Alternative vorgelegt werden.