Bundestag beschließt Pflegegesetz - Zu wenig, zu spät, zu bürokratisch

Fr 26.05.23 | 18:07 Uhr | Von Katrin Neumann
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Symbolbild: Haeusliche Pflege - Eine Pflegerin reicht einem pflegebedürftigen Mann das Essen. (Quelle: dpa/U. Grabowsky)
Audio: rbb24 Inforadio | 26.05.2023 | Uwe Jahn | Bild: dpa/U. Grabowsky

In keinem anderen Bundesland befinden sich so viele Menschen in häuslicher Pflege wie in Brandenburg. Für die pflegenden Angehörigen sollte die am Freitag beschlossene Pflegereform Erleichterung bringen - doch das tut sie nicht, sagen Kritiker. Von Katrin Neumann

Seit zwei Jahren pflegt Erika Sander ihren Mann Dieter. Der 84-Jährige hat Demenz. Zuerst habe er nur Wege vergessen und fand nicht mehr nach Hause, erzählt Frau Sander. Aber dann habe ihr Mann auch mal den Herd angelassen und konnte sich nicht daran erinnern. Seitdem sorgt Frau Sander dafür, dass ihr Mann betreut wird. Meistens übernimmt sie das selbst. Körperpflege, Beschäftigung gegen Langeweile und Einhalten von Terminen ihres Mannes, jeden Dienstag Physio- und jeden Donnerstag Ergotherapie.

Viel Zeit für sich selbst hat sie nicht. "Irgendwie habe ich gemerkt, dass man ja auch nur ein gewisses Level hat, um den Tag durchzustehen. Und als es schwieriger wurde, brauchte ich Hilfe. Ich habe auch Pflegegrad drei für meinen Mann bekommen, aber um alles andere musste ich mich selbst kümmern", fasst die 81-Jährige ihre Erfahrungen seit der Diagnose zusammen. Frustrierend seien die "vielen Anträge und Schreiben. Das müsste unkomplizierter sein, sonst verliert man den Mut", so empfindet es Erika Sander, nachdem sie unzählige Formulare für Pflegedienste, Hilfsmittel und Tagesbetreuung ausgefüllt hat.

Für weniger Bürokratie sorgen die am Freitag im Bundestag beschlossenen Maßnahmen des Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes allerdings nicht. Die sogenannte Pflegereform bringt etwas mehr Geld für Pflegebedürftige und mehr Spielraum bei Auszeiten bzw. Vertretungen für pflegende Angehörige. Finanziert wird das Pflegepaket durch höhere Beiträge zur Pflegeversicherung.

Das ändert sich in der Pflege

Ab Juli erhöht sich der allgemeine Beitrag zur Pflegeversicherung um 0,35 Prozentpunkte. Eltern mit einem Kind zahlen dann 3,4 Prozent. Jedes weitere Kind verringert diesen Beitrag jeweils um 0,25 Prozentpunkte. Eltern mit fünf Kindern zahlen also 2,4 Prozent Pflegebeitrag. Mehr Kinder reduzieren den Beitrag nicht. Menschen ohne Kinder zahlen 4 Prozent Pflegeversicherungsbeitrag.

Davon soll ab 2024 die Leistung für ambulante Pflege erhöht werden. Pflegebedürftige, die zu Hause betreut werden, erhalten dann fünf Prozent mehr sogenanntes Pflegegeld, das sie in der Regel an diejenigen abgeben, die sich um sie kümmern. 2025 wird diese Leistung noch einmal um 4,5 Prozent erhöht.

Außerdem wird die Verhinderungs- und Kurzzeitpflege zu einem jährlich verfügbaren Entlastungsbudget zusammengelegt. Eltern, deren Kinder Pflegegrad 4 oder 5 haben, können ab Januar 2024 über 3.386 Euro verfügen, um ihr Kind ambulant oder stationär pflegen zu lassen, wenn sie beispielsweise in den Urlaub fahren oder selbst krank sind. Bislang gibt es einen festen Betrag für Kurzzeit- und einen festen Betrag für Verhinderungspflege. Ab Mitte 2025 gilt das Entlastungsbudget für alle Anspruchsberechtigten und wird dann auf 3.539 Euro erhöht.

Berufstätige Angehörige, die einen Familienangehörigen pflegen, können ab 2024 jedes Jahr zusätzlich zehn Tage bezahlt frei nehmen. Bisher war das nur einmalig pro Pflegefall möglich. Menschen, die in einem Pflegeheim leben, bekommen ab nächstem Jahr einen höheren Zuschuss zu ihrem Eigenanteil. Der richtet sich danach, wie lange der Bewohner schon im Heim wohnt.

