EU-Förderung - Wo Berlin von Europas Milliarden profitiert

Do 06.06.24 | 12:12 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Symbolbild: Berliner Hauptbahnhof erstrahlt in Blau zum Europatag. (dpa/ Jörg Carstensen)
Video: rbb24 Abendschau | 07.06.2024 | Sebastian Schöbel | Bild: dpa/ Jörg Carstensen

Mehr als 800 Millionen Euro stehen Berlin aus den großen EU-Förderprogrammen zur Verfügung. Ohne die EU-Fonds wären etliche Projekte gar nicht möglich. Doch nicht alle Bezirke rufen die Mittel gleich stark ab. Von Sebastian Schöbel

  • zahlreiche Berliner Projekte werden durch EU-Fördergelder unterstützt
  • Fördersumme und Zahl der geförderten Projekte seit Jahren rückläufig
  • große Unterschiede zwischen den Bezirken, was Fördersummen angeht
  • Kofinanzierung als Herausforderung für Sparvorhaben der Hauptstadt

Zwischen Kinderklamotten und Friseurgeschäft taucht sie plötzlich auf: die kleine Kunstgalerie, mitten im Rathaus-Center Pankow. Jan Gottschalk hat auf einem der beiden Sessel in der Mitte des Eckladens Platz genommen, die Sonnenbrille über der Schiebermütze auf dem Kopf. Um ihn herum stehen Skulpturen und hängen Gemälde. Gottschalk freut sich, überhaupt hier sein zu können, wie sie sagt. "Damit über drei, vier Wochen eine Ausstellung zu machen, ist eigentlich gar nicht möglich."

Denn Ateliers und Ausstellungsflächen seien in Pankow kaum noch zu bezahlen. "Die Gentrifizierung macht auch hier nicht halt, in Pankow gibt es solche Räume eigentlich nicht mehr." Jedenfalls nicht bezahlbar für lokale und weniger prominente Kunstschaffende.

Dass Gottschalk nun trotzdem mitten im Einkaufszentrum in bester Lage sitzen kann, ist dem Pankower Artspring Festival zu verdanken – und Geldern der Europäischen Union. 200.000 Euro hat die EU für die gut vierwöchige Kunstschau beigesteuert, aus dem Fonds für Regionalförderung. "Das sind 40 Prozent unserer Kosten, damit haben wir Planungssicherheit für die nächsten drei Jahre."

Brüssel zahlt anteilig

Ohne die Kofinanzierung aus Brüssel hätte der Senat wohl kaum die gesamten Kosten übernommen, zeigt sich Gottschalk sicher. "Das hätten sie sich nicht leisten können." So aber gibt es das Artspring, das neben der temporären Galerie im Rathaus-Center auch zahlreiche andere Ausstellungen und Aktionen bietet, schon zum achten Mal. "Die europäischen Fördermittel sind hier wirklich gut angelegt", sagt Gottschalk.

Das Pankower Kunstfestival ist nur eines von Hunderten, wenn nicht Tausenden Projekten, die in Berlin mit EU-Fördergeldern unterstützt werden: von Alphabetisierungskursen in der Volkshochschule bis zur Zukunftsinitiative Stadtteil für mehr soziale Infrastruktur. Die Zentral- und Landesbibliothek finanziert damit ihr "Digital-Zebra", ein Beratungsangebot für Menschen, die Hilfe mit der digitalisierten Welt brauchen – vom Onlineantrag beim Amt bis zum Smartphone, das Ärger macht.

Das Leibniz-Institut wiederum erforscht mit Hilfe der EU-Gelder, wie man die urbanen Betonwüsten in der Stadt begrünen kann, und hat dafür an Spundwänden im Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal ein "vertikales Feuchtgebiet" geschaffen. Und die Jugendberufsagenturen helfen jungen Menschen in Ausbildung und Jobs, auch dank europäischer Unterstützung.

EFRE und ESF

Die wichtigsten Brüsseler Geldtöpfe sind der Europäische Sozialfonds (ESF) und der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Allein aus diesen beiden Programmen steht Berlin von 2021 bis 2027 eine Summe von fast 830 Millionen Euro zur Verfügung.

