Interview | Fanclub-Betreuer Thomas Vorberger - "Das Spiel ist ja nur noch Beiwerk für irgendwelche Werbe-Maßnahmen"

Mo 08.01.24 | 07:32 Uhr
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Fanclub Deutsche Nationalmannschaft (imago images/Memmler)
Bild: imago images/Memmler

Vor der Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland steht nicht nur die deutsche Mannschaft in der Kritik. Auch die Uefa als Ausrichter wird getadelt. Immerhin der DFB ist auf dem richtigen Weg, sagt Fanclub-Betreuer Thomas Vorberger im Gespräch.

rbb|24: Thomas Vorberger, sind Sie schon in Besitz von Tickets für die Europameisterschaft 2024 in Deutschland?

Thomas Vorberger: Ich habe einen eingetragenen Fanclub für Fans mit Beeinträchtigungen. Wir haben ein Ticket-Kontigent zugeteilt bekommen und sind jetzt, zumindest für die Vorrunde, gut versorgt.

Herzlichen Glückwunsch! Beim offiziellen Losverfahren der Uefa sind zunächst mal viele Fußball-Fans leer ausgegangen.

Das liegt vermutlich vor allem an der hohen Nachfrage aus dem Ausland. Die deutschen Spiele hingegen stehen vermutlich gar nicht so sehr im Fokus.

Zur Person

Thomas Vorberger, 60, ist Vorstand im Handicap Fanclub Nationalmannschaft e.V. sowie Betreuer im Fanclub Nationalmannschaft des DFB. Darüber hinaus zählt er zum "Team Inklusion" beim Fußball-Bundesligisten Werder Bremen.

Unabhängig davon, ob die deutsche Elf spielt oder nicht, haben alle Paarungen eines gemeinsam: hohe Ticketpreise. Die günstigste Final-Karte zum Beispiel liegt bei 95 Euro.

Ich bin schon erschrocken, wie hoch das gehen kann. Wenn ich mir vorstelle, dass ich für das Endspiel in Berlin mindestens 1.000 Euro auf den Tisch legen muss, wenn ich einen guten Sitzplatz auf der Geraden haben möchte — also das sind schon Preise jenseits von Gut und Böse. Für einen normalen Fan ist das eigentlich gar nicht mehr bezahlbar.

Die Preise bestimmt die Uefa. Ebenso wie über die Verteilung der Tickets. So gibt es insgesamt 42.000 Tickets für Rollstuhlfahrer. Aber 500.000 für Sponsoren, VIPs und Funktionäre.

Das ist schon ein bisschen beschämend. Auch wenn in vielen Stadien aufgrund der baulichen Beschaffenheiten gar nicht mehr Plätze für Rollstuhlfahrer angeboten werden können. Aber es gibt auch Plätze mit leichtem Zugang. Für Sehbehinderte und Gehörlose zum Beispiel. Und auch das sind immer noch wenige Tickets im Vergleich zu den anderen Zahlen.

Auch Stehplätze wird es keine geben. Dabei beweist gerade der deutsche Fußball seit langer Zeit, damit hervorragend umgehen zu können.

Die Uefa verweist auf das Gleichheitsprinzip. Das Stadion in Dortmund zum Beispiel hat auf der einen Seite über 20.000, auf der anderen "nur" 6.000 Stehplätze. Das würde, so die Uefa, zu Benachteiligungen führen. Ich kann diese Argumentation nicht nachvollziehen, weil man die Größe der Stehplatz-Blöcke ja leicht paritätisch anpassen könnte. Aber ein Stehplatz bringt eben weniger ein als ein Sitzplatz, den ich stattdessen verkaufen kann.

Sie sind ein alter Hase und schon bei vielen Turnieren gewesen. Wo und wann lief es dann mal besser?

Bei den Männer-Turnieren muss ich weit zurückblicken. Da fällt mir gerade noch die WM in Frankreich ein (1998, Anm. d. Red.), bei der es noch einigermaßen fair zuging. Auch wenn man auf das Drumherum schaut. Auf die Hotelpreise zum Beispiel. Die sind ja exorbitant gestiegen. Die kann ja auch kein Mensch mehr bezahlen. Mir kann auch niemand erklären, wie ich jetzt ein Bett im gemischten Schlafsaal im Hostel für 168 Euro anbieten kann, wie ich das zuletzt für München gesehen habe.

Es gibt aber noch mehr Kritik. Vom gläsernen Fan ist die Rede, da beim Ticket-Verkauf jede Menge Daten hinterlegt werden müssen. Oder war das schon immer so?

