Interview | Medikamentenmissbrauch bei Jugendlichen - "Diese Mischung mit anderen Substanzen ist wie Russisch Roulette"

Mi 14.02.24 | 14:34 Uhr | Von Yasser Speck
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Symbolbild: Eine Frau legt ihren Kopf und ihre Arme auf einem Tisch ab - im Vordergrund sind verschreibungspflichtige Medikamente zu sehen. (Quelle: imago images/Gueillem)
Video: rbb24 Abendschau | 14.02.2024 | Yasser Speck | Bild: imago images/Guillem

Benzodiazepine und Opioide sind Medikamente. Doch immer mehr junge Menschen konsumieren sie ohne Verschreibung. Das Risiko: schnelle Abhängigkeit und die Kombination mit anderen Drogen wie Alkohol, erklärt Suchtberater Arthur Coffin.

rbb|24: Herr Coffin, wie wirken Medikamente wie Benzodiazepine und Opioide auf den Körper eines jungen Erwachsenen?

Arthur Coffin: Da kann man sich ganz gut Interviews mit sogenannten Mumble-Rappern anschauen. Dann bekommt man ein gutes Bild davon. Das sind Musiker aus der Trap-Rap-Szene, die mit halb verschlossenen Augen nur so vor sich hinmurmeln. Das ist eine ganz typische Wirkung. Ansonsten wirken diese Medikamente angstlösend und dämpfend.

Zur Person

Portrait Arthur Coffin. (Quelle: privat)
privat

Arthur Coffin hat unter anderem Soziologie studiert und ist gelernter Krankenpfleger und Sozialarbeiter. Seit 2016 leitet er die "LogIn" Suchtberatung [drogennotdienst.de] in Charlottenburg-Wilmersdorf.

Und wofür sind die Medikamente eigentlich gedacht?

Benzodiazepine nimmt man, wenn man Schlafstörungen hat oder wenn man Anspannungen oder Ängste reduzieren will. In der Medizin wird es auch als krampflösendes Mittel eingesetzt. Opioide werden eigentlich nur bei sehr starken Schmerzen verschrieben.

Wieso liegen Benzos und Opioide bei jungen Menschen so im Trend?

Ich habe da mehrere Ansätze. Wir haben einmal das Phänomen des Hedonismus und der Partyhauptstadt Berlin, in der man quasi alle Substanzen in relativ hoher Qualität zu relativ günstigen Preisen bekommt, also Verfügbarkeit ist schon ein Grund.

Das zweite ist die Zeit, in der wir leben. Ich meine den höheren Leistungs- und Schuldruck und die permanenten Krisen um uns herum. Diese permanente Unsicherheit spielt da auch mit rein.

Und die dritte Säule ist eben ganz normales, typisches Pubertätsverhalten. Dass junge Menschen rausgehen und Risiken eingehen gehört zur Pubertät. Und dass man auf Partys, sage ich mal, einen Rausch will oder Ekstase oder auch Eskapismus sucht, ist etwas Menschliches.

Info

Opiate sind Substanzen aus dem Milchsaft des Schlafmohns, insbesondere Morphin. Opioide fassen alle morphinartig wirkenden Substanzen zusammen, darunter fallen auch die Opiate

Bei Benzodiazepinen handelt es sich um eine Gruppe zentral dämpfender Wirkstoffe, die Beruhigung, Müdigkeit und Schlaf auslösen.

 

Sehen Sie eine Entwicklung in den vergangenen Jahren?

Ja, zu 100 Prozent. Dieses Medikamentenproblem und dieser Wunsch nach Dämpfung ist etwas, was wir immer wieder sehen, und wo sich auch ganz stark seit der Pandemie etwas verändert hat. Ein großes Problem ist der Mischkonsum. Das bedeutet, dass man nicht mehr den typischen Kiffer hat, sondern es muss jetzt immer eine Mischung von mehreren Substanzen sein.

Und bei Benzodiazepinen und Opioiden sind die Wechselwirkungen mit Alkohol, Antidepressiva oder anderen Substanzen die große Gefahr. Diese Mischungen sind wie Russisch Roulette. Dann kann es lebensgefährlich werden, da vor allem Opioide sich atemlähmend auswirken können. Das Gehirn denkt in solchen Fällen: Wir haben genug Sauerstoff im Körper - und setzt dann einfach die Atmung aus.

Wie kommen Jugendliche mit diesen Medikamenten Ihrer Erfahrung nach das erste Mal in Berührung? Und wie kommen sie dann an die Medikamente?

