Wer darf wählen? - Wie vier Länder Wahlen aus dem Ausland regeln

Di 23.05.23 | 17:05 Uhr | Von Efthymis Angeloudis
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Archivbild: Eine türkische Staatsbürgerin hält ihren Pass in der Hand, während sie vor dem türkischen Konsulat Schlange steht, um zu wählen. (Quelle: dpa/C. Ena)
Bild: dpa/C. Ena

In Deutschland lebende Türkinnen und Türken stimmen bei der Stichwahl über die Zukunft der Türkei ab. Doch auch andere Staaten ermöglichen die Wahl für ihre Auslandsbürger - mit kuriosen aber auch folgeschweren Resultaten. Von Efthymis Angeloudis

Nach dem knappen Wahlergebnis bei den türkischen Präsidentschaftswahlen stellen sich Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan und sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu am 28. Mai einer Stichwahl. Ginge es nach den in Deutschland lebenden Türken, gäbe es keinen Wahlkrimi in der Türkei. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu entfielen nach Auszählung von 98 Prozent der Stimmen aus Deutschland knapp 65 Prozent auf Erdogan. Oppositionsführer Kilicdaroglu kam dagegen nur auf knapp 33 Prozent.

In Berlin kam Erdogan nach Daten der türkischen Zeitung Yeni Safak [yenisafak.com], die der Regierungspartei AKP nahesteht, auf 49,2 Prozent, Kilicdaroglu auf 48,8 Prozent.

Fast alle EU-Staaten erlauben Wahlbeteiligung aus dem Ausland

Die hohe Zustimmung für Erdogan unter Deutschtürken weckt Verwunderung [taz.de]. Schon nach den Wahlen 2018 kritisierte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir das Wahlverhalten der Türken in Deutschland "Ablehnung unserer liberalen Demokratie" [zeit.de].

Das anderswo als "gescheiterte Integration" [spiegel.de] gewertete Wahl-Resultat drängt auch den Sinn oder Unsinn der Beteiligung der Diaspora eines Landes an den Wahlen im Herkunftsland an die Oberfläche.

Die Türkei ist nicht das einzige Land, das seinen Emigranten erlaubt, sich an Wahlen durch Stimmabgabe im Ausland zu beteiligen. Fast alle EU-Staaten haben solche Regelungen. Die Methoden und Bedingungen der Beteiligung sind verschieden: In Deutschland gibt es zum Beispiel die Briefwahl. Andere Staaten, so auch die Türkei, erlauben nur die Stimmabgabe in Botschaften, Konsulaten oder eigens eingerichteten Wahllokalen im Ausland. In Italien und der Schweiz wählt die Diaspora sogar eigene Volksvertreter, die die Auslandsitaliener oder -Schweizer vertreten sollen.

Türkei: 2014 erstmals Wahl in Konsulaten

Im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es laut türkischem Recht keine Briefwahl. Im Jahr 2008 gab es zwar eine entsprechende Änderung im Wahlgesetz, aber das türkische Verfassungsgericht annullierte diese Regelung wieder.

2012 richtete die türkische AKP-Regierung zum ersten Mal Auslandswahllokale ein. Mit der Einführung eines transnationalen Wahlrechts hoffte Erdogan im Ausland eine Mehrheit der Stimmen für die AKP zu bekommen [taz.de]. Bei der Präsidentschaftswahl 2014 konnten türkische Staats­bür­ge­r somit erstmals in türkischen Konsulaten im Ausland wählen.

Diese Regelung erlaubte es, den in Deutschland lebenden Türken mit einer Rekordbeteiligung an den Wahlen teilzunehmen. 732.000 der 1,5 Millionen in der Bundesrepublik registrierten Wähler gaben nach Angaben der türkischen Botschaft in Berlin ihre Stimme in der ersten Runde der Türkei-Wahl ab. Die Wahlbeteiligung lag damals bei 48,8 Prozent.

Das sind drei Prozentpunkte mehr als bei den Präsidenten- und Parlamentswahlen 2018, als sie bei 45,7 Prozent lag. Ausgezählt werden die Stimmzettel in der Türkei und die Ergebnisse zusammen mit denen in der Türkei bekanntgegeben.

Deutschland: Wählen nur per Briefwahl

Wollen Deutsche im Ausland, die nicht in Deutschland gemeldet sind, an Bundestagswahlen teilnehmen, müssen sie vor jeder Wahl einen schriftlichen Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis der zuständigen Gemeinde stellen. Wählen können sie dann nur per Briefwahl. Wer ins Wählerverzeichnis eingetragen ist, erhält automatisch per Post den Wahlschein und die Briefwahlunterlagen.

Wählen dürfen Auslandsdeutsche unterdessen nur, wenn sie nach der Vollendung ihres 14. Lebensjahres mindestens drei Monate ununterbrochen in der Bundesrepublik gelebt haben. Oder aber wenn sie aus anderen Gründen persönlich und unmittelbar von den politischen Verhältnissen in Deutschland betroffen sind. Das kann etwa bei Personen der Fall sein, die nahe der Grenze im Ausland wohnen, aber in Deutschland arbeiten.

