Kritik am Vorgehen des Geheimdienstes - Streit um bislang unbekanntes Amri-Video des BND
Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri hat seinen Anschlag offenbar wenige Wochen vorher per Video angekündigt. Nach Informationen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung (SZ)" hat ein ausländischer Geheimdienst dem BND das Material übermittelt.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist offenbar in Besitz eines bislang unbekannten Drohvideos des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri. Recherchen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung (SZ)" zufolge soll die rund elf Sekunden lange Aufnahme im November 2016 entstanden sein, also nur wenige Wochen vor dem Terroranschlag auf den Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 mit zwölf Toten.
In dem Video, das wohl mit einem Mobiltelefon aufgenommen wurde, droht Amri demnach mit Attentaten. "Oh Allah! Diese Schweine, kommen wir zu ihnen, um sie zu enthaupten!", soll der Terrorist im Video auf Arabisch sagen. Er halte dabei eine Pistole in der Hand, bei der es sich nach Einschätzung des BND um jene Waffe handeln soll, mit der Amri später den polnischen Lkw-Fahrer Lukasz U. erschoss, bevor er dessen Sattelschlepper entführte.
Hintergründe bislang unklar
Den Recherchen zufolge soll das Drohvideo dem BND von einem ausländischen Geheimdienst übermittelt worden sein. Um welchen Dienst es sich handelt und wann dieser an die Aufnahme gelangte, dazu wollte sich der BND nicht äußern. "Wir möchten darauf hinweisen, dass sich er Bundesnachrichtendienst zu operativen Aspekten seiner Arbeit und etwaigen Erkenntnissen grundsätzlich nur gegenüber der Bundesregierung und den zuständigen geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages äußert", sagte eine Sprecherin der Behörde auf Anfrage von WDR, NDR und SZ.
Unterschiedliche Angaben: Wer kannte das Video?
Nach Recherchen von WDR, NDR und SZ ist das Video des späteren Attentäters vom November 2016 nicht Teil der BKA-Ermittlungsakte. Demnach habe der BND die Strafverfolger im März 2017 über die Existenz der Aufnahme in Kenntnis gesetzt. Eine Verwendung für weitere Ermittlungen sei jedoch auf Wunsch des ausländischen Geheimdienstes untersagt worden.
Informationen der dpa aus Sicherheitskreisen widersprechen allerdings dieser Darstellung: Das von Amri vor der Tat aufgenommene Video liege nicht nur dem Bundesnachrichtendienst, sondern auch dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz vor.
Auf den beiden Mobiltelefonen von Amri, die nach der Tat ausgewertet wurden, stellten die Ermittler mehr als 12.000 Dateien sicher. Das besagte Video soll sich allerdings nicht darunter befinden.
Kritik aus dem Untersuchungsausschuss
Das Bekanntwerden eines neuen Videos des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri hat im Untersuchungsausschuss des Bundestages zu der Tat erheblichen Unmut hervorgerufen. Obleute von FDP und Grünen kritisierten am Donnerstag das scheibchenweise Publikwerden von Informationen zu dem Fall.
"Nicht die volle Wahrheit zu sagen, bleibt auch eine Form der Unwahrheit", sagte der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser der dpa. Die Aufklärungsarbeit werde so bewusst erschwert und verzögert. Die FDP wüsste etwa gerne: Ist das ein Selfie-Video oder hat es ein Komplize aufgenommen? Und hat sich der BND bei dem ausländischen Nachrichtendienst, von dem er das Video bekommen haben soll, überhaupt um eine Freigabe für die Ermittlungsakten bemüht?
Auch die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic ärgert sich über die Taktik, mit der Informationen zu dem Fall stückweise bekannt werden. Das Video stelle die offizielle Chronologie der Bundesregierung zu dem Anschlag und den anschließenden Ermittlungen infrage, sagte sie der dpa. "Wir warten bis heute auf den Zugang zu Daten von Amris Handy." Unter einem so unvollständigen Wissensstand leide zwangsläufig auch die Qualität der Fragen an die Zeugen, die der Ausschuss vernehme.
Tatortvideo warf Frage nach Unterstützern vor Ort auf
Erst im Sommer hatte ein bislang ebenfalls unbekanntes Tatortvideo vom Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz für Aufsehen gesorgt. rbb|24 berichtete darüber exklusiv. Das 34 Sekunden lange Video wurde unmittelbar nach dem Anschlag von einem gegenüberliegenden Haus aus aufgenommen und zeigt wie sich etwa ein halbes Dutzend Personen Sekunden nach dem Attentat aus unterschiedlichen Richtungen auf den zum Stillstand gekommenen Lkw zubewegt. Der Clip warf erneut die Frage auf, ob Amri vielleicht doch Unterstützer vor Ort hatte, die ihm auf seiner Flucht vom Breitscheidplatz geholfen haben. Die Ermittler waren bislang von einem Einzeltäter ausgegangen.
Sendung: Antenne Brandenburg, 02.10.2019, 19 Uhr