Exklusive Bilder aus Brandenburger Stall - "Schreckliche Aufnahmen": So leben Biohühner
Wer Bioeier kauft, kauft oft mit gutem Gewissen. Doch geheim aufgenommene Bilder aus einem Biobetrieb in Brandenburg zeigen, dass das Tierwohl unter dem Biosiegel offenbar nicht wirklich im Vordergrund steht. Von Jonas Pospesch
- exklusive Bilder aus Bio-Hühnerfarm
- Tierschützerin nicht überrascht
- viele kranke Hühner zu sehen
- Bio-Siegel nicht mit Tierschutz gleichzusetzen
- Landestierschutz fordert EU-Anpassung des Bio-Siegels
Saftige grüne Wiesen, viel Platz im Stall, ausgiebige Möglichkeiten zum Scharren und Picken: Solche Bedingungen für Hühner stellen sich vermutlich viele Verbraucher vor, wenn sie Bioeier kaufen. Geheim aufgezeichnete Videos aus einem Bio-Legehennenbetrieb in Zempow bei Wittstock (Ostprignitz-Ruppin) dokumentieren allerdings andere Zustände. Die Tierschutzorganisation Animal Rights Watch hat dem rbb-Verbrauchermagazin Super.Markt das Material aus dem Juli 2023 zugespielt.
"Die Aufnahmen sind furchtbar schrecklich, aber überrascht haben sie mich nicht. Man sieht auf den Bildern die Folgen der typischen Bio-Haltungsbedingungen und die sind kahlgepickte Hühner […] und kranke Tiere", kommentiert Sandra Franz, Sprecherin von Animal Rights Watch, die Bilder.
Verdacht auf Parasitenbefall und Beinschäden
Super.Markt hat die Aufnahmen Expertinnen des staatlichen Thünen-Instituts für ökologischen Landbau vorgelegt. Nach ihrer Einschätzung zeigen die Bilder unter anderem Tiere mit einem Verdacht auf Parasitenbefall und Tiere mit mutmaßlichen Beinschäden. Diese müssten eigentlich von der Herde separiert werden, um sie vor Pick-Attacken ihrer Artgenossinnen zu schützen, sagen die Expertinnen.
Ob das hier passiert, ist zumindest fraglich. In dem vorliegenden Material ist nur ein entsprechend vergitterter Käfig zu sehen, darin befinden sich zwei Ebenen, beide sind leer. Auf eine Bitte um Stellungnahme zu dieser Einschätzung hat der Betrieb nicht reagiert.
Animal Rights Watch glaubt nicht, dass der Betrieb gegen die Bio-Vorgaben verstoßen hat. Die sehen laut Sandra Franz allerdings auch nicht vor, den Tieren ein gutes Leben zu ermöglichen. "Es geht bei Bio hauptsächlich darum, dem Verbraucher ein sauberes Produkt zu liefern, etwa ohne Antibiotikarückstände in den Eiern. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass ich etwas für den Tierschutz tue, wenn ich Bioeier kaufe. Darum geht es bei Bio nicht."
Was "Bio" eigentlich bedeutet
Tatsächlich sieht die EU-Richtlinie zum Biosiegel unter anderem vor, dass auf einem Quadratmeter Stallfläche maximal sechs Legehennen leben dürfen.
Das ist großzügiger als bei der konventionellen Freiland- und Bodenhaltung, dort kommen neun Hennen auf einen Quadratmeter. Wie bei der Freilandhaltung sind für jede Henne vier Quadratmeter Auslauf vorgeschrieben. Die Hennen müssen aber nur ein Drittel ihres Lebens Zugang zum Auslauf haben. Und ob der Auslauf wirklich so gestaltet ist, dass die Hennen ihn gern nutzen, steht auch auf einem anderen Blatt.
Zusätzlich gelten in der Biohaltung Regeln über die Herkunft des Futters oder die Medikamente, mit denen die Tiere behandelt werden dürfen. Nach Auffassung der Brandenburger Landestierschutzbeauftragten, Anne Zinke, heißt das aber noch lange nicht, "dass die Tiere ihren Bedürfnissen entsprechend gehalten werden". Ihre Berliner Amtskollegin Kathrin Herrmann geht noch einen Schritt weiter, nach ihrer Einschätzung handelt es sich bei dem Biosiegel vor dem Hintergrund von Aufnahmen wie aus Zempow um eine "absolute Konsumententäuschung".
