Pläne der Bildungssenatorin - Wie Berliner Lehrkräfte zum Aufstocken verlockt werden sollen
Die neue Berliner Bildungssenatorin rechnet im neuen Schuljahr mit 1.460 unbesetzten Lehrerstellen. Ihr Plan: Lehrkräfte aus anderen Beschäftigungen herauslösen oder aus der Teilzeit zurückholen. Erfolg: ungewiss.Von Kirsten Buchmann
Gleich nach einem halben Jahr im Beruf hat Sekundarschullehrer Hannes Bülow seine Unterrichtsstundenzahl reduziert. Statt regulär 26 erteilt er 22 Stunden pro Woche. Denn mit Vollzeit habe er sehr viele Vorbereitungen, aber zu wenig Zeit für die einzelnen Schülerinnen und Schüler sowie Elterngespräche gehabt: "Es war ständig das Gefühl, es häuft sich was an, und man sagt sich: 'Okay, das schaffe ich nicht mehr, ich muss irgendwann mal nach Hause'." Aber dieser Berg sei immer größer geworden, so dass er sich irgendwann schlecht und überfordert gefühlt habe.
De facto arbeite er, so Bülow, nun auch mit seiner reduzierten Stundenzahl fünf Tage in der Woche Vollzeit. Was könnte ihn angesichts des Lehrermangels motivieren, dennoch seine Stunden aufzustocken? Der 33-Jährige runzelt die Stirn. Er würde sich eine Entlastung von Verwaltungs- und Schreibaufgaben sowie bei den Pausenaufsichten wünschen. Aber dauerhaft 26 Stunden zu geben, sagt er, "das sehe ich einfach nicht".
Ein freier Tag in der Woche
Auch seine Kollegin Alice Baumgärtel gibt weniger Stunden, um Beruf und Familie vereinbaren zu können. Aus ihrer Sicht bräuchte es mehr Teilungsunterricht mit kleineren Lerngruppen, damit sie sich vorstellen könne, zusätzliche Stunden zu unterrichten, sagt sie. In solchen Teilungsgruppen könnte sie sich besser auf die einzelnen Schülerinnen und Schüler konzentrieren, erklärt Baumgärtel. Wichtig sei ihr zudem weiterhin ein freier Tag in der Woche: "Das heißt, an anderen Tagen vielleicht mehr zu arbeiten, aber einen Tag zu haben, wo ich meinen Unterricht komplett vorbereiten kann." Sonst wisse sie nicht, wann sie das machen solle.
Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) will Teilzeitkräfte motivieren, ihre Stunden freiwillig aufzustocken, indem sie sie etwa durch mehr externe IT-Betreuer und Verwaltungsleiter entlastet. Verwaltungsleiter könnten beispielsweise Verträge mit Vertretungslehrkräften ausfüllen, anstatt dass sich der Schulleiter oder dafür freigestellte Pädagogen darum kümmern. "Dann ist das schon Entlastung und der Kollege kann zurück in den Unterricht", ist die Senatorin überzeugt. Zudem will sie bisherigen Teilzeit-Lehrkräften anbieten, sie für zusätzliche Stunden etwa in der Sprachförderung einzusetzen, "und nicht in zusätzlichen Klassen mit zusätzlichen Arbeiten und Elterngesprächen".
Fast 40 Prozent mit reduzierter Stundenzahl
Zuletzt war der Anteil der teilzeitbeschäftigten Lehrkräfte in Berlin gewachsen. Hatten im Schuljahr 2021/22 noch 37 Prozent nicht Vollzeit unterrichtet, waren es im Schuljahr darauf 39,8 Prozent. Eine Stunde mehr Unterricht der bisherigen Teilzeitkräfte würde Berlin insgesamt rund 450 Vollzeitstellen zusätzlich bringen, lässt sich errechnen.
Mit welchen Kapazitäten sie durch mehr Unterricht bisheriger Teilzeitkräfte rechnet, beziffert Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch nicht. Sie nennt auch keine Zahl, wie viele Lehrkräfte, die momentan etwa noch in die Bildungsverwaltung abgeordnet sind, sie wieder an die Schulen zurückholen will: "Wir schauen jetzt kritisch: Was für einen Umfang haben die Abordnungen und welche Aufgaben erfüllen sie?“ Wenn es Möglichkeiten gebe, das zu reduzieren, sollten die Pädagogen wieder an die Schulen zurück.
Diskussion um weniger Unterricht für Klassen
Die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Franziska Brychcy, ist skeptisch, was der Vorstoß überhaupt bringt, Abordnungen von Lehrkräften in Jobs außerhalb der Schule wieder in die Schulen zu bringen. Sie argumentiert: "Die Abordnungen machen insgesamt nur 750 Stellen aus. Davon ist mehr als die Hälfte in der Ausbildung beschäftigt und nur ungefähr 150 in der Verwaltung.“ Auch da sei es manchmal gut, "wenn die Kolleginnen Praxiserfahrung mitbringen".
Aus Brychcys Sicht muss daher auch darüber diskutiert werden, dass die Klassen wegen des Lehrkräftemangels weniger Unterricht bekommen. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch wiederum will dafür sorgen, "dass die Stundentafel immer abgedeckt ist" und die Schulen die Sprachförderung, Inklusion und Integration aufrechterhalten können.
Inwieweit weniger Teilzeit und weniger Abordnungen die prognostizierte Lehrkräfte-Lücke von 1.460 Stellen zum kommenden Schuljahr verringern können, ist erst mal weiter offen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.06.2023, 06:01 Uhr