Auch das ist extremer geworden. Solange es noch Papier-Tickets gab, musste man seine Daten, von der Adresse abgesehen, nicht angeben. Jetzt wird das alles online abgehandelt. Man muss eine App runterladen und für jedes Ticket seine Daten hinterlegen. Das geht schon zu weit. Es muss jetzt nicht unbedingt jeder meine Telefonnummer wissen oder mit welcher Kreditkarte ich bezahlt habe. Wenn da eine nachvollziehbarer Name und ein Geburtsdatum drauf stünde, würde das schon ausreichen anhand der Kontrollmöglichkeiten, die man ansonsten hat.

Doch nicht nur die Uefa als Veranstalter steht in der Kritik, auch die nationalen Sicherheitsbehörden. Zuletzt kam es zu ungewöhnlich scharfen Auseinandersetzungen zwischen Fans und Sicherheitskräften, etwa auf St. Pauli oder in Frankfurt. Manchen sehen das als Vorgeschmack auf die kommende Europameisterschaft.

Die Vereinsanhänger, die da zuletzt mit der Polizei aneinandergeraten sind, fahren ja nicht zu Länderspielen. Wer da einen Zusammenhang sieht, weiß eigentlich nicht Bescheid, wie das Fansein funktioniert. Ungeachtet dessen ist es ein Unding, dass Polizeieinheiten im vollbesetzten Stadion mit Pfefferspray vorgehen. Die hohe Zahl von verletzten, unbeteiligten Zuschauern und Kindern sprechen da für sich. Hier sind deutlich Grenzen überschritten worden, die auch mit einer "erhöhten" Einsatzlage nicht zu rechtfertigen sind.

Bei der Europameisterschaft erwarten Sie also keine Probleme?

Ich gehe von einem friedlichen Turnier aus. Wenn Gefahr droht, dann durch ungarische Fans, die in Deutschland auftreten. Das hatten wir vor zwei Jahren auch schon.

Jetzt haben wir noch gar nicht über den DFB gemeckert. Der wollte nach den zuletzt mehr als unglücklich verlaufenen Turnieren und Imagekampagne vieles anders machen.

Insbesondere die Abteilung Fan-Belange ist tatsächlich auf einem positiven Weg. Wir haben seit vergangenem Herbst wieder die Möglichkeit, sich als eingetragener Fanclub beim DFB registrieren zu lassen, ohne Mitglied im Fanclub Nationalmannschaft sein zu müssen. Das ist schonmal ein Fortschritt, dass es diese Zwangsregistrierung nicht mehr gibt, die auch viele abgeschreckt hat, zu Länderspielen zu gehen. Jetzt kann man sich mit Gruppen ab elf Personen als Fanclub eintragen und genauso gut für Auswärtsspiele Tickets kaufen, wie es früher nur über den Fanclub Nationalmannschaft ging.

Da fühle ich mich im Moment bei der Frauen-Nationalmannschaft besser aufgehoben.

Thomas Vorberger

Der sportliche Aufschwung allerdings lässt noch auf sich warten. Dementsprechend wenig Euphorie ist zu spüren im Vorfeld dieser Heim-EM.

Vor der Weltmeisterschaft 2006 hat man auch sämtliche Spiele verloren. Dann kam das erste Spiel, die Mannschaft wurde immer besser und die Stimmung auch. Dieses Sommermärchen-Gefühl kam erst nach und nach. Das wird dieses Jahr nicht viel anders sein. Es hängt von den ersten Spielen ab.

Wie viele Länderspiele haben Sie eigentlich schon auf dem Buckel?

Ich zähle schon seit Jahren nicht mehr. Aber ich besuche ungefähr 95 Prozent aller Begegnungen. Diese Europameisterschaft wird aber mein letztes, großes Männerturnier.

Was? Warum das denn?

Zum Einen wegen der inzwischen viel zu hohen Preise. Und dann wegen des Marketings drumherum. Das hat ja mit Fußball nichts mehr zu tun. Das Spiel ist ja nur noch Beiwerk für irgendwelche Werbe-Maßnahmen. Da fühle ich mich im Moment bei der Frauen-Nationalmannschaft besser aufgehoben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview wurde geführt von Ilja Behnisch.

Sendung: rbb24 Inforadio, 08.01.2024, 09:15 Uhr

12 Kommentare

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  1. 12.

    Man meckert über die Ticketpreise und geht trotzdem hin.

    Irgendwie kontraproduktiv.

  2. 11.

    Ich war 1978 zur WM in Argentinien.
    Im Flugzeug hatte ich 11 (!) Eintrittskarten für die Spiele der Deutschen Mannschaft und anderer Spiele incl. der Karte für das Eröffnungsspiel mit Deutschland und einer Endspielkarte dabei!
    Alle Karten wurden im Vorfeld über den DFB bestellt! Wenn ich mich recht erinnere, habe ich etwas über 700DM für die 11 Karten bezahlt!
    1990 in Rom habe ich für die Endspiekarte 700 US-Dollar (schwarz) bezahlt.