Oft kommen Jugendliche im Partykontext zum ersten Mal mit Medikamenten in Berührung. In der heutigen Zeit scheinen diverse Social-Media Kanäle wie Insta und Telegramm das Mittel der Wahl zu sein, wenn es um die Beschaffung geht.

Wie schnell kann man abhängig werden?

Es kommt darauf an, wie man sie konsumiert. Wenn man zum Beispiel gemobbt wird oder aus einem Sexualmissbrauchsumfeld kommt und die Medikamente zum Verdrängen nimmt, dann kann das gerade bei Opiaten und Benzodiazepinen relativ schnell gehen.

Grundsätzlich ist das sehr individuell und hängt auch von der Dosierung ab. Aber gerade bei medizinisch legalen Opiaten sagt man, dass man die am besten nach zwei bis drei Wochen wieder absetzen sollte. Sonst läuft man Gefahr, süchtig zu werden.

Zahlen der gesetzlichen Krankenkassen zeigen, dass bei Benzodiazepinen die Zahl der verordneten Packungen in Berlin seit 2018 um fast 60 Prozent zugenommen hat, bei Opioiden und Opiaten sogar um mehr als 100 Prozent. Spielt das auch ein Rolle, wenn es darum geht, warum junge Menschen in eine Sucht abrutschen?

Das kann der Fall sein. Hier ist vor allem eine strenge medizinische Überwachung notwendig. Vor allem sollten Mediziner:innen – wenn sie denn bei bestimmten Symptomen keine andere Wahl sehen – die Zeitspanne ihrer Verschreibungen im Blick haben und darauf achten, ein gutes Ausstiegsszenario zu haben. Bei der ersten Tablette sollte schon ein gewisses Bild darüber herrschen, wann die letzte einzunehmen ist. Nach dem Motto: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.

Wie lebensgefährlich ist die Sucht nach diesen Medikamenten?

Ich würde sagen, teilweise kann das sehr lebensgefährlich sein, weil es ganz krass in die Hirnchemie eingreift. Wenn man das wirklich regelmäßig und hoch dosiert nimmt, kann es zu Krämpfen kommen bis hin zum Koma.

Ein Symptom von Sucht ist die Gewöhnung. Man hat dann eine gewisse Toleranz erreicht. Und um die gleiche Wirkung beizubehalten, muss man immer wieder ein bisschen mehr drauflegen. Wenn man dann ein relativ hohes Level hat, wird es gefährlich.

Was kann ich tun, wenn ich sehe, dass eine Freundin von mir, mein Kind oder vielleicht auch ich selbst da reingerutscht und süchtig nach Medikamenten bin?

Wenn man so etwas sieht, sollte man eine Suchtberatungsstelle aufsuchen. Am besten eine, die auch einen Familienschwerpunkt hat. Wir von der LogIn-Suchtberatung arbeiten immer mit der kompletten Familie zusammen, weil wir sagen, das bringt nichts, wenn man das Kind nur zur Reparatur hier abliefert. Dann kommt das Kind wieder raus und dann fängt die ganze Sucht von vorne an. Es muss das ganze Familiensystem mitmachen

Wie läuft eine Suchtberatung bei Ihnen ab?

Wir nehmen uns in einem Erstgespräch ganz viel Zeit. Es geht potenziell auch um illegalen Konsum. Das heißt, wir versuchen zu vermitteln, dass hier ein geschützter Raum ist, in dem sie offen reden können, wir haben Schweigepflicht. Und dann wird erst mal ein bisschen sondiert, wohin die Reise gehen kann.

Das können total unterschiedliche Themen sein. Es kann sein, dass es dem Menschen so schlecht geht, dass er sofort in ein Krankenhaus muss. Oder die Person hat es im Griff, will aber nicht weiter reinrutschen. Wir müssen dann immer schauen: Wollen wir über Gespräche eine Konsumreduktion erreichen? Wollen wir eine Therapie vermitteln? Oder geht es um eine Schuldnerberatung? Denn so eine Sucht zieht ja oftmals auch einen ganzen Rattenschwanz an Problemen nach sich. Dann gehen wir in den Beratungsprozess, der kann dann auch gerne über mehrere Wochen gehen, bis wir einen Weg gefunden haben. Bei uns bekommt keiner einen Stempel aufgedrückt. Die Klienten sind die Experten ihrer selbst, und wir haben einfach nur den Bauchladen mit den ganzen Angeboten.

Wie läuft ein Entzug von Benzodiazepinen und Opioiden? Schafft man das auch allein?