Sozialpolitiker und Sozialverbände kritisieren Reformgesetz scharf

Die Neuerungen greifen vielen zu kurz. Es hagelt bundesweit Kritik aus Verbänden und den Ländern, auch aus Brandenburg. Während das Entlastungsbudget grundsätzlich begrüßt wird, sei die "Reform ansonsten enttäuschend und der Größe des Problems nicht angemessen", sagt Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Bü90/Grüne). Die Anhebung des Pflegegeldes gleiche nicht einmal die Inflation aus. "Das heißt, die Menschen werden sich weniger Pflegeleistung für dieses Geld kaufen können, das ist sehr enttäuschend. Insgesamt ist das ein Herumdoktern und das reicht nicht aus", so die ernüchternde Einschätzung Nonnemachers.

Auch der Wohlfahrtsverband Der Paritätische Brandenburg sieht das Pflegesystem insgesamt in Schieflage, wobei auch die aktuelle Reform nicht helfe. "Die Pflegeversicherung ist unterfinanziert. Es gibt Immer weniger Beitragszahler und auf der anderen Seite immer mehr Pflegebedürftige. Wir brauchen mehr Geld vom Bund aus Steuergeldern, um die Pflegeversicherung in die Lage zu versetzen, auch in Zukunft die jetzige Qualität von Pflege aufrecht zu erhalten." Geschehe das nicht, so Andreas Kaczynski, werde die Pflege leiden. "Wir kommen mit der jetzigen Reform nicht weit. Wir haben eine gewissen Stabilisierung für die nächsten eins, zwei, drei Jahre vielleicht. Aber das ist natürlich nichts, was auf Dauer tragfähig ist. Das ist also kein nachhaltiges Konzept."

In Würde alt werden

Erika und Dieter Sander wünschen sich noch viele gemeinsame Jahre zu Hause miteinander. Das möchte Frau Sander ihrem Mann ermöglichen, solange sie selbst die Betreuung leisten kann. Gedanken macht sich die Rentnerin, wie Pflege in Zukunft funktionieren kann.

"Vielleicht sollte der Staat mal überlegen, ob das die richtige Form ist: einen Antrag zu stellen, damit ich einen Zuschuss kriege, damit ich eine Leistung bekommen kann. Es ist nicht würdig für einen älteren Menschen, der so viele Jahre gearbeitet hat, dann als Bittsteller dazustehen. Ich gehe nicht nur von mir aus. Ich gehe von den vielen aus, denen es weniger gut geht", sagt Erika Sander besorgt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.05.2023, 9:40 Uhr

Beitrag von Katrin Neumann

30 Kommentare

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  1. 30.

    Das Entladtungspaket Reich für die pflegenden Angehörigen bei weitem nicht aus.
    Es ist überall Geld für diverse Aktivitäten vorhanden nur nicht für die Pflege.
    Herr Lauterbach sollte einmal einen Monat davon leben und arbeiten.


    Echt beschämend

  2. 29.

    Machen Sie gerne Verbesserungsvorschläge zum Leistungsprinzip statt unnütz zu philosophieren. Ich mache mal einen Vorschlag der die Fleißigen belohnt:
    Rentenalter ganz abschaffen. Wer 43 - 45 Jahre eingezahlt hat geht abschlagsfrei in Rente.

  3. 28.

    das prinzip teile und hersche geht nach 2000 jahrern immer besser . die jungen gegen die alten . die arbeitenden gegen die rentner . arber am ende verlieren immer alle . nur die superreichen werdern immer reichrer . wer dieses fast schon naturgezetz immer noch nicht erkennt tut mir leid . aber wie einstein sagte nur die dummheit der mennschen und das universum sind unenlich .

  4. 27.

    Und wieder geht es nur um Senior*innen. Warum werden eigentlich immer Familien mit pflegebedürftigen Kindern vergessen? Da ist doch die Situation viel dramatischer. In würde altern? Nein, in Würde überhaupt erst mal LEBEN.

  5. 26.

    Sicher, doch die Betriebsrente ist ja nicht Flächendeckend verfügbar und sollte deshalb auch direkt benannt werden. Der überwiegende Teil der Rentner muss mit dem Ertrag der Gesetzlichen Rentenversicherung zurecht kommen.

    Nichtsdestotrotz haben sich auch die Betriebsrentner ihren Lebensabend verdient und was sie mit ihren Werten machen sollte natürlich auch ihre Sache sein.