Allerdings sinkt die Förderung seit Jahren stetig: Von 2000 bis 2006 waren es noch knapp 1,3 Milliarden Euro. Und die EU finanzierte damals noch bis zu 70 Prozent der eingereichten Projekte. Inzwischen ist der Anteil auf 40 Prozent gesunken. Der Grund: Der Stadt geht es heute besser als damals. "Die wirtschafts- und arbeitsmarkpolitische Situation Berlins hat sich seit dem Mauerfall– nicht zuletzt dank der nach Berlin geflossenen Strukturfondsmittel – signifikant verbessert", teilt die zuständige Wirtschaftsverwaltung jüngst im Abgeordnetenhaus mit.

Allerdings fällt auf, dass die Berliner Bezirke die EU-Förderung nicht im gleichen Maße nutzen. So flossen nach Angaben der EU-Kommission zum Beispiel nach Treptow-Köpenick in den vergangenen fünf Jahren gut sieben Millionen Euro aus EFRE und ESF – mehr als in Lichtenberg, Pankow, und Steglitz-Zehlendorf zusammengenommen. Schaut man sich nur den ESF an, fällt auf, dass Neukölln fast 3,6 Millionen Euro erhalten hat, ein Vielfaches mehr als fast alle anderen Bezirke.

Die meisten Anträge werden jenseits der Rathäuser gestellt

Das liege vor allem daran, dass die Förderung in Projekte fließt, "von denen wir gar nichts wissen", sagt Gunnar Betz, Europabeauftragter von Charlottenburg-Wilmersdorf. Denn die meisten Gelder würden direkt von freien Trägern oder Institutionen beantragt – von denen die meisten aus dem sozialen Bereich in Neukölln sitzen, während Treptow-Köpenick vor allem vom Forschungsstandort Adlershof profitiert.

"Das hängt aber auch nicht zuletzt an den personellen Kapazitäten in den Bezirken" räumt Betz ein. Denn die Antragstellung sei mit viel Aufwand verbunden, und nicht immer passen die europäischen Vorgaben für Förderung mit dem zusammen, was die Bezirke gerade priorisieren.

Auch wenn Brüssel Berlin auf absehbare Zeit weniger Geld zur Verfügung stellt: Komplett verzichten will niemand auf die EU-Millionen. "Das würden die Bürgerinnen und Bürger sofort spüren", meint Betz. Vor allem im Sozialbereich seien viele Projekte sonst nicht mehr möglich – vor allem für Menschen, die es ohnehin schwerer haben als andere. "Die würden dann noch weiter marginalisiert werden."

Gefährdet der Berliner Sparkurs die Kofinanzierung?

Dafür muss in Berlin aber die Kofinanzierung sicher sein - schwierig, wenn gleichzeitig im Berliner Haushalt massiv gespart werden muss, allein in diesem Jahr sind es gut eine halbe Milliarde Euro.

Trotzdem verspricht die Finanzverwaltung, auch in Zukunft weiter die Kofinanzierung sicherzustellen. "Dass dies einerseits aufgrund der veränderten finanziellen Rahmenbedingungen für das Land und andererseits durch die gestiegenen Landesanteile für die neue EU-Förderperiode eine größere Herausforderung ist, als in der zurückliegenden Periode, liegt auf der Hand", teilte eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Finanzen auf rbb-Nachfrage mit.

Jan Gottschalk von Artspring zeigt sich derweil schon sicher, "dass das wackeln könnte". Er hoffe aber, dass die Stadt aus der Erfahrung mit Corona gelernt habe, wie wichtig eine funktionierende Kulturlandschaft für Berlin sei. "Der Senat kann es sich gar nicht leisten, da Gelder zu streichen."

Sendung: rbb24 Abendschau, 07.06.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

31 Kommentare

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  1. 31.

    Na, zum sich Aufblasen! Mehr Schein als Sein, war schon immer so. Das zeigt sich jetzt wieder mit diesem Fußballmatch für Jugendliche und Ältere. Das dient der Ablenkung von der schwarzen Realität (man könnte auch ,,braun'' sagen!).