Es kann sehr anstrengend sein. Im Grunde genommen wird im Rahmen einer Krankenhausbehandlung "warm" entzogen. Das bedeutet, dass man entweder das gleiche oder ein ähnliches Präparat als Substitut bekommt, das dann wiederum unter Beobachtung ausgeschlichen wird. Ausschleichen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass jeden Tag mit der Dosis runtergegangen wird, solange, bis man auf null ist. Somit kann sich der Körper mit der schrittweise gemachten Entwöhnung besser arrangieren. Ein derartiger Entzug dauert in diesem Kontext sieben bis 14 Tage. Oft ist der Prozess mit zehn Tagen abgeschlossen.

Ganz allein einen Entzug von Benzodiazepinen zu machen, birgt lebensgefährliche Risiken. Es kann zu Krampfanfällen und Delirium kommen.

Studie zu den Motiven für den Konsum

  • Infos

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Yasser Speck für rbb|24.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 14.02.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Yasser Speck

17 Kommentare

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  1. 17.

    Ja, Sie haben recht.
    Bei dem Thema geht es allerdings um Jugendliche.
    Natürlich bekommen, nehmen ältere Patienten Opioide bzw. Opiate, bei starken Schmerzen und wegen andere Probleme. Ich bin überzeugt, sie sind unter Kontrolle bei ihren Hausarzt.
    Bei der Jugend geht es um was anderes, als schmerzlos zu werden. Die Wechselwirkungen mit den nicht passenden Stoffen, dass wird zum Problem für sie werden, wenn sie den Mix konsumieren!

  2. 16.

    Es soll, habe ich zumindest mal gehört, auch ältere Patienten geben die Opiate verschrieben bekommen.
    Kann natürlich auch ein Gerücht sein.

  3. 15.

    Wie kommen junge Menschen an verschreibungspflichtige Opioide?
    Täuschen sie länger starke Schmerzen, körperliche Probleme dem Arzt vor? Oft werden Opioide nicht nach Vorschrift genommen, nicht die Anzahl der Tabletten genommen. Da kann ich mir vorstellen, dass viele Reste zum Tauschhandel für Partys übrigbleiben.
    Oder haben sie chronische Schmerzen? Schon Opioide mal länger verschrieben bekommen, da reicht ein Anruf für ein neues Rezept in der Arztpraxis. Wer hat nun die Verantwortung darüber, ich vermute in den Fällen der Arzt. Schon verschriebene Medikamente ohne weitere Untersuchungen, können meistens bis zwei Jahre lang ausgestellt werden. Die Arztassistentin bereitet es vor, der Arzt unterschreibt. Die Ärzte sind heutzutage unter Stress und Zeitnot in der Praxis, laden kaum zur Nachuntersuchung ein. Wer hat die Mitverschuldung bei verschreibungspflichtig -Opioide, wenn Jugendliche auf diese Weise leicht rankommen sollten?




  4. 13.

    Es wird denn da mit Sicherheit genug Patienten geben die diese Tabletten wirklich brauchen. Werden diese mit den Süchtigen zusammen in ein Boot geworfen?
    Kann es sein das ein Verbot dieser Medizin, nur weil letztendlich ein geringer Prozentsatz an Süchtigen gegenüber denen die diese Medizin brauchen, mit ins Spiel gebracht wird?
    Das Medizin schon des öfteren weg. Missbrauch in Misskredit geraten ist hat man ja schon des öfteren gel. o. gehört.
    Am Ende stehen immer öfters Kunden in der Apotheke u. bekommen nicht mehr ihre Medikamente. Oftmals ist der Grund dafür ein völlig anderer nämlich die Auslagerung der Produktion ins Ausland.
    Also ist ein Verbot auch ein Weg für: "Was verboten ist muss auch nicht mehr beschafft werden."
    Sehr zum Leidwesen vieler Patienten.

  5. 12.

    Wer in der Lage war, sich diese Medis zu beschaffen, sollte auch in der Lage sein, sich diese Seiten allein rauszusuchen.

  6. 11.

    Heroin galt früher als Hustenlöser und wurde auch Kindern verabreicht. Ist allerdings schon lange her.

  7. 10.

    Ja, das stimmt BTM wird streng überwacht. Aber leider gibt es auf sogenannte schwache Opiate, wie beispielsweise Tramal und Tillidin die bei Rückenschmerzen verabreicht werden. Wenn man verschiedene Ärzte aufsucht, kommt man schon an eine gewisse Menge heran. Seit Apotheken abgelaufene Medikament nicht mehr zurücknehmen müssen, landen diese im Hausmüll. Diese werden dann teilweise herausgesucht. Habe ich mit meinen eigenen Augen schon gesehen.