Bio- und Massentierhaltung schließen sich nicht aus
Zwei wichtige Faktoren für das Wohlergehen der Tiere sind laut Tierschützern die Gruppengrößen in den Ställen und die verwendeten Legehennen-Züchtungen. In freier Wildbahn leben Hühner in Herden um die 30 Tiere. Biobetriebe dürfen bis zu 3.000 Legehennen in einem Stall halten (konventionell: 6.000). "Das bedeutet einfach Stress, weil die Tiere sich auch nicht aus dem Weg gehen können", erklärt Anne Zinke.
In einem Gebäude dürfen Biobetriebe mehrere Ställe unterbringen. Große Anlagen sind in Brandenburg die Regel: 25 Bio-Legehennenbetriebe sind im Land registriert, davon halten laut amtlicher Geflügelstatistik 21 Betriebe 10.000 Tiere oder mehr. Bio und Massentierhaltung schließen sich also nicht aus.
Durchschnittlich 288 Eier pro Henne und Jahr
Im Bio-Bereich werden außerdem überwiegend dieselben speziell gezüchteten Hühnerrassen eingesetzt wie in der konventionellen Landwirtschaft. Die Züchtung ist auf maximale Effizienz ausgerichtet, die Hühner sollen also möglichst viele Eier legen. Auf 288 Stück kam eine Brandenburger Biohenne im vergangenen Jahr im Durchschnitt. Einzelne Züchtungen legen sogar mehr als 300 Eier im Jahr.
"Die Körper der Hühner sind darauf überhaupt nicht ausgelegt. Allein, dass diese Rassen am Leben sind, führt zu Leiden, Schmerzen und Krankheiten bei den Tieren", kritisiert Sandra Franz von Animal Rights Watch. Häufige Folge seien Entzündungen des Legedarms und Brustbeinbrüche, da den Tieren durch die intensive Eierproduktion Calcium aus den Knochen entzogen werde.
Die meisten Hennen halten die hohe Legeleistung maximal anderthalb Jahre durch. Weil die Tiere danach weniger Eier legen, werden sie zu diesem Zeitpunkt häufig geschlachtet.
Politik am Zug
Es gibt Ideen in der Politik, das Tierwohl in der Landwirtschaft zu verbessern. Bislang setzen die jedoch eher auf positive Anreize statt auf strengere Standards. So fördert das Landwirtschaftsministerium in Potsdam Projekte für die Hühnerhaltung in mobilen Ställen und erlaubt diese Ställe inzwischen auch ohne Baugenehmigung. Dabei leben die Tiere in einer Art Bauwagen, der immer wieder auf großen Grünflächen verschoben wird, sodass die Hennen stets eine frische Wiese vorfinden. Außerdem sollen neue Bio-Legehennenställe in Brandenburg nur noch gefördert werden, wenn in einem Gebäude maximal 3.000 Tiere leben.
Landestierschutzbeauftragte nimmt EU-Richtlinien in den Blick
Die Brandenburger Tierschutzbeauftragte Anne Zinke wünscht sich, dass der Bund neue Standards für die Haltung von Nutztieren festlegt, wie sie sagt. "Bisher haben die Kriterien nichts mit Tierschutz oder artgerechter Tierhaltung zu tun." Auch die EU-Biorichtlinie müsse verändert werden, etwa um den Hühnern mehr Platz zu garantieren. Idealerweise würde die Hühnerhaltung in kleinen Gruppen auf großen grünen Flächen erfolgen.
Die Berliner Tierschutzbeauftragte Kathrin Herrmann zeigt sich von bisherigen politischen Initiativen zur Nutztierhaltung enttäuscht und fordert einen Kurswechsel. "Die Politik ist meines Erachtens im Moment auf dem falschen Weg. Wir müssen nicht von einem Umbau der Tierhaltung zu etwas humaneren Bedingungen sprechen, sondern von einem drastischen Abbau." Dafür könne sie sich auch höhere Steuern auf tierische Produkte wie Eier vorstellen.
Egal welchem der beiden Vorschläge man folgt, die Konsequenz wären vermutlich weniger und teurere Eier für die Verbraucher – aber auch glücklichere Hühner.
Sendung: rbb24 Super.Markt, 18.09.2023, 18 Uhr