    Die Gewinnorientierung des Gesundheits,- Pflegesystems als Teil der Grundbedürfnisse der Menschen ist der Grund weshalb die Pflege immer teurer wird.

    Danke

  6. 25.

    Sie wissen offensichtlich nicht, daß auch Betriebsrenten Renten sind.
    Meinen Sie, daß all die reisenden Menschen jenseits des durchschnittlichen Erwerbsalters PensionärInnen sind?
    Mitnichten. Ich erlebe sie tagtäglich.
    Das soll ja nicht heißen, daß es auch Armut unter den Rentnern gibt. Ich kenne die Statistiken.

  7. 24.

    Die Pflegefinanzierung ist keine, wenn man alle gleich behandelt. Man ist nicht gleich... in den Anstrengungen und der Chancennutzung. „Alle in Vierbettzimmer“ ist keine Lösung, weil es dann eines Tages „6 Bettzimmer werden“...
    Ein Leistungssystem ähnlich der Rentenpunkte ist auch eine Möglichkeit. Aber 80% der Älteren werden nicht gepflegt und versorgen sich selbst. In Österreich gibt es die Pflegeversicherung nicht. Gleichmacherei ist nicht überall begehrt.

  8. 23.

    Fakt ist jedenfalls, dass sich ein durchschnittlicher Rentner trotz Pflegezuschuss niemals ein würdiges Pflegeheim leisten kann, denn unter 4000 Euro monatlich sind Pflegeheime nicht zu bekommen. Und nach oben gibt es keine Grenzen: Einzelzimmer, Vollverpflegung, ärztliche Betreunung, Nachtdienst….alles, alles kostet extra!

  9. 22.

    Wenn ich die neue Regelung richtig verstanden habe, zahlt jeder, der keine Kinder auf der Steuerkarte hat, den erhöhten Beitrag. Also egal, wie viele Kinder man in die Welt gesetzt hat, sind diese eigenständig, wird man finanziell benachteiligt. Die Aufwendungen für Abitur, Studium Ausbildung der Kinder, um dem System Beitragszahler zuzuführen, wird am Ende bestraft. Danke für nichts.

  10. 21.

    Dieser Ansatz mag richtig „aussehen“. Als Elternteil eines pflegebedürftigen Kindes muss ich Ihnen aber sagen ( war aber schon als Kinderloser meine Meinung), dass kinderlose Arbeitnehmer Eltern in Zeiten von Beschäftigungsverbot, Elternzeit/Elterngeld, Erkrankung der Kinder, Kindergeld usw. auch finanziell sehr tragen - sie nehmen diese Leistungen ja nicht in Anspruch-, sie in der Kollegenschaft kinderbedingt immer wieder vertreten - ohne für die entsprechende Leistung in der Gesellschaft anerkannt zu werden. Mir fehlt bei der Betrachtung auch, dass Kinder nicht unbedingt ein Garant für das Bestehen der Rentenversicherung sind. So einige arbeiten aufgrund von Elternschaft nicht voll (das gilt durch die Behinderung unseres Kindes für uns z. Bsp. auch), zahlen so weniger ein, nehmen aber die oben beschriebenen - berechtigten! - Leistungen ein. Da leisten kinderlose Arbeitnehmer viel. Ob das durch Kinder später ausgeglichen wird oder diese selbst mal Beiträge leisten, bleibt offen.

  11. 20.

    Darf ich Sie fragen, ob seinerzeit Ihrem Kinderwunsch, insbesondere jedoch seiner "Erfüllung", auch das Leitmotiv zugrunde lag, damit einer gesellschaftlichen Verantwortung als künftigem Beitragszahler zur Sicherung der Renten gerecht zu werden? Oder war es eine rein private Entscheidung? Es ist insofern wohlfeil + selbstgefällig, mit der Attitüde eines "ich habe meinen Beitrag geleistet" kontra Kinderlosen zu argumentieren. Noch dazu, wenn es sich an eine Frau richtet, die aus gesundheitlichen Gründen keine Kinder hat (und sich "doppelt bestraft" fühlt).
    Das Problem liegt, wie im Übrigen auch bei der gesetzlichen KV, in der Beitragsfinanzierung. Man hält an einem wg. der Alterpyramide bei gleichzeitig immer weniger sozialversicherungspflichtigen Jobs nicht mehr tragfähigen System fest + verkauft jedes daran herumdoktern als Reform. Für die Umstellung auf Steuerfinanzierung bräuchte es politisch größer dimensionierter Entscheidungen. Dann wird man aber vom Wähler abgewatscht. Thats it

  12. 19.