Etwa drei bis vier Millionen Deutsche leben im Ausland. Genaue Zahlen gibt es dazu nicht. Wer aus Deutschland wegzieht, wird nicht registriert. Sicher ist: Nur ein Bruchteil von ihnen nimmt überhaupt an der Bundestagswahl teil. 2013 haben etwa 67.000 Auslandsdeutsche einen Antrag auf Eintragung ins Wählerverzeichnis gestellt, 2017 knapp 113.000.

Schweiz: Auch Auslandsschweizer dürfen zur Wahl antreten

Seit 1992 können Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer per Briefwahl an Abstimmungen und Wahlen in der Heimat teilnehmen ohne deswegen in ihre ursprüngliche Heimat reisen zu müssen. Hierfür müssen sie sich in den zuständigen Auslandsvertretungen anmelden, um sich in das Auslandschweizerregister eintragen zu lassen.

Über 700.000 Auslandsschweizer, auch als "Fünfte Schweiz" bezeichnet, leben im Ausland, der grösste Teil in Ländern der Europäischen Union. Wer den Schweizer Pass besitzt und im Ausland lebt, darf per Briefwahl in der Schweiz abstimmen und wählen – und sogar für einen Sitz im Parlament kandidieren.

2015, also exakt 167 Jahre nach der Gründung des Bundesstaates, wurde der erste Auslandschweizer, der Ex-Diplomat Tim Guldimann mit Wohnsitz in Berlin, ins Schweizer Parlament gewählt.

2018 trat Guldimann allerdings zurück. Der Rücktritt des 67-Jährigen zeigte laut der Auslandschweizer-Organisation (ASO) auch, wie schwierig es sei, als Auslandschweizer die Rolle eines Parlamentariers auszuüben. "Man muss viermal im Jahr an den Parlamentssessionen teilnehmen und in den Kommissionen mitarbeiten. Diese Aufgaben wahrzunehmen ist, auch wenn man im Nachbarland Deutschland lebt, fast unmöglich", sagte ASO-Direktorin Ariane Rustichelli gegenüber [swissinfo.ch.]

Italien: Wahlbetrug mit Auslandsstimmen

Seit 2006 dürfen im Ausland lebende Italienerinnen und Italiener ein neues Parlament per Brief wählen. Bis zu diesem Punkt mussten sie zurück ins Land reisen um wählen zu können. Seit 2001 dürfen Aus­land­sita­lie­ne­r aber auch zwölf eigene Mitglieder in die Abgeordnetenkammer und sechs eigene Se­na­to­ren wählen. Mit dem Verfassungsreferendum 2020 zur Verkleinerung des Parlaments sind es nur noch acht Abgeordnete und vier Senatoren. Die fast sechs Millionen Auslandsitaliener machen immerhin etwa 10 Prozent der italienischen Bevölkerung aus.

Doch Auslandsstimmen befeuerten auch die Ängste vor einem Wahlbetrug, wie der Fall von Nicola di Girolamo zeigt [taz.de]. Nach seiner Wahl zum Senator im Jahr 2008 vermutete man Wahlbetrug, begangen von der kalabrischen Mafiaorganisation Ndrangheta. Sie soll Blankowahlzettel von migrierten Ita­lie­ne­rn aufgekauft und zugunsten di Girolamos ausgefüllt haben.

Deutsche Hauptschauplätze des Wahlbetrugs waren Frankfurt und Stuttgart, wo allein 1.700 Stimmen gefälscht worden sein sollen. In einem abgehörten Telefonat bedankte sich Di Girolamo bei einem Ndrangheta-Mann für die Aktion und kündigte an, "als Neugewählter" nach Deutschland zu kommen. Das Mitglied der Berlusconi-Partei trat nach der Enthüllung zurück und wurde kurz darauf verhaftet.

Sendung: rbb24 Inforadio, 23.05.2023, 18 Uhr

Beitrag von Efthymis Angeloudis

3 Kommentare

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  1. 3.

    Alle die hier schlaue Vorschläge machen sind vermutlich einverstanden, daß sich andere Länder in das bundesrepublikanische Wahlrecht einmischen.

  2. 2.

    Das Auslandswahlrecht für dauerhaft im Ausland Lebende ist immer mit Argwohn zu betrachten. Sie bestimmen zwar den Politikbetrieb mit, müssen aber selbst nicht mit den daraus erwachsenden Auswirkungen leben. Ebenso stehen sie in aller Regel nicht unter dem Eindruck der aktuellen Politik des Heimatlandes, weshalb zum Beispiel der Leidensdruck, etwas zu ändern, deutlich geringer ist. Das spielt potentiell den aktuellen Machthabern in die Hände, soweit diese von den einheimischen Medien unterstützt werden. Letztlich muss das aber jedes Land für sich regeln, welche Gewichtung es an das Recht zur Wahlbeteiligung anlegt. Da gilt es sehr genau abzuwägen, denn beide Rechte sind durchaus berechtigt.

  3. 1.

    Zum Wahlrecht für Auslandsdeutsche fehlt, dass sie nicht länger als 25 Jahre im Ausland leben dürfen, um wahlberechtigt zu sein.

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