    Im übrigen wurden vor 100 Jahren in den goldenen 20ern mehr Drogen konsumiert und auch härtere Drogen.

  8. 9.

    Mir war nicht bekannt, dass es sich bei beispielsweise Heroin um einen „Drogen-Missbrauch“ handelt! Wofür wird Heroin denn regulär als Droge eingesetzt? Man lernt ja nie aus.

  9. 8.

    Sehr erstaunlich, wie manche so BTM-Rezepte und Benzodiazepine gelangen, ohne krank zu sein. Ich musste beides nehmen und weiß, wie engmaschig man dabei überwacht wird. Es werden praktisch die Tabletten abgezählt und überprüft. Als Schmerzpatient mit sehr starken Schmerzen, bin ich auf Opioide 2. und 3. Kategorie angewiesen und froh, sie nach 12 Jahren sinnloser und erniedrigender Ärzteodyssee endlich zu bekommen!

  10. 7.

    So "technisch" das eine, so "technisch" ist m. E das andere gedacht, i. S. einer billigen Hebelwirkung, als handele es sich nicht um Menschen, sondern um technische Geräte. Deshalb ja auch ist ein ganzes Gesellschaftssystem letztlich an die Wand gefahren. Fatal, dass 34 J. nach dessen Ableben dies immer noch nicht verstanden wird. Tschuldigung. ;-

    Soziale Herausforderungen lassen sich eben nur sozial lösen. Cannabis-Abhängige haben die gesellschaftliche Lösung für sich negiert, die Flucht angetreten, weil ihnen die Verkrustungen übermächtig erschienen. Heute scheint es bei Jugendlichen eher um Selbstoptimierung zu gehen, die Befürchtung, da nicht mithalten zu können oder umgekehrt, von der Clique ausgeschlossen zu werden.

    Die DDR in ihren alltägl., "kleinen", unkomplizierten Verhältnissen hat eine Alternative dazu geboten - deswegen kann ich Argumentationen dazu nachvollziehen - die groß aufgehängte, ideologisch verkrustete DDR hat aber alles kaputtwerden lassen.

  11. 6.

    Hallo, seit wann hat es staatlicher Zwang jemals geschafft, Drogen Missbrauch zu verhindern? Wenn das funktionieren würde, würden sämtliche Substanzen, die illegal sind auch nicht konsumiert werden. Der erste und wichtigste Ansatzpunkt ist Aufklärung, denn am Anfang bevor so eine Droge genommen wird, steht immer die Entscheidung ist zu tun. Und genau an diesem Punkt muss Aufklärung ansetzen. Einschränkung der Verfügbarkeit ist natürlich auch wichtig.

  12. 5.

    @Der von Drüben Wie könnte denn so ein Staat wohl aussehen? Und bei all den Benzos, die ja bei bestimmten Erkrankungen notwendigerweise verschrieben werden müssen, wie sollte da der Staat verhindern, dass diese dann missbraucht werden können, weil sie zB in falsche Hände geraten. Überwachung jeder einzelnen Person, die ein solches Rezept vom Arzt bekommen hat? Was genau ist das dann für ein Staat? Fällt mir nur eine Diktatur zu ein. Diktatur statt Aufklärung, hatten wir alles schon...

  13. 4.

    So etwas lässt sich von keinem Staat verhindern. Insofern etwas sehr einfach gedacht. Da es mit Verboten nicht getan ist, müssen Lösungen gefunden werden. Guter Beitrag.

  14. 3.

    Ich hoffe nur das der überwiegende Teil unserer Jugendlichen keine Drogen oder Medikamente nehmen. Sonst muss man sich nicht wundern , wenn keiner einen Beruf erlernen möchte.

  15. 2.

    Nun sind diese Medikamente ja nicht nur in Berlin ein Thema. Gibt es denn auch abseits der Partyhautstadt Berlin ausreichend Suchtberatungsstellen? Kann der Rbb die Adressen/Erreichbarkeiten von denen nicht mal aufschreiben, damit Suchtbetroffene auch in Frankfurt/Oder, Eisenhüttenstadt oder Senftenberg wissen, wohin sie sich wenden können?

  16. 1.

    Wir brauchen keinen der uns etwas erklärt. Wir brauchen einen Staat, der sowas konsequent verhindert.

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