  2. 30.

    Wenn man jetzt noch die Zahlen vom Länderfinanzausgleich hinzuzieht, fragt man sich wirklich zu was Berlin eigentlich selbst in der Lage ist.

  3. 29.

    Die Jugend braucht ein offenes und starkes Europa für die Zukunft! Ich auch. Und wenn die dämlichen Rechten ,,siegen“ gibts bald keine Reisefreiheit mehr!

  4. 28.

    Sie tun ja gerade so, als wenn es nur zwei Positionen gibt: Die der AfD und „alles bleibt wie es ist“. Gerade das Gegenteil hat „Steffen“ argumentiert. Was ist mit den versprochenen Lehren aus dem Brexit, damit das nicht nochmal passiert?

  5. 27.

    "Europa besteht nun mal historisch und kulturell aus vielen einzelnen Staaten." Jaein. Historisch besteht Europa aus großen Vielvölkerstaaten, die vielen kleinen Staaten kamen erst nach dem WK I, durch das (nur teilweise umgesetzte) Selbstbestimmungsrecht von Völkern, in dessen Zuge viele Völker einen eigenen Staat bekamen, die vorher zusammen in Vielvölkerstaaaten lebten (nicht unbedingt nur in einem). Etwas verschärft formuliert, würde man den Grundsatz des Selbstbestimmungsrechtes der Völker Europas wieder rückgängig machen, wenn es einen gemeinsamen Staat EU gäbe, der dann auch wieder eine Vielvölkerstaat ist (nächstgelegenes Beispiel wäre die Russische Föderation als Vielvölkerstaat).

  6. 25.

    Sie kommen mit einem gänzlich anderen Thema an und finden das passend. Ist dann halt Ihre Einzelmeinung.

  7. 24.

    "Man kann die Vorteile eines gemeinsamen Marktes, offener Grenzen, Energieverbund, gemeinsame Währung und Arbeitsmarkt nicht haben ohne gemeinsame Regeln!" Ich habe nie etwas anderes behauptet. Nur ob es dafür tatsächlich einer EU-Institution zwingend braucht, ist halt fraglich. Es geht schließlich genau so gut über Freihandelsabkommen. Davon existieren ja weltweit eine ganze Reihe und es funktioniert auch. Eine gemeinsame Währung hat die EU auch nur in Teilen, viele Länder sind nicht Teil des EUR-Raums und genießen damit nicht nur Nachteile. Es geht mir auf den Keks, wenn die EU immer nur als das Non-plus-ultra dargestellt wird. Das ist sie nicht, da gibt es noch vieles zu verbessern und zwar lieber heute als morgen, damit die EU vollständig demokratisch und demokratisch legitimiert ist.

  8. 23.

    Man kann die Vorteile eines gemeinsamen Marktes, offener Grenzen, Energieverbund, gemeinsame Währung und Arbeitsmarkt nicht haben ohne gemeinsame Regeln! Europa besteht nun mal historisch und kulturell aus vielen einzelnen Staaten. Da es in der EU auch nationale Interessen gibt, ist die Macht des EU-Parlamentes natürlich beschränkt und das ist gut so.
    Als gelernter DDR-Bürger lege ich Wert auf eine unabhängige Justiz, vielfältige und unabhängige Medien und Kampf gegen Korruption.
    Eine Kleinstaaterei a la AfD würde dies alles zunichte machen. Nationalismus und Protektionismus würden wieder wachsen und die vielen Kleinstaaten allein würden zum Spielball der Großmächte.

  9. 19.

    "Sie vergleichen also Äpfel mit Birnen."

    Falls Sie es nicht bemerkt haben sollten: ich habe nichts verglichen, sondern lediglich auf eine Quelle verwiesen. Aber alleine das scheint Ihnen schon so gar nicht gefallen zu haben.

    "Es ist ganz sicher nicht zielführend, eine Diskussion über unpassende Links führen zu wollen."

