Steigende Zahlen - Wenn Jugendliche medikamentensüchtig werden

Mi 14.02.24 | 06:13 Uhr | Von Yasser Speck
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Symbolbild: Jugendliche verteilen unter sich die Pillen. (Quelle: IMAGO/xBialasiewiczx)
Audio: rbb24 Inforadio | 14.02.2024 | Helena Daehler | Bild: IMAGO/xBialasiewiczx

Immer mehr junge Menschen konsumieren Medikamente wie Opioide und Benzodiazepine: aus Lust am Ausprobieren oder als Mittel gegen Stress und Angst. Zu den Risiken gehört nicht nur die schnelle Abhängigkeit. Von Yasser Speck

Als Hannes 19 Jahre alt ist, bietet ihm ein Freund auf einer Party eine Pille an: Benzodiazepin. Dieses Beruhigungsmittel wird aber immer wieder als Droge missbraucht, denn es wirkt entspannend und dämpfend. Hannes ist nicht sein richtiger Name. Er möchte unerkannt bleiben. Aber er möchte über die Zeit sprechen, als er Medikamente missbraucht hat.

Auf dieser Party schluckt der damals 19-Jährige zum ersten Mal Benzodiazepin. "Man will das auch mal ausprobieren und wissen, wie das wirkt. Und dann fühlt sich das ganz gut an", erinnert sich der Berliner. Doch schon nach der ersten Pille will er mehr. Er wird süchtig und nimmt anschließend immer häufiger Benzos, so nennt man die Tabletten. Bald kommen noch andere Medikamente dazu.

Brechreiz und Gedächtnisverlust

"Ich habe an einem Tag zwischen einer und zehn Benzodiazepin-Tabletten genommen. Man vergisst schnell, wie viele man hatte. Dann habe ich die noch mit Alkohol und Opioiden gemischt", erzählt Hannes. Er baut schnell eine Toleranz auf, nimmt immer größere Mengen an Opioiden und Benzos. "Und dann kommt das Kotzen. Während des Highs und am Tag danach musste ich mich viel übergeben."

Die Benzodiazepine hätten seine Motorik beeinflusst. "Dann kannst du irgendwann nicht mehr sprechen oder fällst hin", erklärt er. An dem Medikamentenmissbrauch leidet sein Gedächtnis. Er vergisst ganze Tage und Wochenenden.

Gefährlicher Mischkonsum

Opioide sind sehr starke Schmerzmittel. Benzodiazepine sind angstlösende Medikamente. Beide Pillen entspannen und machen das Leben weniger bedrohlich. Doch Suchtberater bewerten deren Mischkonsum als lebensgefährlich.

"Diese Mischungen sind wie Russisch-Roulette", sagt Arthur Coffin. Er leitet die LogIn-Suchtberatung in Charlottenburg-Wilmersdorf. Dier gleichzeitige Einnahme von Medikamenten wie Benzodiazepinen, Opioiden, Alkohol und weiteren Drogen könne zum Atemstillstand führen. Außerdem könnten diese Mittel sehr schnell süchtig machen. Er nimmt wahr, dass immer mehr Menschen auch wegen ihres Tablettenkonsums in die Beratung kommen. "Dieses Medikamentenproblem und dieser Wunsch nach Dämpfung ist etwas, was wir immer wieder sehen, und wo sich ganz stark seit der Pandemie etwas verändert hat." Hier spiele auch die permanente Unsicherheit angesichts zahlreicher Krisen eine Rolle.

Immer mehr Verschreibungen von Benzodiazepinen und Opioiden

Beide Medikamentengruppen werden an 0 bis 17-Jährige auch immer häufiger ärztlich verschrieben. Zahlen der gesetzlichen Krankenkassen zeigen, dass bei Benzodiazepinen die Zahl der verordneten Packungen in Berlin seit 2018 um fast 60 Prozent zugenommen hat, bei Opioiden und Opiaten sogar um mehr als 100 Prozent.

In Brandenburg liegt die Zunahme für Benzodiazepine bei fast 40 Prozent und bei den Opioiden und Opiaten bei 140 Prozent. Hier sei eine strenge medizinische Überwachung notwendig, so der Berliner Suchtberater Coffin. "Bei der ersten Tablette sollte schon ein gewisses Bild darüber herrschen, wann die letzte einzunehmen ist, nach dem Motto: So viel wie nötig, so wenig wie möglich."