    Kennen Sie das Leistungsprinzip? Dafür gibt es Rentenpunkte. Eine gerechtere Verbesserung ist Ihr Vorschlag nicht. Sie wollen die Fleißigen Einzahler bestrafen und verschlimmernd selber weniger einzahlen. Was wollen Sie dann entnehmen im Alter? Rentenpunkte sind wederAlmosen noch keine Verteilmasse nach Kassenlage und Gutdünken. Es steckt eine Leistung dahinter. Diese anzugreifen ist Diebstahl.

  13. 18.

    Sie verwechseln Renten mit Pensionen. Der durchschnittliche Rentner kann sich vielleicht mal ne Kaffeefahrt leisten wenn er zuvor genug Flaschen sammelte. Die Rentenerhöhung gab es auch nur damit diese über die Erhöhung der Pflegeversicherung wieder genommen werden kann. Denn wenn die Kinder aus dem Haus sind zählt man wieder als Kinderlos.

    Danke

  14. 17.

    Wir haben den Großvater, dann die Mutter, die Großmutter, die kleinen Geschwister und nach langer Pause schließlich den Vater betreut und gepflegt. "Neben" Schule, Beruf und Studium. Das wollen nicht mehr alle Menschen auf sich nehmen. Auf der anderen Seite denke ich, es ist nicht richtig, ständig die Rentenbezüge zu erhöhen - außer die geringsten - und gleichzeitig zu verlangen, daß die Jüngeren dafür arbeiten.
    Das System ist nicht mehr solidarisch. Es ist Jahrzehnte lang zu viel Geld in die Rentenkasse aus Steuergeldern geflossen, vielleicht manchmal notwendig, aber nie transparent.
    Für viele Menschen aus durchschnittlichen Berufen gibt es einen sehr hohen Lebensstandard (siehe Reiselust), das Haus wird den Kindern vererbt, statt daß sie es für ihre eigene Versorgung und Pflege nutzen.

  15. 16.

    Was steht denn da für ein Quatsch?! Die jetztige Qualität aufrecht zu erhalten?! Qualität wird bestimmt nicht abgeliefert. Es wird soviel unqualifiziertes Personal eingestellt, dass es schon gruselig ist. Die Alten müssen zusehen das sie in dem Strudel und mit der Unterbesetzung irgendwie ihren Alltag im Pflegeheim hinbekommen und wehe man benötigt mal etwas mehr Hilfe bei den ATL‘s, könnte schwierig werden. Unser Gesundheitssystem wie es bisher praktiziert wurde, ist gescheitert.

  16. 15.

    Wir brauchen keine Steuererhöhungen - sondern Steuersenkungen.
    Man muss nur deutliche Haushalts-Einsparungen vornehmen.
    Da könnte man an vielen Stellen den Rotstift ansetzen.
    Es macht keinen Sinn erst hohe Lohnanteile einzubehalten und danach Projekte und Zuschüsse zu verteilen, wofür bürokratische Antragsfluten erfolgen müssen.

  17. 14.

    Paula, wenn wir einmal als und (hoffentlich nicht) pflegebedürftig, dann sind es unsere Kinder, die in die Pflegeversicherung einzahlen. Wer Kinder hat, hat mit dafür gesorgt, dass auch nach uns noch Beitragszahler da sein werden. Insofern finde ich es richtig, dass Kinderlose einen höheren Beitragssatz zahlen.

  18. 13.

    Wir pflegen mehr Mutter. Es ist nicht nur Geld sondern die Bürokratie und Begrenzungen für Umbauten, Hilfe bei kurzfristiger Betreuung etc. Auch Hausbesuche für Krankengymnastik gibt es nicht weil es sich nicht lohnt.

  19. 12.

    Die Steuereinnahmen sind ausreichend, es ist wie zu Hause auch, man kann nicht alles haben. Die Prioritäten der Ausgaben wurden in den letzten Jahren leider falsch gesetzt, deshalb erhalten die Altparteien zu den Wahlen auch immer öfter eine Klatsche.

    Danke

  20. 11.

    Das Steueraufkommen ist nicht ausreichend. Den hohen Steuereinnahmen stehen Rekordausgaben gegenüber. Übrigens zahlt man steuern immer ohne konkrete Gegenleistung

    Wenn man Sozialleistungen nur auf Beitragszahler begrenzen möchte, muß endlich die Familienversicherung abgeschafft werden. Denn dort beziehen Personen Leistungen ohne eingezahlt zu haben

    Letztlich müssen wir einsehen, dass eine gute Versorgung auch immer teurer wird.

    Der Steuerzahler und die Versicherten wollen ja keine Reformen

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