    Sie finden den Link unpassend? Sehen Sie, da habe ich eine vollkommen andere Meinung zu als Sie. Ich finde ihn sehr passend.

  10. 18.

    Das Problem sehe ich noch nicht mal in der EU als politische Einheit. Das Problem ist, dass diese politische Einheit nicht demokratisch legitimiert und implementiert ist. Die EU ist mehr als nur ein loser Staatenbund, aber eben weniger als ein gemeinsames Land, wie zum Beispiel die USA. Daher ist die EU nichts Halbes und nichts Ganzes. Entweder zieht man das Ganze richtig durch und schafft eine echte EU-Regierung, die auch direkt gewählt wird und sämtliche Rechte bekommt, oder man gibt die Entscheidungen wieder den Nationalstaaten zurück. Momentan regiert Brüssel bis in die kleinsten Alltäglichkeiten hinein, indem es verpflichtende Vorgaben macht, die die Nationalstaaten in nationales Recht umsetzen müssen. Das wäre so, als wenn der Bund dem Land Berlin seine Gesetze diktieren würde und damit den Föderalismus abschafft.

  11. 17.

    Vielleicht hätten Sie sich mal lieber vorher genauer informiert. Selbst die AfD erkennt sehr wohl die Vorteile des gemeinsamen Wirtschaftsraums an, steht aber klar gegen die politische Einflussnahme durch die EU, welche in Teilen tatsächlich undemokratisch, weil vom Wähler nicht beeinflussbar ist. Die EU-Bürger haben keinerlei direkte Einflussmöglichkeit, da Sie die Kommission nicht wählen und das gewählte EU-Parlament weder volle Mitgestaltungsrechte, noch ein Initiativrecht hat. Es kann zwar Gesetzentwürfe in die Vermittlung schicken, aber im Zweifel nicht aufhalten. Daher fordert die AfD eine Rückkehr zum Wirtschaftsverbund der Länder und nur, wenn dies nicht umsetzbar ist, zu einem Ausstieg mit anschließenden Neuverhandlungen. Dagegen darf man natürlich gerne sein, aber es liegt etwas ab von Ihrer pauschalen Behauptung.

  12. 16.

    Und was wollen Sie mir jetzt damit sagen? Es ist ganz sicher nicht zielführend, eine Diskussion über unpassende Links führen zu wollen.
    GB hat kein Problem wegen fehlender Subventionen, die können die selber leisten. Die haben ein Problem des fehlenden leichten Marktzugangs inklusive Zoll- und Niederlassungsfreiheit. Sie vergleichen also Äpfel mit Birnen.

  13. 15.

    Man hätte das ganze beim Wirtschaftsverband lassen sollen, so wie es am Anfang mal war. ( Montanunion )
    Was sich daraus entwickelt hat finde ich pers. falsch.
    Aber so hat eben jeder seine eigene Meinung dazu.....und das ist auch gut so!

  14. 14.

    Klar könnten wir als größte Nettozahler der EU einen Abbau der Bürokratie fordern, z.B. die Bedingungen für die Agrarsubventionen in der Landwirtschaft komplett streichen. Dann können die Bauern ungehindert Glyphosat und Gülle auf ihren Feldern einsetzen ohne Rücksicht auf die Natur zu nehmen.

    Wollen wir das oder doch weiterhin Bürokratie?

  15. 13.

    Echt putzig - wie uns der Artikel über den Geldsegen aus Brüssel mit Blick auf Sonntag einstimmen soll während ein noch druckfrischer anderer Artikel verkündet dass Berlin eine halbe Milliarde einsparen muss.

  16. 12.

    Was dem Artikel fehlt, sind die Zukunftsaussichten. Die Lehren aus dem Brexit sollten Reformen sein. Da die ausgeblieben sind, nicht eingefordert werden, auch von den Medien nicht (so wie hier), werden die teuren Nachteile von EU Gegnern ausgenutzt werden.

    P.S.Wir lassen es uns einiges Kosten. Die Zuteilung unseres Geldes...(da muss sich unter den Zuteilern ungeheuer Wertvolles verstecken).