Erst Benzos, dann Heroin

Dass der Missbrauch dieser Tabletten das Eintrittstor in eine harte Drogenkarriere sein kann, zeigt die Geschichte von Julian. Er beginnt schon in seiner Jugend Benzodiazepine zu konsumieren. Auch er wollte "mal austesten", wie die so wirken. Er wächst mit zwei großen Brüdern auf, die selbst Probleme mit Drogen haben und schon im Gefängnis saßen. Genau wie Hannes besorgt er sich die verschreibungspflichtigen Medikamente bei Dealern auf der Straße oder bestellt sie über einen bekannten Messenger-Dienst. Schnell wird er süchtig. Dann stürzt Julian ab. Er beginnt, auch Opioide zu konsumieren. Dann folgen Amphetamine und Heroin.

Er landet schließlich wohnungslos auf der Straße und raucht Crack. Mehrmals macht Julian einen Entzug. Jedes Mal vergeblich. "Mir fehlte die Struktur. Ich habe immer wieder angefangen zu konsumieren", erzählt der heute 26-Jährige. Nach einem Rückfall im Sommer 2023 will er endlich etwas ändern. Er quartiert sich für kurze Zeit bei seinen Eltern in Hessen ein und meldet sich schließlich bei einer Selbsthilfeeinrichtung für Süchtige, dem Verein Scarabäus Hoher Fläming im Brandenburger Ort Schmerwitz. Vor sieben Monaten ist er dort eingezogen.

Der geschützte Raum

"Es ist wie eine große WG, in der knapp 30 Süchtige zusammenleben und sich gegenseitig helfen", beschreibt Sozialarbeiter Detlef Haikaris die Unterkunft im Brandenburger Dorf. Es gibt drei Regeln: Keine Drogen, keine Gewalt und kein Rauchen. Die Bewohner übernehmen im Haus Verantwortung. Einige kümmern sich um den Garten, andere um die Hauswirtschaft. Julian ist mittlerweile der Küchenchef. Sechs Mal pro Woche kochen er und zwei andere Süchtige für die Hausbewohnerinnen und Hausbewohner.

Julian genießt es, Verantwortung übernehmen zu können. Er fühlt sich in Schmerwitz gebraucht. "Diese Struktur hier, die gibt mir viel Halt", erklärt er. Er möchte insgesamt 18 Monate in der Einrichtung bleiben, denn er hat das Ziel, dieses Mal wirklich clean zu bleiben. Auch Hannes aus Berlin hat einen Entzug hinter sich, nachdem ihn Freunde dazu bewegt haben.

Scham vor der Suchtberatung

"Ich bin nie zu einer Suchtberatung gegangen", sagt Hannes. Er habe sich zu sehr geschämt und den Entzug "ganz alleine" gemacht. Er habe gewusst, dass es schwer werden würde, doch er wollte es unbedingt schaffen. Also schlug er sich die schlaflosen Nächte um die Ohren. Er hatte Schweiß-Attacken und war sehr unruhig. Aber er kam von den Medikamenten größtenteils los.

Einen Entzug allein machen? "Das kann lebensgefährliche Risiken bergen", erklärt Suchtberater Arthur Coffin. "Es kann zu Krampfanfällen und zum Delirium kommen." Er rät unbedingt, eine Suchtberatung aufzusuchen.

Ein lebenslanger Kampf

Hannes hat seit seinem Entzug vor fünf Jahren keine Benzodiazepine mehr genommen, sagt er. Vereinzelt habe er mal wieder Opioide konsumiert. Abhängig sei er aber nicht mehr. Julian hat einen Ausbildungsplatz in der Nähe seiner Eltern sicher. Dorthin möchte er nach den 18 Monaten in der Einrichtung des Vereins Scarabäus gehen. Er möchte dann in eine Cleanen-WG ziehen und hofft, durch die Arbeit und durch ein positives Umfeld, der Versuchung widerstehen zu können.

Beide werden wohl ihr Leben lang gegen Sucht und Versuchung ankämpfen müssen – vor allem in schwierigen Momenten, wenn die Medikamente der leichtere Ausweg zu sein scheinen. Aber die Abhängigkeit und den Entzug wollen beide nicht mehr durchmachen müssen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 14.02.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Yasser Speck

13 Kommentare

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  1. 13.

    " Minderheiten" schon mal Raumschiff Enterprise " Rache Kahns" gesehen darin gibt es ein Spruch von Mister Spok in seiner Aktion im Reaktorraum und er die Frage aufwirft " Wie viel ist das Leben eines Einzelnen oder einiger weniger Wert??"

  2. 12.