  3. 10.

    Was genau haben jetzt Ausgaben für Pyrotechnik mit dem immer mehr im Sumpf ansässigen Fußball zu tun?
    Nein, es gab Kommerz im Fußball nicht schon immer. Klar gab es eine Art Gehalt für Fußballer und sonstiges. Aber das heutige Ausmaß lässt den sportlichen Gedanken immer mehr in den Hintergrund verschwinden.
    Mit "fenomen" meinen Sie Phänomen?

  4. 9.

    Der beste Satz kommt ganz nebenher zum Schluss. Und betrifft nicht nur den Fußball: „Das Spiel ist ja nur noch Beiwerk für irgendwelche Werbe-Maßnahmen“.
    Die Einschaltquoten sagen aus, ob das richtig oder falsch ist.

  5. 8.

    Das scheint in Deutschland ein gesellschaftliches fenomen zu sein. Fussball ist und war von jeher auch kommerziell ausgerichtet. Mit den gesteigerten heutigen finanziellen Möglichkeiten zur Vermarktung und den medialen angeboten wird es eben noch gesteigert. Die Eintrittskarten zu den Spielen sind in Deutschland noch moderat gegenüber anderen Ländern. Solange noch genügend Geld für Pyrotechnik vorhanden ist scheint doch alles gut. PayTv Anbieter werden von den Fans genutzt also nicht meckern.

  6. 7.

    Also korrupt ist der Ligafußball schon lange (70iger habe ich miterlebt u. da hieß es auch ...), die Dimensionen sind nur anders - und wenn auch im ÖRF jede Minute (trotz angeblicher Beschränkungen, nur ohne rechtl. Folgen übertretbar) bis Sek. (nervige Millisek.einblendungen) genutzt wird, wird der Kommerz der Funktionäre und der Wirtschaft noch gefördert, und wenn sich diese an der Liga beteiligt und wenn Stadien nicht mehr nach den Sportlern sondern nach (obwohl ja Alk. böse) nach ner Bierfirma oder so benannt wird und trotzdem die Eintrittspreise (jetzt wieder bei Meisterschaften) sonstw sind und der Staat die Sicherheit in den Stadien bezahlt und wenn dann noch die Kommentatoren auch über Steinläuse reden weil nichts da unten passiert - dann gibts Leute die schauen und zahlen doch ;-) - u. die wissen das

  7. 6.

    Die Faszination ist schon lange nicht mehr vorrangig, sondern der Kommerz. Und nein, das war nicht immer so.
    Bei Spitzensport von Volksgesundheit zu reden, entbehrt nicht einer gewissen Komik.

  8. 5.

    Ja, ja, früher ... als Fußball noch mittwochs und samstags stattfand und die manchmal harte sportliche Auseinandersetzung zweier Mannschaften war, kannte ich als Mädchen alle Mannschaften, Spieler und Trainer der BL. Heute findet Fußball täglich statt, schon Kinder werden mit Geld an die großen Vereine gebunden, bekommen als Jugendliche mehr als Gutverdiener und bestimmen mit ihren Freundinnen die sozialen Medien. Dazu korrupte Funktionäre .... Das ist nicht mehr (mein) Sport. Schade!

  9. 4.

    $pitz€nsport ist vorraengig Kommerz, aber trotzdem faszinierend

    Ob etwa durch Partnerschaften mit Bierbrauer die volks-gesundheitlichen Effekt des Ganzes negativ sein wird?

  10. 3.

    $pitz€nsport ist vorraengig Kommerz, aber trotzdem faszinierend

    Ob etwa durch Partnerschaften mit Bierbrauer die volks-gesundheitlichen Effekt des Ganzes negativ sein wird?

  11. 2.

    Das ist doch nur Fußball. Dass da so ein abgehobenes Luxusding geworden ist, und auch immer noch so unterstützt wird, ist mir schleierhaft. Und hinterher wieder herum jammern, dass kein Geld mehr übrig ist. Ich glaube nämlich nicht, dass da nur Millionäre hingehen werden, um sich die Spiele anzuschauen.

  12. 1.

    Früher sind wir begeistert zu jedem wichtigen Spiel gerannt. Heute sind mir die (für mich bezahlbaren) Preise einfach zu extrem. Aber was das Allerwichtigste ist: Seit dem der Fußball so korrupt geworden ist und es nur noch um Gehälter, Ablöse, Schmiergelder geht, habe ich mich komplett und total vom Fußball abgewandt. Zwar sehr enttäuscht, aber wenn ich an die Summen, die da laufen, denke, dann eines: Endgültig.

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