    Trauriges Thema, wir haben so einen Fall in der Familie, durch den Job im KH war es leicht an Benzos ran zu kommen, bis wir / ich als Mutter es merkte war mein Kind schon süchtig ,, wir gehen einen langen und schweren Weg, Entgiftung , 6 Monate Reha .. was kommt jetzt ? Ich habe Angst vor der Zukunft und hoffe so etwas nie mehr miterleben zu müssen.
    Ich kann jedem nur raten sich Hilfe zu suchen und sein Kind zu retten, es geht so viel kaputt, so viel leid…

  3. 11.

    Beides ist wichtig ! Aufklärung und Verbot. Verantwortung zu übernehmen, für sich und Andere, muss man lernen. "Nein" sagen, ist nicht immer leicht. Wenn Drogen legalisiert werden, ist die Hemmschwelle für den Konsum extrem niedrig. Gerade für junge Leute. Nur mal probieren... Ist ja nicht verboten... Kann so schlimm nicht sein... Ist ja erlaubt, wer will da noch über Gefahren aufgeklärt werden... DL macht es sich mit der Legalisierung von Cannabis leicht. Das bittere Ende wird kommen...

  4. 10.

    Die Realität ist glücklicherweise aber auch nicht so, wie hier im Beitrag geschrieben, sind nur Minderheiten.
    Immer nur schlechte bzw negative Beiträge in den Medien zu lesen kann einen aber schon dazu bringen, Benzos zu nehmen!

  5. 9.

    „ Ich habe an einem Tag zwischen einer und zehn Benzodiazepin-Tabletten genommen. Man vergisst schnell, wie viele man hatte. Dann habe ich die noch mit Alkohol und Opioiden gemischt", erzählt Hannes. “
    Das glaube ich nie im Leben, das würde keiner mehrere Tage überleben, ich kann das beurteilen, nehme diese Medis aus medizinischen Gründen.

  6. 8.

    wenn man die Probleme innerhalb der Gesellschaft und deren Normen nicht an die Jeweiligen Generationen anpasst das nennt sich Weiterentwicklung der Demokratie werden Schüler oder Lehrlinge ( nächste Generation) immer wieder aufgeben. Die Realität ist eine andere als die die an Schulen gelehrt wird und daran zerbrechen viele. Vielleicht sollte man ernsthaft mal Nachfragen wieso Schüler und Lehrlinge abbrechen und zu Drogen greifen. Nicht immer sind die Eltern die Schuldigen.

  7. 7.

    In den USA konsumieren die das schon seit über 20 Jahren illegal, komisch das dieser Trend erst jetzt bei uns beginnt.

  8. 6.

    Das wird Bundesgesundheitsminister Lauterbach wohl nicht ganz so eng sehen. Denn mit seiner Cannabis-Legalisierung wird auch sich auch dieser Missbrauch bald verfluechtigen.

  9. 5.

    Solange Rapper, überwiegend mit Migrationshintergrund, diese Drogen in ihren Texten hervor heben und fast schon huldigen, solange wird auch weiterhin ordentlich Werbung gamacht.

  10. 4.

    Drogen machen auch vor Bildung nicht halt, auch Akademiker koksen und kiffen und rauchen crack. Sogar im Bundestag findet dies statt

  11. 3.

    Nun gibt es zwischen Illegalen Drogen und den Big Pharma Topsellern für diese Menschen keinen Unterschied mehr. Normalerweise geht man zum normalen Dealer, die Apotheke. Medikamentenabhängigkeit beginnt in der Regel beim Arzt. wohin die lasche Verschreibungspolitik führt haben wir in den USA gesehen. Opiate, insbesondere Fentanyl sind dort zur Gesellschaftsbedrohung Nr. 1 geworden. Alles weil einige aggressive Pharmaunternehmen Prämien an Ärzte zahlten, verharmlosende Studien finanzierten und das ganze Land mit Opiaten fluteten. Wenn der Absturz erst einmal da ist, dann wird einfach an die Straßendealer übergeben.

  12. 2.
    Antwort auf [Müller's Detlef] vom 14.02.2024 um 08:34

    Wer glaubt, dass Drogen nicht konsumiert werden weil sie illegal sind muss sich bitte hinterfragen.
    Aufklärung und Enttabuisierung sind viel wichtiger als das Verbot von Cannabis. Gerade in Berlin bekomme ich innerhalb einer Stunde alle Drogen über Telegram Gruppen geliefert, obwohl das illegal ist.
    Bildung ist wie so oft der Schlüssel zum Erfolg!

  13. 1.

    Das ist ein trauriges Thema und ich kenne es aus der eigenen Familie selbst.

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